#erkenneRassismus Teil 4: Kolonialismus

Deutschlands koloniale Geschichte

Kolonialismus ist die Eroberung, Ausbeutung und Beherrschung eines fremden Gebietes und der ansässigen Bevölkerung. Als Rechtfertigung dienen rassistische Theorien von Ungleichheit. Kolonisierung hatte zum Ziel, über andere Länder und Bevölkerungen politischen und wirtschaftlichen Einfluss auszuüben, um Ressourcen zu verwerten. Kolonialismus ging mit Unterwerfung, Vertreibung oder Ermordung der ansässigen Bevölkerung einher. Legitimiert wurde dies mit einer „Mission der Zivilisierung“.

Weltkarte mit Überblick über deutsche Kolonien

Deutsche Kolonien

Das offizielle deutsche Kolonialreich entstand vergleichsweise spät – nicht zuletzt, weil das Deutsche Reich erst 1871 gegründet wurde. Zwischen 1884 und 1914 wurden Teile von Afrika, China und Ozeanien vom Deutschen Reich als sogenannte „Schutzgebiete“ kolonisiert. Dazu gehörten „Deutsch-Südwestafrika“ (heutiges Namibia), Kamerun, Togo, „Deutsch-Südostafrika“ (heutiges Tansania, Burundi und Ruanda), Neuguinea und Samoa im Pazifik, sowie die Region Kiautschou in Nordchina. Schon vor der Reichsgründung gab es deutsche Unternehmungen, die eine Kolonialisierung fremder Gebiete vorantrieben. So errichtete die Augsburger Handelsfamilie Welser im 16. Jahrhundert ein Herrschaftsgebiet im heutigen Venezuela. Ein weiteres Beispiel ist die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie (BAC). Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg stattete sie 1682 aus. Die BAC beteiligte sich über mehrere Jahrzehnte am Sklavenhandel an der westafrikanischen Küste. 1

Zeichnung: Ankunft der Brandenburger in Guinea

Gewalt und Widerstand in deutschen Kolonien

Die deutsche Kolonialverwaltung regierte mithilfe von Rassentrennung, Gewalt- und Zwangsmaßnahmen. Die Einheimischen wurden entrechtet. Im sog. Deutsch-Südwestafrika rebellierten 1904/5 insbesondere Herero und Nama gegen ihre Unterdrückung und griffen koloniale Einrichtungen an. Die deutschen Truppen führten gegen sie gemäß dem Befehl von General Lothar von Trotha einen Vernichtungsfeldzug. Er gilt als erster Völkermord (Genozid) des 20. Jahrhunderts. Zigtausende Herero und Nama wurden von den deutschen Truppen ermordet, in die Omaheke-Wüste vertrieben, wo sie verdursteten, oder sie starben in Konzentrationslagern. In der Kolonie Deutsch-Ostafrika kämpfte während des Maji- Maji-Aufstands (1904 – 1907) eine breite Allianz verschiedener Bevölkerungsgruppen gegen die deutsche Fremdherrschaft und Ausbeutung. Die kolonialen Truppen schlugen auch diesen Aufstand brutal nieder. Heutige Schätzungen gehen davon aus, dass 250.000 bis 300.000 Menschen – etwa ein Drittel der Bevölkerung – durch den Krieg und die darauffolgende Hungerkatastrophe starben.

Zeichnung der Teilnehmer der Kongokonferenz in 1884

„Kongo-Konferenz“ in Berlin

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts baute das Deutsche Reich sein Kolonialreich auf und aus. Auf Einladung von Reichskanzler Otto von Bismarck versammelten sich vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 Diplomaten aus elf europäischen Staaten, der USA und des Osmanischen Reiches zur sogenannten „Kongo-Konferenz“ in Berlin. Sie verhandelten über Handelsfreiheit und teilten den afrikanischen Kontinent in europäische Einflusszonen auf. Was die afrikanische Bevölkerung wollte, spielte keine Rolle. Die kolonialen Grenzziehungen wirken sich bis heute aus. 2

Ende der Deutschen Kolonialzeit

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges endete die deutschen Kolonialzeit, wenige Monate nach Kriegsausbruch fielen die ersten deutschen Kolonien an England, Frankreich und die USA. Nach Kriegsende musste Deutschland 1919 seine Kolonien im „Vertrag von Versailles” abtreten. Koloniale Denkmuster und Ansprüche blieben aber virulent, denn während der NS-Zeit gab es Pläne, Afrika erneut zu kolonialisieren. Die Eroberungspolitik des Regimes richtete sich jedoch in erster Linie auf Gebiete in Osteuropa und die Planungen für Erwerbungen in Afrika wurden 1943 zurückgestellt. 3

Berlins Koloniale Spuren

Wie geht Berlin mit seinem kolonialen Erbe um? Seit Jahren wird über Raubkunst in Museen, Denkmäler und Straßennamen im Kontext von Kolonialismus und Rassismus diskutiert. Insbesondere wenn es um Umbenennungen geht, kommt es immer wieder zu heftigen Kontroversen. Manche Menschen wollen Straßennamen und Denkmäler beibehalten oder sprechen sich für ergänzende und erklärende Schilder aus. Andere fordern, dass die Straßen oder U-Bahn-Stationen nach anti-kolonialen Aktivist:innen benannt werden, um sie zu würdigen.
Kritiker:innen sprechen nur noch von der „M-Straße“: Seit 15 Jahren wird über die Mohrenstraße in Berlin-Mitte diskutiert. Vor allem von Vertreter:innen der von Rassismus betroffenen Zivilgesellschaft und von Seiten engagierter Wissenschaftler:innen wird der Name als kolonialistisch und diskriminierend kritisiert. Spätestens seit der Aufklärung wurden mit dem M-Wort vermehrt negative Eigenschaften wie Lasterhaftigkeit, Bedrohlichkeit und Faulheit assoziiert. Im März 2021 beschloss der Bezirk Mitte die Umbenennung der M-Straße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße. Diese verzögerte sich jedoch wegen zahlreicher eingelegter Widersprüche. 4
Auch die U-Bahn-Station „Onkel Toms Hütte” und die „Onkel-Tom-Straße” in Zehlendorf stoßen auf Kritik. Der Name bezieht sich auf den US-amerikanischen Roman „Uncle Toms Cabin” von Harriet Beecher Stowe aus dem Jahre 1852. Der Protagonist ist ein afroamerikanischer versklavter Mann, der „Onkel Tom“ genannt wird. „Onkel Tom” wurde später in Anlehnung an die Romanfigur als eine Beleidigung für eine Schwarze Person verwendet, die gegen die eigene Community handelt. Im Buch kommen außerdem viele rassistische Stereotype vor. Eine Petition für die Umbenennung der Straße und der Station wurde von mehr als 14.000 Menschen unterzeichnet. 5

Das Afrikanische Viertel

Das Viertel in Wedding wurde im späten deutschen Kaiserreich erbaut. Die Namen seiner Straßen und Plätze sollten an den imperialen Willen der europäischen Großmächte erinnern. Der Nachtigalplatz etwa wurde nach Gustav Nachtigal benannt, der als Begründer der deutschen Kolonien in Westafrika gilt. Er war dort ab 1884 als Reichskommissar für „Deutsch-Westafrika“ (Kamerun, Togo) administrativ für die Aneignung von Gebieten zuständig. 2018 wurde beschlossen, den Platz nach Rudolf Duala Manga Bell, einem kamerunischen Widerstandskämpfer, zu benennen.
Auch die Petersallee wurde nach einer führenden kolonialen Figur benannt. Carl Peters war 1885 Begründer der Kolonie „Deutsch-Ostafrika“. Er war bekannt für seine Brutalität, man nannte ihn auch „Hänge-Peters“. In den 1980er-Jahren wurde beschlossen, die nach ihm benannte Allee dem ehemaligen Stadtverordneten Hans Peters umzuwidmen. Vielen reichte die Neuwidmung nicht: 2018 wurde beschlossen, die Allee zu teilen und nach der namibischen Unabhängigkeitsaktivistin Anna Mungunda und nach dem antikolonialen Maji-Maji-Krieg zu benennen. Auch die Lüderitzstraße soll in Zukunft nicht mehr an den an den Kolonialisten, Großkaufmann, Landbesitzer und Begründer von „Deutsch-Südwestafrika“ Adolf Lüderitz erinnern. Stattdessen soll der Nama-Widerstandskämpfer Cornelius Fredericks (1864 – 1907) geehrt werden. Wegen Klagen ist noch keine der Umbenennungen erfolgt.

Berliner Museen

Auch Berliner Museen stehen in der Kritik. Große Teile der Bestände wurden unter kolonialen, oft gewaltsamen Bedingungen zusammengetragen. Berliner Museen waren ab 1889 Sammelstellen für Objekte aus den deutschen Kolonien. Auch in „Strafexpeditionen“ genannten Kriegszügen wurden Gegenstände geraubt und gesammelt. Museen vermittelten zudem rassistische Stereotype und stellten die kolonisierten Bevölkerungen als homogene, geschichtslose Gruppen dar. Das neue Humboldt-Forum in Berlin wurde zuletzt stark für seinen Umgang mit Ausstellungsobjekten aus kolonialen Kontexten kritisiert.

Restitutionsdebatte

Verschiedene Akteur:innen fordern die Restitution, also die Rückgabe von in kolonialen Kontexten erbeuteten Gütern. Der Fall der Benin-Bronzen fand weltweit Beachtung. Es handelt sich um etwa 1.100 Objekte aus dem Palast des einstigen Königreichs Benin auf dem Gebiet des heutigen Nigerias. Die Objekte stammen größtenteils aus Plünderungen durch britische Truppen im Jahr 1897. Sie befinden sich in mehreren deutschen Museen. In 2022 hat Deutschland den Weg für die Rückgabe freigemacht und mit Nigeria die „Gemeinsame Erklärung zur Rückgabe der Benin-Bronzen“ unterzeichnet. Nigeria erhält die Eigentumsrechte, die nächsten Schritte werden in einzelnen Rückgabevereinbarungen geregelt. Für die Berliner Museen ist das bereits erfolgt. 6

Weitere Informationen

Fußnoten

1 Mark Terkessidis: Das postkoloniale Klassenzimmer. Baustein 12. Schule ohne Rassismus. Schule mit Courage. 2021
2 Völkermord an Herero und Nama: Abkommen zwischen Deutschland und Namibia, bpb kurz&knapp, Hintergrund aktuell, 22.06.2021. / Vor 115 Jahren: Der Maji-Maji-Aufstand, bpb kurz&knapp, Hintergrund aktuell, 26.08.2020.
3 Sebastian Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte. Rückkehr des Verdrängten? Die Erinnerung an den Kolonialismus in Deutschland 1919–2019. Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de, 27.09.2019.
4 Koloniale Straßennamen und ihre Umbenennung im Bezirk Mitte / , Bezirksamt Mitte – Fachbereich Kunst, Kultur und Geschichte HINTERGRUNDINFORMATIONEN ZUR UMBENENNUNG DER „M-STRASSE”, decolonize-mitte (2015)
5 Petition „Umbenennung der U-Bahn Station Onkel-Toms-Hütte und der Onkel-Tom-Straße“, Change.org
6 Rückgabe von Benin-Bronzen „Wir heilen damit eine Wunde“, Alfred Schmit, tagesschau.de, 01.07.2022.

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