Weltweit steht die Demokratie unter Druck und die Zahl der autoritären Regierungen steigt. Die neue zweiteilige 3sat-Dokumentation »Sterbende Demokratien« von Richard C. Schneider geht der Frage nach, ob der liberale Pluralismus ausgedient hat.
Der erste Teil mit dem Titel »Aufstieg der Populisten« blickt auf die übergreifenden Entwicklungslinien auf internationaler Ebene. Rechtspopulistinnen und -populisten sind weltweit auf dem Vormarsch und gefährden liberale Demokratien. Die Themen, mit denen sie werben, sind immer ähnlich: gegen Migranten, gegen Eliten, für die Nation. Am Beispiel der Niederlande und Frankreich zeigt der Film, wie erfolgreich Rechtspopulismus sich seinen Weg zur Macht ebnet. In Holland hat Geert Wilders eine Regierungskoalition bilden können, in Frankreich gewann die französische Partei Rassemblement National von Marine Le Pen die Europawahlen und legte auch bei den nationalen Parlamentswahlen zu. Le Pen will 2027 die Präsidentschaftswahlen gewinnen.
Die Aneinanderreihung von Krisen lässt die Menschen immer unsicherer werden und nach einfachen Antworten suchen. Der islamistische Terror seit 9/11, die Wirtschaftskrise 2008, die Migrationskrise 2015, die Covidkrise, der Ukraine-Krieg und nun auch noch die Krise im Nahen Osten: All das macht die Menschen zunehmend nervös, da sie ihren Wohlstand und ihr ruhiges Leben bedroht sehen. Rechtspopulistinnen und -populisten nutzen diese Situation aus, in dem sie Feindbilder kreieren, gegen die sie ihre jeweilige Nation verteidigen und schützen wollen. Sie behaupten, mit Ausgrenzung vor allem von Muslimen und Widerstand gegen »Brüssel«, also eine EU, die die nationale Selbstbestimmung untergrabe, ihr Volk schützen und retten zu können.
Im zweiten Teil mit dem Titel »Erosion von Innen« werden die Strategien aufgezeigt, mit denen der Rechtspopulismus innerstaatliche Säulen der Demokratie angreift. Dort, wo Rechtspopulisten bereits an der Macht sind, wird deutlich, wie sie Demokratien von innen erodieren lassen. Sie übernehmen demokratische Institutionen und machen sie bedeutungslos. Am Beispiel Ungarns und Italiens zeigt der Film, wie Rechtspopulistinnen und -populisten an der Macht vorgehen. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán gab ab 2010 das Drehbuch vor: Er änderte die Verfassung, entmachtete die Justiz, ruinierte die freie Presse. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni versucht nun das gleiche.
Bei der ungarischen Parlamentswahl 2010 gewann Viktor Orbán mit seiner Fidesz-Partei die Zwei-Drittel-Mehrheit – und damit die Verfassungsmehrheit. Orbán konnte sich also ohne Koalitionspartner oder sonstiger Hindernisse daranmachen, den Staat nach seinen Vorstellungen so umzubauen. Er änderte als erstes die Verfassung, danach entzog er dem Verfassungsgericht seine Kontrollmöglichkeiten über die Politik, besetzte Richterpositionen neu. Dasselbe tat er in den staatlichen Medien und entwickelte ein System für den Verkauf von Werbung und Anzeigen an Medien, die vom Staat kontrolliert wurden und nur noch an Medien gingen, die staatstreu waren, respektive von seinen Freunden aufgekauft und übernommen wurden. Das alles geschah im Rahmen des Gesetzes. Eines Gesetzes, das seine Partei regulär geschaffen hatte. Giorgia Meloni, gerade mal zwei Jahre im Amt, hat auch schon begonnen, das »Prinzip Orbán« umzusetzen.
Die Fragen, die sich für alle demokratischen Parteien Europas stellen: Sind sie in der Lage, gegen die populistische Gefahr zusammenzustehen? Können sie den Menschen in Europa ein politisches Angebot machen, das ihre Sorgen und Ängste berücksichtigt und so auch jene wieder für die liberale Demokratie zurückgewinnt, die ideologisch noch nicht ganz nach Rechtsaußen abgedriftet sind?