Die Freie Universität Berlin erinnert nun mit einer Dauerausstellung an die Geschichte und die Forschungspraxis des früheren Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A). Der »Erinnerungsort Ihnestraße – Wissenschaft und Unrecht« thematisiert die Verbindung von Wissenschaft und Unrecht am historischen Ort und erinnert zugleich an deren Opfer.
Das Gebäude in der Ihnestraße 22, das heute zum Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin gehört, war von 1927 bis 1945 Sitz des KWI-A. Das KWI-A vertrat bereits in der Weimarer Republik eugenische Ideen. Einzelne Wissenschaftler:innen griffen auf ältere kolonialanthropologische Forschung zurück. Während des Nationalsozialismus unterstützten Forscher:innen die rassistische, antisemitische und behindertenfeindliche Verfolgungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten und waren an Verbrechen beteiligt.
Seit 2015 waren in mehreren Grabungen etwa 16.000 stark fragmentierte, menschliche Knochen auf dem Campus der Freien Universität Berlin geborgen worden. Die menschlichen Überreste stammen von Opfern aus Verbrechenskontexten, insbesondere aus Sammlungen des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. Den wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge kann ein Teil der Knochen von Opfern kolonialistischer sowie auch nationalsozialistischer Verbrechen stammen. Im Herbst 2022 hatten die beteiligten Forschungseinrichtungen den Abschluss der wissenschaftlichen Untersuchungen an den Funden bekannt gegeben. Im März 2023 wurden die menschlichen Überreste bei einer öffentlichen Trauerfeier auf dem Waldfriedhof in Dahlem beigesetzt.
Der neue »Erinnerungsort Ihnestraße – Wissenschaft und Unrecht« beschäftigt sich mit einer Wissenschaft, die von Entgrenzung, Rassismus und Entmenschlichung geprägt war. Auf vier Geschossen und dem Außengelände des heutigen Instituts für Politikwissenschaft erzählen zwölf Ausstellungsstationen Geschichten von Wissenschaftler:innen und von Betroffenen dieser Forschung. Historische Fotos und Texttafeln informieren über ethische Grenzüberschreitungen und die Beteiligung an Verbrechen im Namen der Wissenschaft. Dokumentiert werden authentische Biografien von Opern und deren Familien. Eingegangen wird dabei auch auf Forschungen, die »Rasse«-Theorien konstruierten und Rassismus, Antisemitismus und Behindertenfeindlichkeit stützten. In acht Videos geben Wissenschaftler:innen vertiefende Erläuterungen und Vertreter:innen von Opferorganisationen zeigen Verbindungen zur Gegenwart auf. Die Ausstellung ist zweisprachig in Deutsch und Englisch. In der Ausstellung und auf der begleitenden Website https://erinnerungsort-ihnestrasse.de finden sich zudem Erläuterungen in Leichter Sprache.
»Mit dem Erinnerungsort Ihnestraße setzen wir die jahrzehntealten Forderungen um, das Gebäude, das heute von der FU Berlin genutzt wird, als sensiblen Ort sichtbar zu machen«, sagt Historikerin Dr. Manuela Bauche, die an der Freien Universität Berlin zur Geschichte der Lebenswissenschaften des 19. und 20. Jahrhunderts forscht und Leiterin der neuen Dauerausstellung ist.
Der Präsident der Freien Universität Berlin, Prof. Dr. Günter M. Ziegler, betonte: »Es ist für mich etwas ganz Besonderes, dass wir jetzt den Erinnerungsort Ihnestraße eröffnen können. Die Freie Universität Berlin macht damit einen Ort sichtbar, an dem verbrecherische Forschung mit menschenverachtenden Prämissen betrieben wurde. Diese Sichtbarmachung hält uns dazu an, stets auch die ethische Verantwortung innerhalb von Forschungsprozessen zu reflektieren.«