Neben den speziell zur Enteignung geschaffenen Sonderdienststellen der Finanzverwaltung waren auch die ganz normalen Finanzämter unter dem Nationalsozialismus in die Verfolgung politischer Gegner und der Juden einbezogen. So oblag den Finanzämtern die Festsetzung und Erhebung der Reichsfluchtsteuer. Diese Sondersteuer wurde bei Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland fällig und war 1931 von der Regierung Brüning als Reaktion auf die durch die Weltwirtschaftskrise ausgelöste Kapitalflucht eingeführt worden.
Der hohe Steuersatz von 25% auf das Vermögen war vor allem aus Gründen der Abschreckung gewählt worden. Der eigentliche Zweck dieser Sondersteuer, den Wegzug wohlhabender Steuerzahler aus Deutschland zu verhindern, wurde im Kontext der nationalsozialistischen Machtübernahme jedoch hinfällig. Die Reichsfluchtsteuer wurde auch dann erhoben, wenn sich jemand nicht freiwillig, sondern aus Sorge vor Gewalt und KZ-Haft ins Ausland begeben hatte.
So erließ das Berliner Finanzamt Zehlendorf 1933 gegen den Schriftsteller Lion Feuchtwanger (Foto) einen Reichsfluchtsteuerbescheid, weil dieser von einer 1932 angetretenen Auslandsreise nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt war. Dass die SA im März 1933 sein Haus im Grunewald verwüstet hatte, nahm auf die Erhebung der Steuer keinen Einfluss. Wie die Ausbürgerungsenteignung wurde auch die Reichsfluchtsteuer seit dem Machtantritt Hitlers zur wirtschaftlichen Existenzvernichtung der Emigranten eingesetzt.
Die Reichsfluchtsteuer war mit erheblichen strafrechtlichen Sanktionsmechanismen verbunden. Wenn jemand Deutschland verließ, ohne diese Steuer zu entrichten, wurde sein Vermögen beschlagnahmt und ein sogenannter Steuersteckbrief erlassen – ein neu geschaffenes Instrument, von dem die Finanzämter ausgiebig Gebrauch machten. Ein solcher Steuersteckbrief wurde im Reichsanzeiger und im Reichssteuerblatt veröffentlicht und enthielt die Aufforderung, den Steuerpflichtigen, falls er im Inland angetroffen werde, vorläufig festzunehmen und ihn unverzüglich dem Haftrichter vorzuführen.
Dabei konnte die Steuer häufig aus von den Betroffenen nicht zu vertretenden Gründen nicht gezahlt werden: beispielsweise weil keine Banküberweisungen mehr durchgeführt werden konnten (üblicherweise sperrte die Gestapo bei einer illegalen Ausreise das Konto), oder weil eine Veräußerung von Grundbesitz kurzfristig nicht möglich war. Im Oberfinanzpräsidium Berlin wurden zwischen 1932 und 1943 in insgesamt 560 Fällen solche Steckbriefe erlassen. Dies entsprach 46,4% aller im gesamten Reich erlassener Steuersteckbriefe.