Unsere Gesellschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Umbruch, der durch die Digitalisierung aller Lebensbereiche getrieben wird. Das Orientierungsbedürfnis ist groß: Was bedeuten die globalen Entwicklungen für die unmittelbare Lebenswelt der Menschen, für den sozialen Zusammenhalt und für die politische Ordnung? Besonders deutlich wird dies bei der Rolle der digitalen Medien für politische Aushandlungsprozesse, für die (digitale) Öffentlichkeit sowie für die Stabilität von Gesellschaft und Demokratie. Durch das Internet steht Gesellschaften heute eine Fülle von politischen Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten zur Verfügung. Journalistische Medien kämpfen um ihre Gatekeeping-Stellung in der politischen Öffentlichkeit, sind aber gleichzeitig wichtiger denn je für den politischen Diskurs, gerade in Zeiten erhöhten gesellschaftlichen Orientierungsbedarfs. Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter sowie Messenger wie Telegram haben die politische Debattenkultur in Deutschland verändert. Die politische Kommunikation steht damit auch vor Herausforderungen. Dazu zählen Hassrede, Manipulationsversuche durch Desinformation und Verschwörungsnarrative, eine Polarisierung politischer Diskussionen sowie das Beeinflussungs- und Diskriminierungspotenzial von Algorithmen. Es ist Aufgabe der Zentralen für politische Bildung, die Ambivalenz von Medienwandel und Digitalisierung herauszuarbeiten und sowohl Chancen als auch Risiken zu thematisieren.
Diese Veränderungen sind keine festgeschriebenen Entwicklungen, sondern gesellschaftlich und politisch gestaltbar. In der derzeitigen Transformation unserer Gesellschaft und des Mediensystems kommt den Zentralen der politischen Bildung eine besondere Rolle zu: Sie können digitale Innovationen und neue soziale Praktiken schnell aufgreifen und fundierte politische Bildungsangebote entwickeln. Und sie können Orientierung bieten sowie die Menschen für die veränderten Bedingungen politischer Informiertheit, Meinungsbildung und Beteiligung in einer diversen und digitalisierten Gesellschaft sensibilisieren und handlungsfähig machen.
Das übergeordnete Ziel staatlich verfasster politischer Bildungsarbeit bleibt dabei auch unter digitalen Vorzeichen gültig: die Menschen in Deutschland dabei zu unterstützen, als politisch mündige Mitglieder der Gesellschaft aktiv zu partizipieren. Allerdings muss dieses Ziel im Angesicht der digitalen Transformation erweitert werden. Als Voraussetzung für politische Mündigkeit im digitalen Zeitalter fungiert Medienkompetenz für die Informationssuche, die eigenständige Meinungsbildung und für die politische wie gesellschaftliche Beteiligung als Schlüsselkompetenz (z. B. BMfSFJ 2020: 10; Rat der Europäischen Union 2020; KMK 2012: 4f.). Die Zentralen der politischen Bildung arbeiten daher daran, eine politische Medienbildung zu etablieren, welche die Reflexion von technischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der Digitalisierung, den selbstbestimmten Umgang mit Daten sowie die Teilhabe aller Gesellschaftsmitglieder umfasst. Medienkompetenz bildet nicht lediglich die Voraussetzung für politische Bildung; vielmehr bedarf es einer spezifisch politischen Medienbildung, die den souveränen Umgang mit etablierten journalistischen und neuen Medienwelten als integralen Bestandteil politischer Beteiligung der Menschen in diesem Land versteht.
(1) Politische Bildung und Medienbildung in Deutschland: Situationsbeschreibung
Die Zentralen für politische Bildung setzen sich mit ihrem Bildungsangebot seit mehreren Jahrzehnten für die Vermittlung eines aufgeklärten Umgangs mit der medialen Umwelt in Deutschland ein. Die kritische Reflexion medialer Produkte stellt innerhalb der politischen Bildung eine zentrale Säule der Bildungsarbeit dar. Durch die Bedeutungszunahme der sozialen Medien hat die Auseinandersetzung mit den politischen Folgen sozialer Netzwerke nochmals an Relevanz und Dynamik gewonnen. Im Zuge dieser Debatte sind in allen Landeszentralen Bildungsformate zur Thematisierung der gesellschaftlichen Folgen sozialer Netzwerke entstanden. Auch bundesweit wurden Projekte zur Förderung von Medienkompetenz entwickelt, dazu haben diverse Akteure aus dem erweiterten Umfeld der Medienpädagogik Formate zu medial stark präsenten Problemfeldern wie Fake News oder Hassrede ins Leben gerufen.
Vor diesem Hintergrund hat sich in den vergangenen Jahren die Zusammenarbeit zwischen politischer Bildung und Medienpädagogik stetig vertieft. Diese ausdrücklich positive Entwicklung ist nicht nur angesichts der zunehmenden politischen Bedeutung digitaler Medien mehr als angebracht und wird deswegen auch im 16. Kinder- und Jugendbericht (2020) ausdrücklich gefordert. Als Zentralen für politische Bildung schließen wir uns explizit der Forderung an, dass „politische Bildung und Medienbildung (…) im Verbund und im Zusammenhang interpretiert und praktiziert werden [sollten]. Kritische Medienbildung ist immer kritische politische Bildung und umgekehrt“ (S. 326). Unser gemeinsames Ziel sollte daher sein, „zwischen medienpädagogischen Ansätzen und der politischen Bildung [zu] vermitteln, um die Disziplinen als ‚politische Medienbildung‘ verflochten zu denken“ (S. 328).
Im Hinblick auf diese Zielvorstellung sind sich die beteiligten Akteure und Disziplinen der politischen Bildung einig. Allerdings treffen die abstrakten Zielvorgaben in der Praxis auf ein Feld der politischen Bildung, das nur begrenzte Ressourcen hat, um diese Anforderungen nachhaltig zu erfüllen. Der gesellschaftliche Bedarf nach Formaten der politischen Medienbildung und die konkrete personelle Mittelausstattung bei politischen Bildungsträgern laufen seit Jahren auseinander. Darüber hinaus stellt die häufig projektbasierte, zeitlich begrenzte Finanzierungspraxis eine Hürde für nachhaltige politische Medienbildung dar. Vor diesem Hintergrund ist zu beobachten, dass die spezifische politische Bildungsperspektive auf den Medienwandel und die Digitalisierung allzu oft unter dem Deckmantel der Medienpädagogik mitabgehandelt wird.
Was also ist eigentlich die differentia specifica der politischen Bildung und wie verhält sich diese zur Medienpädagogik? Vorab sei betont, dass es definitiv nicht unser Ziel ist, beide Professionen gegeneinander auszuspielen. Um jedoch zu verhindern, dass vor dem Hintergrund knapper Ressourcen die politische Bildung bei Formaten der Medienbildung weitestgehend außen vor bleibt, plädieren wir für eine klare Bestimmung von Forderungen der politischen Medienbildung. Wir sind uns sicher: Nur durch eine differenzierte Sicht auf die spezifischen Leistungen und Ziele von Medienpädagogik und politischer Bildung können qualitativ hochwertige Angebote entstehen, die das Beste aus beiden Bildungsfeldern produktiv miteinander verbinden.
(2) Verknüpfung von politischer Bildung und Medienbildung
Vor dem Hintergrund von Medienwandel, Digitalisierung und der damit einhergehenden Entwicklung unseres Gemeinwesens hin zur Mediengesellschaft können Medienbildung und politische Bildung nicht mehr als getrennte Aufgaben begriffen werden. Für die Zentralen der politischen Bildung bedeutet dies, klar zu umreißen, auf welche Aspekte von Medienkompetenz eine zeitgemäße politische Bildungsarbeit rekurrieren muss.
Politische Medienkompetenz als Schlüsselkompetenz
Im Zuge von Digitalisierung und Medienwandel wird Medienkompetenz zu einer Schlüsselkompetenz, um unsere Demokratie und Gesellschaft zu stärken. Wer digitale Medien als politische Informationsquelle nutzt, braucht weitaus mehr Kompetenzen als früher: Sind Menschen in der Lage, (digitale) Medieninhalte und die vermittelten politischen Botschaften zu hinterfragen, sind sie bei der Meinungsbildung weniger anfällig für Manipulationsversuche, können sich sachkundiger an politischen Debatten beteiligen, aktiv gesellschaftlich wie politisch partizipieren und sich dabei als selbstwirksam erleben. Dabei reicht es nicht aus, Medien sachkundig zu nutzen und eigene Medieninhalte produzieren zu können. Vielmehr bedarf es einer Medienmündigkeit – eines tiefergreifenden Verständnisses der gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Auswirkungen von Digitalisierung, der damit einhergehenden Datafizierung aller Lebensbereiche sowie des durch den Medienwandel getriebenen
Strukturwandels von politischer Öffentlichkeit.
Um sich als mündige Bürger*innen unabhängig informieren, politische Meinungen bilden und politisch partizipieren zu können, bedarf es politischer Medienkompetenz. Diese muss im Hinblick auf ein Ziel definiert werden; im Falle von Medien- und politischer Kompetenz ist dies in beiden Feldern die Befähigung zu Mündigkeit und Teilhabe. Miteinander verknüpft bildet politische Medienkompetenz die Grundlage für die politische Mündigkeit und Teilhabe der Menschen im digitalen Zeitalter, bei der die Sachkompetenz sowie die Urteils- und Handlungsfähigkeit im Mittelpunkt stehen (Abbildung 1).