Seit einigen Jahren ist vermehrt zu beobachten, wie rechtsextreme Internetnutzerinnen und -nutzer die sozialen Medien für ihre Zwecke einsetzen. Insbesondere Memes werden als eine wirksame digitale Waffe im sogenannten Infokrieg erachtet. Memes können Bilder, Texte oder Tonaufnahmen sein, die oft, aber nicht immer einen humoristischen Inhalt haben und sich im Internet verbreiten. »Memes bieten der rechtsextremen Szene einen niederschwelligen Zugang, um nach innen ihre Positionen zu festigen und gemeinschaftsbildend zu wirken, während gleichzeitig auf vermeintlich harmlose Weise die rechtsextreme Ideologie nach außen vertreten wird«, sagt Dr. Konstanze N’Guessan von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Die Ethnologin erforscht seit drei Jahren die Strategien rechtsextremer Akteure und Akteurinnen im digitalen Raum.
Sylt-Video als Beispiel für die Verbreitung von Memes im Netz
Zu einem solchen Meme, das in den sozialen Medien durch die Decke ging, hatte sich vor ein paar Wochen der Techno-Hit »L’Amour Toujours« entwickelt. Die Tanzhymne war von Partygästen vor einem Nachtclub auf Sylt mit umfunktioniertem, ausländerfeindlichem Inhalt gesungen worden und eine Aufnahme davon wurde publik. Das Stück stammt ursprünglich von dem italienischen DJ Gigi D’Agostino und ist bereits über 20 Jahre alt. “Tatsächlich wurde der Song schon länger in rassistischen Zusammenhängen verwendet. Das Sylt-Video ist jetzt ein gutes Beispiel, wie ein Meme entsteht und sich immer weiter verbreitet, nämlich indem es andere zum Mitmachen auffordert”, so Konstanze N’Guessan. »Die Bilder verbreiten sich unter dem Deckmantel von Humor und Spaß – und das ist kein Zufall, sondern die Strategie von Akteuren der neuen Rechten, die das Feld klug bespielen.«
Spaß beim Erstellen von humoristischen Memes mit rechtslastigen Inhalten ist wichtiger Faktor
Spaß, Humor und Spiel sind wichtige Faktoren extrem rechter Meme-Praxis. Die Ethnologin hatte nach dem Prinzip der teilnehmenden Beobachtung im Internet Kontakt zu extrem rechten und rechtsaffinen Gruppen aufgenommen und Interviews geführt, um so Antworten auf ihre Fragen zu erhalten: Wer sind die Akteure von extrem rechter Meme-Praxis, was machen diese Akteure genau und warum machen sie es? »Es war eine Überraschung, wie offen und wie unproblematisch ich Zugang zu den Gruppen im Netz finden konnte«, so N‘Guessan. Wichtig ist ihren Erhebungen zufolge, dass die Meme-Praxis einen niederschwelligen Einstieg ermöglicht. »Memes haben sozusagen einen Mitmach-Moment und die neue Rechte hat es verstanden, solche Momente geschickt zu nutzen.«
Vor diesem Hintergrund ist auch das Sylt-Video zu sehen: Es ist ein Erfolg für die Rechte, wenn Parolen wie »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« unter vermeintlich »normalen« Leuten als Witz funktionieren. Posts und Kommentare zu dem Sylt-Video kamen sowohl von kritischen Stimmen als auch von der neuen Rechten, sodass unter den gleichen Schlagwörtern unterschiedliche Positionen immer größere Kreise zogen. »Hashtags wurden gekapert, um Begriffe zu besetzen und weitere Aufmerksamkeit zu erzeugen«, so die Expertin. Eine Schwierigkeit sieht sie darin, auf derartige Szenen kritisch einzugehen, ohne dadurch die Empörungsspirale zu befeuern. Im Zusammenhang mit den Aufmerksamkeitsökonomien sozialer Medien lassen sich auch drastische Gegenmaßnahmen, wie etwa das diskutierte Verbot des Lieds, als »Erfolg« für die extreme Rechte umdeuten.
Ethnologisches Teilvorhaben in dem Memes-Forschungsprojekt MISRIK
Konstanze N’Guessan leitet zusammen mit Dr. Jan Beek das ethnologische Teilvorhaben im BMBF-geförderten Verbundprojekt MISRIK (Meme, Ideen, Strategien rechtsextremistischer Internetkommunikation), das nach dreijähriger Laufzeit im Juli 2024 abgeschlossen wird. Das ethnologische Teilvorhaben PAMRIK an der JGU entwickelt Konzepte zum Verständnis der graduellen Mitgliedschaft in rechtsextremen Netzwerken, der affektiv-emotionalen Dimension und der Etablierung alternativer Wahrheitsbehauptungen von Netzaktivistinnen und Netzaktivisten der neuen Generation der Rechten in sozialen Medien. Die Ergebnisse werden für die Polizeiausbildung, für Fortbildungen insbesondere für die Kriminalpolizei und für eine breite Öffentlichkeitsarbeit vermittelt, um Polizeibeamt:innen bei konkreter Ermittlungsarbeit und Gefahreneinschätzung zu unterstützen und Bürger:innen über die Gefahren aufzuklären und für diese zu sensibilisieren.
Projektpartner bei MISRIK sind die TU Darmstadt und die Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS). Die Ergebnisse der Forschung fließen nicht nur in wissenschaftliche Publikationen ein, sondern auch in den Transfer in die Zivilgesellschaft, etwa mit der Broschüre »Kreative, ans Werk! Memes in extrem rechter Internetkommunikation«.