Wachsendes Misstrauen – wie Verschwörungsgläubige unsere Zukunft gestalten wollen

Achtung: Dieser Fachtag ist ausgebucht, weitere Anmeldungen können wir leider nicht entgegennehmen.

Mit einer Ökologie verschwörungsideologischer Einflüsse sehen sich nicht nur Erwachsene konfrontiert. In ihr wachsen Kinder und Jugendliche gegenwärtig zu wahlberechtigten Staatsbürger:innen heran, die ihre Entscheidungen auf Basis bestimmter Einstellungen und Informationen treffen werden, denen sie vertrauen oder misstrauen. Schon jetzt sind die Auswirkungen von Desinformation, Fake News und Verschwörungserzählungen auf Jugendliche in Deutschland verheerend, wie eine Vertrauens-Studie der Universität Bielefeld zeigt: Demnach misstrauen 75,8 Prozent der 12 bis 16-Jährigen Zeitungen bzw. 71,6 Prozent misstrauen Journalist:innen. Mehr als ein Drittel der Jugendlichen glaubt, dass die Medien gezielt relevante Informationen ausblenden (37,9 Prozent). Denn längst haben sich Verschwörungsgläubige verschiedener Milieus gegen die da oben verbündet. Influencer:innen forcieren durch gedruckte und digitale Formate sowie analoge Events den Glauben an eine Superverschwörung, in die sich sämtliche bisherigen und zukünftigen Krisen einordnen lassen. Insbesondere rechtsradikale Medienschaffende verbreiten Verschwörungserzählungen als nützliche Märchen, um einen gewissen Prozentsatz der Gläubigen zum aktiven Widerstand aufzuhetzen.

Auf Basis ihrer Selbstaufwertung als „Erwachte“ maßen sich radikalisierte Verschwörungsgläubige und Gruppierungen eine Missionierungs- und Führungsverantwortung für eine aus ihrer Sicht ahnungslos-verblendete Gesamtbevölkerung an. Verschwörungsdemagog:innen, Milieumanager:innen und Bewegungsunternehmer:innen umgarnen und vereinnahmen ihre Anhänger:innen als auserwählte Avantgarde, Pionier:innen und Gestalter:innen einer hervorzubringenden Zukunft. Derart berufen vernetzen sich Reichsbürger:innen zahlreich auf Zukunftskongressen und lauschen den Vorträgen rechtsextremer Referent:innen, die den Handlungsdruck verstärken. „Vereinte Patrioten“ und radikalisierte Verschwörungsgläubige, wie die „Deutschen Patrioten“ wollten sogar kurzfristig bürgerkriegsähnliche Zustände herbeiführen. Ein geschäftstüchtiger Reichsbürger propagiert seit mehr als zehn Jahren sein Selfbranding als gottgesandter naturverbundener König von Deutschland und verkauft potentiellen Systemaussteiger:innen sein Königreich als bessere steuerfreie Welt, in der die Satanist:innen keine Macht mehr über seine Untertanen haben und Neugeborene unter dem Radar der BRD-Behörden aufwachsen können. Mit metaphysischen Expertisen legitimieren diverse Astrolog:innen, Seher:innen und selbst ernannte Prophezeiungsforscher:innen das Pseudo-Erwachen und Aufbegehren der Verschwörungsgläubigen. Sie schüren in Videobotschaften politische Erwartungen vom bevorstehenden großen Zusammenbruch des politischen Systems, vom dritten Weltkrieg und dem anschließenden Neustart der Überlebenden in einer Monarchie als goldenes Zeitalter. Ein AfD-naher Influencer mit 150.000 jugendlichen Follower:innen trägt maßgeblich zur „Entgrenzung des Rechtsextremismus“ bei. Sein Repertoire beinhaltet u.a. queerfeindliche Desinformationen, typische Reichsbürgernarrative und Verschwörungserzählungen, etwa über den „Great Reset“ und „Chemtrails“.

Dieser Ökologie demokratiefeindlicher Ideen widmet sich der Fachtag des „Berliner Netzwerks Verschwörungserzählungen“ in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung. Er richtet sich an pädagogische Fachkräfte, die sich selbst zu dem beschriebenen Phänomenbereich und diesbezüglichen gefährlichen Auswirkungen fortbilden möchten. Er bietet die Chance, verschwörungsideologische Einflüsse, Desinformationsstrategien, Akteur:innen und Gruppierungen besser einschätzen zu können sowie Kinder und Jugendliche sensibilisieren zu können.

Programm

  • 09.15 Uhr

    Ankommen

  • 09.45 Uhr

    Begrüßung durch das Berliner Netzwerk Verschwörungserzählungen

  • 10.00 Uhr

    Hauptvortrag:
    Vertrauen, Misstrauen und die Neigung junger Menschen zu Verschwörungsdeutungen
    Prof. Dr. Holger Ziegler (Fakultät für Erziehungswissenschaft, Universität Bielefeld)

  • 11.00 Uhr

    Pause

  • 11.15 Uhr

    Erste Workshopphase: Einführung in verschwörungsgläubige Milieus
    • 1. Antifeminismus und Verschwörungserzählungen
    • 2. Reichsbürger und ihre Vorstellung vom Staatsausstieg
    • 3. Verschwörungsideologie im Kontext des russischen Angriffskrieges in der Ukraine
    • 4. Klimawandelleugner:innen in Deutschland
  • 13.00 Uhr

    Mittagspause bei gemeinsamem Buffet

  • 13.45 Uhr

    Zweite Workshopphase: Umgang mit verschwörungsideologischen Herausforderungen
    • 5. Handlungsmöglichkeiten und Argumentationsstrategien im Umgang mit Verschwörungserzählungen
    • 6. Ein Königreich für Kinder? Fehlsozialisation und Kindeswohlgefährdung von Kindern im Reichsbürgerkontext
    • 7. (Des)informiert?! Medien- und Informationskompetenz im Umgang mit Falschnachrichten
    • 8. Der Umgang mit Verschwörungserzählungen rund um die Klimakrise im Klassenzimmer und Jugendarbeit
  • 16.15 Uhr

    Pause

  • 16.30 Uhr

    Abschlussdiskussion

  • 17.30 Uhr

    Ende der Veranstaltung
  • Kooperationspartner:

    Berliner Netzwerk Verschwörungserzählungen

  • Datum:

    Dienstag, 17. Oktober 2023

  • Zeit:

    9.30 – 17.00 Uhr

  • Ort:

    Berliner Landeszentrale für politische Bildung, Hardenbergstraße 22-24, 10623 Berlin, Besuchszentrum / Stadtplan

  • Entgelt:

    Die Teilnahme ist entgeltfrei.

  • Anmeldung:

    Dieser Fachtag ist ausgebucht, weitere Anmeldungen können wir leider nicht entgegennehmen.

  • iCalendar:

  • Ansprechperson:

    Melike B. Ҫınar, E-Mail, Telefon (030) 90227 4978

Die Workshops am Vormittag

1. Antifeminismus und Verschwörungserzählungen

Referat: Matthias Müller (Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin)

Antifeministisches Denken und Ideologie richtet sich gegen die geschlechtliche Gleichstellung sowie die Liberalisierung und Pluralisierung von Geschlechterbildern und sexueller Vielfalt. Antifeministische Politik bekämpft den Feminismus und die LGBTIQ*-Bewegung.
Für rechtsextreme Akteur:innen hat der Antifeminismus zunehmend eine Brückenfunktion hin zur gesellschaftlichen Mitte. Die Befunde verschiedener Studien zeigen die Melange antifeministischer Einstellungen mit rechtsextremer Ideologie und auch die weite Verbreitung über rechte Milieus hinweg. Im Antifeminismus finden sich eine Vielzahl von Verschwörungserzählungen – so wird zum Beispiel der Feminismus für die niedrigen Geburtenraten verantwortlich gemacht.
Im Workshop werden aktuelle Ausprägungen des Antifeminismus, seine Verbindungen mit Verschwörungserzählungen sowie seine Bedeutung in verschwörungsideologischen Milieus beleuchtet und Beispiele entsprechender Narrative und Bilder besprochen. Es wird zudem Raum für Austausch und Diskussion geben.

2. Reichsbürger und ihre Vorstellung vom Staatsausstieg

Referat: Martin Schubert (Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus Trebbin)
Nicht erst seit den spektakulären Polizeieinsätzen gegen die Gruppe um Heinrich Prinz Reuß im Dezember 2022, den aktuell laufenden Gerichtsprozess gegen die „Vereinten Patrioten“ oder die umtriebigen Geschäfte des deklarierten „Königreichs Deutschland“ sind die sogenannten Reichsbürger in aller Munde. Doch das Problem beschäftigt Verwaltungen, Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft schon lange, seit der Corona-Pandemie hat das Phänomen weitere Bereiche des sozialen Lebens erreicht.
Im Workshop werfen wir einen Blick auf die Anfänge der Reichsbürger in Deutschland und die aktuellen Entwicklungen, nehmen ihre Überzeugungen und Argumentationslinien unter die Lupe und besprechen Problemlagen, die sich aus der Vorstellung, die BRD sei kein echter Staat, ergeben.

3. Verschwörungsideologie im Kontext des russischen Angriffskrieges in der Ukraine

Referat: Elisabeth Fast (Amadeu Antonio Stiftung)
„Die NATO hat Russland so lange provoziert, dass Russland in den Krieg ziehen musste.“ – dieser Aussage stimmen laut einer Umfrage von CeMAS fast ein Fünftel der Menschen in Deutschland zu – aber warum eigentlich? Wenn wir über Desinformationen rund um den Krieg in der Ukraine sprechen, ist es nicht nur von Bedeutung, die Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Mindestens so wichtig ist es, das dahinter liegende Weltbild zu verstehen, das von der Vorstellung geprägt ist, dass bösartige Kräfte die Welt insgeheim lenken. Denn: Trifft eine Verschwörungserzählung auf ein dazu passendes Weltbild, hat sie eine viel größere Chance zu verfangen.
Anhand von aktuellen verschwörungsideologischen Narrativen aus dem Kontext des Krieges in der Ukraine schauen wir uns in diesem Workshop die Ursachen und Ausprägungen von Verschwörungsglaube bei Jugendlichen an und können im Anschluss gemeinsam diskutieren, wie Verschwörungsideologie in der pädagogischen Arbeit herausgefordert werden kann.

4. Klimawandelleugner:innen in Deutschland

Referat: Annabelle Mattick und Tobias Meilicke (Beratungsstelle veritas Berlin)
Die Klimakrise ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Trotzdem gibt es in Deutschland weiterhin ein Milieu aus rechten und verschwörungsgläubigen Akteur:innen, das den menschengemachten Klimawandel leugnet oder relativiert und damit notwendige, gesellschaftliche Transformationsprozesse verlangsamt. Die Leugnung des Klimawandels geht dabei nicht ohne den Rückgriff auf Verschwörungserzählungen, denn anders ließe sich nicht erklären, warum die absolute Mehrheit der Wissenschaftler:innen den Klimawandel nicht nur für real, sondern auch für von Menschen verursacht einordnen.
Doch wer sind diese Akteur:innen, wie groß ist ihr Einfluss? Welche Verschwörungserzählungen verbreiten sie? Und finden sie auch Ansprechpartner:innen für ihre Narrative bei Kindern und Jugendlichen? All dies wird im hier dargelegten Workshop behandelt.

Die Workshops am Nachmittag

5. Handlungsmöglichkeiten und Argumentationsstrategien im Umgang mit Verschwörungserzählungen

Referat: Mitarbeitende von entschwört
Verschwörungserzählungen haben an Popularität nach dem Ende der Corona-Pandemie nichts eingebüßt. Oft docken sie dabei nicht zuletzt auch an antifeministische Inhalte an. Insbesondere Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit sind dadurch mit Eltern und sogenannten „freien Lerngruppen“ aus dem verschwörungsgläubigen Milieu konfrontiert, die andere Familien von ihrer reaktionären (familien-)politischen Agenda und zuweilen auch vom Systemausstieg zu überzeugen versuchen.
Die Teilnehmenden dieses Workshops werfen einen genauen Blick auf die Handlungsmöglichkeiten im Phänomenbereich Verschwörungserzählungen: Wie kann interveniert werden, wenn hasserfüllt die heteronormative Kernfamilie verteidigt, der Kampf gegen vermeintliche „Frühsexualisierung“ gepriesen oder auch ganz allgemein menschenfeindliche, verschwörungsideologische Äußerungen getätigt werden? Gemeinsam werden wir, auf Grundlage der Expertise aus der Praxis der Angehörigenberatung, erarbeiten, wie sich Fachkräfte hier professionell abgrenzen und demokratisch positionieren können.

6. Ein Königreich für Kinder? Fehlsozialisation und Kindeswohlgefährdung von Kindern im Reichsbürgerkontext

Referat: Steffi Bahro und Janek Buchheim (MITMENSCH)
Im Workshop werden exemplarisch familiäre Konfliktkonstellationen in Zusammenhang mit der Reichsbürgerideologie vorgestellt. Mit welchen Weltbildern, Überzeugungen und Auseinandersetzungen ihrer Eltern werden Kinder und Jugendliche im Zuge ihres Aufwachsens in einem Reichsbürgerelternhaus oder sogar in der Reichsbürger-Sekte „Königreich Deutschland“ konfrontiert? Welche Auswirkungen einer Sozialisation im Reichsbürgermilieu im Allgemeinen und im Königreich Deutschland im Besonderen sind wahrscheinlich? Welche Rechte der betroffenen Kinder werden durch das elterliche Weltbild eingeschränkt? Wann kollidieren Elternrechte von Reichsbürgern mit dem Schutzauftrag des Staates? Wie kann man als außenstehende Person oder pädagogische Fachkraft Kinder von Reichsbürger:innen stärken und integrieren?

7. (Des)informiert?! Medien- und Informationskompetenz im Umgang mit Falschnachrichten

Referat: Jannik Holz (F.A.N. BB)
Durch den Ukraine-Krieg sind Phänomene wie (Internet-)Propaganda und Desinformationen weiter in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Besonders Jugendliche informieren sich über tagesaktuelle Ereignisse zunehmend im Internet und in den sozialen Medien. Dabei treffen sie auch auf gezielt verbreitete Falschinformationen, die häufig nur mit einer ausgeprägten Medien- und Informationskompetenz erkannt werden können.
Der Workshop bietet die Möglichkeit, themenbezogene Präventionsansätze kennenzulernen und unterstützt dabei, gemeinsame Strategien für einen medienkompetenten Umgang mit Internetpropaganda zu erarbeiten. Der Blick fällt dabei auf die Hintergründe und Funktionsweisen virtueller Propagandastrategien, stellt Werkzeuge und Methoden zum Erkennen von Desinformationen vor und bietet Raum für Austausch und Diskussion.

8. Der Umgang mit Verschwörungserzählungen rund um die Klimakrise im Klassenzimmer und Jugendarbeit

Referat: Annabelle Mattick und Tobias Meilicke (Beratungsstelle veritas Berlin)
Kaum ein gesellschaftliches Thema beschäftigt derzeit Kinder und Jugendliche so sehr wie die Klimakrise. Dabei sind sie konfrontiert mit einer aus ihrer Sicht untätigen Politik, die sie ohnmächtig und mit großen Zukunftsängsten zurücklässt. Klimawandelleugner:innen hingegen werben um sie mit alternativen Erzählungen, in denen Verschwörungserzählungen einen festen Platz haben.
Dieser Workshop will sich mit der Frage beschäftigen, wie Kinder und Jugendliche gestärkt werden können gegen wissenschaftsfeindliche Haltungen und Verschwörungserzählungen und gleichzeitig produktiv mit Ängsten bezüglich des Klimas und ihrer Zukunft umgehen können.