#erkenneRassismus Teil 2: Was ist Antislawismus?

Europakarte mit markierten Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas

Antislawismus betrifft Menschen aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa, die als „Slawen“ wahrgenommen werden. Er äußert sich in Diskriminierungen und Zuschreibungen, die historisch geprägt und strukturell verankert sind. Dazu zählen stereotype oder abwertende Darstellungen von Slaw:innen, aber auch Benachteiligungen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt bis hin zu Gewalttaten.

Die „antislawischen“ Zuschreibungen sind pauschalisierend. Antislawismus betrifft Menschen aus Ländern mit sehr unterschiedlichen historischen Erfahrungen und oftmals multi-ethnischen Bevölkerungen. Dazu zählen die ehemaligen Sowjetrepubliken, Polen, Tschechien, Slowakei und Bulgarien sowie der Balkanraum. Auch Ungar:innen, Rumän:innen oder Est:innen, die keiner slawischen Sprachgruppe zugeordnet werden, werden mit Antislawismus konfrontiert.

Antislawismus vor dem Nationalsozialismus

Antislawismus hat eine lange Geschichte. Im Zuge der Aufklärung (18. Jahrhundert) verbreitete sich eine bis heute wirkmächtige Vorstellung: einerseits das positive Bild des zivilisierten, rationalen Westens, anderseits das negative Gegenbild des rückständigen, unzivilisierten Ostens, zu dem Osteuropa gezählt wurde. Dieser abwertende, hierarchisierende Blick wurde auch mit Antisemitismus und Antiziganismus verknüpft.
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert fand außerdem die Idee, dass sich Germanen und Slawen in einem Kampf befinden, viele Anhänger. Es ist das Zeitalter des Nationalismus, Imperialismus und Kolonialismus. Im Deutschen Reich gab es viele, insbesondere in der völkischen Bewegung, die eine Ausdehnung nach Osteuropa propagierten. Dazu gehörte z. B. der Alldeutsche Verband. In seinen Alldeutschen Blättern stand am 7. Januar 1894: „Der alte Drang nach Osten soll wieder lebendig werden. Nach Osten und Südosten hin müssen wir Ellbogenraum gewinnen, um der germanischen Rasse diejenigen Lebensbedingungen zu sichern, deren sie zur vollen Entfaltung ihrer Kräfte bedarf, selbst wenn darüber solch minderwertige Völklein wie Tschechen, Slowenen und Slowaken, die das Nationalitätsprinzip anrufen, ihr für die Zivilisation nutzloses Dasein einbüßen sollten.“ (zitiert nach Wikipedia: Alldeutscher Verband ).1

Antislawismus im Nationalsozialismus

Antislawismus war ein wesentlicher Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie und Rassentheorie. Slaw:innen wurden als minderwertige „Untermenschen“ bezeichnet. Die „Eroberung von Lebensraum im Osten“ war ein erklärtes Ziel Hitlers und der nationalsozialistischen Politik. Der sogenannte „Generalplan Ost“ sah vor, Osteuropa bis zum Ural als deutsches Siedlungsgebiet in Besitz zu nehmen. Mehr als 30 Millionen Russen, Polen, Tschechen und Ukrainer sollten zwangsumgesiedelt, vertrieben oder wie es im NS-Jargon hieß „vernichtet“ werden. Ein kleiner Teil der einheimischen Bevölkerung sollte Zwangsarbeit leisten.2
Die rassistische Ideologie fand ihren grausamen Höhepunkt im Vernichtungskrieg im Osten. Bei der Blockade Leningrads (heute St. Petersburg) durch die Wehrmacht 1941/42 verhungerten und erfroren z. B. mehr als eine Million Menschen. Fast 3 Millionen sog. „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“ mussten im Deutschen Reich unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit verrichten. Antisemitismus, Antislawismus, Antiziganismus und Antibolschewismus kulminierten in der millionenfachen Ermordung osteuropäischer Juden und Jüdinnen sowie nicht-jüdischer Menschen in den Konzentrationslagern und durch Massenerschießungen in Osteuropa („Holocaust durch Kugeln“).

Filmrolle mit typischen actionfilmhaften Darstellungen

Antislawismus im Kalten Krieg

Nach dem 2. Weltkrieg blieb der Antislawismus bedeutsam. Unter anderem trugen Erzählungen von deutschen Vertriebenen, die sich ungeachtet der NS-Verbrechen in einer Opferrolle sahen und Berichte von heimkehrenden Kriegsgefangenen dazu bei, dass antislawische Stereotype weitergetragen wurden.
Der Kalte Krieg mit dem ideologischen Gegensatz von Ost und West begünstigte Antislawismus. Der im Westen propagierte Antikommunismus bediente sich auch antislawischer Stereotype. Sie wurden Teil der westlichen Populärkultur. Bekannteste Beispiele: In Hollywoodfilmen sind die Bösen häufig gefühlskalte und brutale sowjetische Agenten oder Terroristen mit slawisch klingendem Akzent. Slawische Frauen werden als verführerisch, aber hintertrieben dargestellt.3
In der DDR, die zum sozialistischen „Ostblock“ gehörte, war Antislawismus offiziell kein Thema. Dieser hätte der von der Staatsführung verordneten Völkerfreundschaft mit der Sowjetunion und anderen Ostblock-Staaten widersprochen.
Generell führte die Dominanz des Russischen im sog. Ostblock zu einer künstlichen Homogenisierung Osteuropas. Die kulturelle, sprachliche und ethnische Vielfalt wurde negiert, „slawisch“ und „osteuropäisch“ wurde zunehmend mit „russisch“ gleichgesetzt. Eigenständige Interessen von nicht-russischen, slawischen Völkern wurden verneint und unterdrückt.

Antislawismus heute

Millionen Menschen aus Osteuropa sind im Lauf der Geschichte nach Deutschland gekommen: als sog. „Ruhrpolen“ im 19. Jahrhundert, als „Gastarbeiter“ aus Jugoslawien ab den 1960er Jahren, als „Russlanddeutsche“ oder jüdische Kontingentflüchtlinge in den 1980er und 1990er Jahren, danach als EU-Bürger:innen oder heute auf der Flucht vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

Sie nehmen „einen eigenartigen Platz in der Vorurteilsstruktur der bundesdeutschen Migrationsgesellschaft ein:
Jannis Panagiotidis; Postsowjetische Migration in Deutschland. BpB.2021

Ist Antislawismus Rassismus?

Dazu gibt es eine lebhafte akademische Debatte, die noch andauert. Grundsätzlich lässt sich festhalten: Antislawismus operiert mit rassistischen Logiken, mit Pauschalisierungen, Vorurteilen und Hierarchisierungen. Die Zuschreibungen werden aber nicht mit Hautfarbe oder Religion verknüpft, sondern mit einer angeblichen „Kultur“ bzw. „Kulturlosigkeit“.

Weitere Informationen

Fußnoten

1 Hans-Christian Petersen/Jannis Panagiotidis: Geschichte und Gegenwart des antiosteuropäischen Rassismus und Antislawismus . 8.7.2022 / Leningrad: „Niemand ist vergessen“, Erica Zingher, bpb, 17.09.2021
2 https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/voelkermord/generalplan-ost.html und https://de.wikipedia.org/wiki/Generalplan_Ost und https://de.wikipedia.org/wiki/Generalplan_Ost
3 Anna Koemets und Janine Dieckmann, IDZ-Kurzanalyse: Antislawismus – Zwischen Popkultur und Diskriminierungsrealitäten. Jena 28.9.2022)
4 QUELLE: Jannis Panagiotidis; Postsowjetische Migration in Deutschland. BpB.2021

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