In einer großangelegten Studie hat ein internationales Forschungsteam in über 80.000 Anzeigen politischer Werbung auf Facebook und Instagram im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 analysiert. Demnach bevorzugen die Algorithmen von Meta offenbar Inhalte: Die AfD erhielt für ihr Geld bei Weitem die meisten Impressionen; die Grünen hingegen erzielten bei gleichem Budget die geringste Reichweite.
Vor politischen Wahlen läuft der Wahlkampf auf Hochtouren. Straßenlaternen und Grünstreifen sind gepflastert mit Plakaten, in den Talkshows tummeln sich die Spitzenkandidierenden. Und natürlich ist auch das Internet längst schon zum Schauplatz von Wahlwerbung aller Parteien geworden. »Mit rund 4,6 Milliarden Nutzerinnen und Nutzern weltweit haben sich Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram und Twitter/X zu wichtigen Instrumenten der politischen Kampagnenführung entwickelt«, sagt Professor Stefan Feuerriegel, Leiter des Institute of Artificial Intelligence (AI) in Management der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU).
Er ist Leiter einer großangelegten Studie, deren Ergebnisse kürzlich im Fachmagazin PNAS Nexus veröffentlicht wurden. Die Forschenden untersuchten demnach, wie ungleich der Kampf um die Wählerstimmen online abläuft. Dabei haben sie erhebliche Diskrepanzen aufgedeckt, was die Kosteneffizienz der Werbung und die Zielgerichtetheit der Anzeigen angeht. »Wir sehen eine deutliche systematische Verzerrung bei der Auslieferung politischer Anzeigen zwischen den Parteien«, sagt Feuerriegel.
Im Gegensatz zu Plakaten, öffentlichen Reden oder TV-Spots, erreicht Wahlkampf im Netz nämlich nicht immer alle Menschen gleichermaßen. Ein wichtiges Merkmal von Werbung in den sozialen Medien ist das sogenannte »Targeting«, das es Werbetreibenden ermöglicht, bestimmte Nutzergruppen auszuwählen und maßgeschneiderte politische Botschaften an diese zu senden. So kann man sicherstellen, dass die Inhalte mit den politischen Perspektiven der anvisierten Zielgruppe übereinstimmen.
Ist Wahlwerbung auf Social Media fair?
Was schon bei nichtpolitischer Werbung einen faden Beigeschmack hat, ist im Falle von Wahlwerbung äußerst bedenklich. »Wenn Parteien Anzeigen auf ein bestimmtes Publikum zuschneiden oder widersprüchliche Botschaften zu politischen Themen an unterschiedliche Zielgruppen senden, kann das die politische Teilhabe benachteiligter Gruppen einschränken«, so Feuerriegel. Erschwerend komme hinzu, dass die Algorithmen der Plattformbetreiber sich der gesellschaftlichen Kontrolle entziehen. Es sei kaum nachzuvollziehen, ob es dadurch zu Verzerrungen beim Ausspielen der Anzeigen kommt. »Wenn beispielsweise manche Parteien für ähnliche Anzeigen durchweg höhere Preise für politische Werbung zahlen als andere, schadet das dem politischen Wettbewerb.«
Kein Wunder also, dass zielgerichtete politische Werbung in sozialen Medien erhebliche Bedenken bei politischen Verantwortlichen sowie in Gesellschaft und Forschung hervorgerufen hat. Die Forderungen werden lauter, diese Form der Wahlwerbung besser zu überwachen, um die demokratische Integrität zu gewährleisten. Der öffentliche Druck und regulatorische Bemühungen (z. B. der Digital Services Act der Europäischen Union) haben soziale Medienplattformen inzwischen dazu gebracht, Daten zu politischen und sozialen Anzeigen einsehbar zu machen, sodass Forschende sie in großem Maßstab untersuchen können.
Für die neue Studie analysierte das Team politisches Targeting auf Facebook und Instagram. Der Datensatz umfasste über 80.000 politischen Werbeanzeigen im Zusammenhang mit dem Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021. Die Anzeigen wurden von Parteien des gesamten politischen Spektrums geschaltet und erzielten insgesamt mehr als 1,1 Milliarden Impressionen. »Unsere Analysen bieten einen einzigartigen Einblick in die Targeting-Strategien aller Parteien bei einer Wahl mit mehr als 60 Millionen Wahlberechtigten«, meint Feuerriegels Doktorand und Erstautor der Studie Dominik Bär.
Algorithmus belohnt Populismus und verstärkt Stereotype
Anhand dieser Daten untersuchten die Forschenden, in welchem Ausmaß die Parteien gezieltes Targeting nutzten und inwieweit die Kosten für die Werbung (Impressionen pro eingesetztem Euro) variierten. »Wir stellen fest, dass zielgerichtete Werbung über das gesamte politische Spektrum hinweg genutzt wird«, so Bär. »In der Zeit vor der Wahl verwendeten über 70 Prozent aller Anzeigen Targeting.«
Allerdings waren nicht alle Parteien damit gleichermaßen erfolgreich: »Wir finden erhebliche Unterschiede in der Reichweite bei einem gegebenen Budget«, sagt Feuerriegel. Die Grünen bilden das Schlusslicht und bekamen die wenigsten Impressionen für ihr Geld. Am besten schnitt hingegen die rechtspopulistische AfD ab – ihre Werbung war fast sechsmal so kosteneffizient wie die der Grünen. »Der größere Erfolg der AfD-Werbung könnte darauf zurückzuführen sein, dass aufrührerische politische Themen, die von populistischen Parteien propagiert werden, in den sozialen Medien in der Regel große Aufmerksamkeit erregen.« In der Folge würden die Algorithmen Kampagnen mit entsprechenden Inhalten bevorzugt ausspielen.
Eine weitere Erkenntnis der Studie: Bei allen Parteien kam es zu Diskrepanzen zwischen der eigentlich angestrebten und der tatsächlich erreichten Zielgruppe. Während die meisten Parteien ein tendenziell jüngeres Publikum erreichten, als geplant, verschob sich der gewünschte Altersbereich bei der AfD nach oben. Fast alle Parteien erreichten mehr Männer als anvisiert, nur bei den Grünen waren es umgekehrt mehr Frauen. Feuerriegel und seine Kollegen vermuten, dass die Algorithmen basierend auf bekanntem Wählerverhalten Anzeigen verzerrt ausspielen.
»Unsere Ergebnisse verdeutlichen die komplexe Beziehung zwischen digitalen Wahlkampfstrategien und demokratischen Prozessen und mahnen zur Vorsicht, wenn Algorithmen den Erfolg von Wahlkampagnen beeinflussen«, sagt Bär. »Außerdem ist mehr Transparenz der Plattformen im Hinblick auf politische Werbung nötig, um faire und sichere Wahlen zu gewährleisten«, fügt Feuerriegel an.