Immer weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen können uns heute noch von den Grauen des Zweiten Weltkriegs berichten. Darum stellt das Projekt LediZ (Lernen mit Digitalen Zeugnissen) auf seiner Website neue digitale Medienformate bereit, die auch in Zukunft das Gespräch mit Holocaust-Überlebenden ermöglichen. Geleitet wird das Projekt von Prof. Dr. Anja Ballis, Inhaberin des Lehrstuhls Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur sowie Deutsch als Zweitsprache an der LMU München.
Es fühlt sich beinahe an wie eine Videokonferenz: Über Mikrofon oder Texteingabe auf dem Mobiltelefon oder Computer kann man Abba Naor, Eva Umlauf und Zilli Schmidt, die als Juden bzw. Jüdinnen oder Sinti und Roma verfolgt wurden, eigene Fragen stellen und bekommt mittels Sprachverarbeitung Antworten. Bislang war dies lediglich auf Deutsch möglich, doch nun haben Prof. Dr. Christina Sanchez-Stockhammer, Inhaberin der Professur Englische und Digitale Sprachwissenschaft, Antonia Friebel und ihr Team an der Technischen Universität Chemnitz die Videointerviews von Abba Naor englisch untertitelt und mit einer eigenen Chatbot-Zugriffsstruktur versehen. Das Online-Tool schlägt auch mögliche Fragen vor – etwa zu Abba Naors Familie oder seinen Erfahrungen im Konzentrationslager.
»Wir finden Abba Naors Erinnerungen so wichtig, dass wir sie mit der ganzen Welt teilen möchten. Darum haben wir sie auf Englisch übersetzt«, so Sanchez-Stockhammer. »Dank der Untertitel können viel mehr Menschen seine Botschaft verstehen. Gleichzeitig vermittelt Abba Naors Stimme direkt seine Emotionen.« Ziel war es, Abba Naors Antworten so originalgetreu wie möglich zu übertragen. »Darum erscheinen die Untertitel genau dann, wenn Abba Naor spricht. So kann man sich besser auf seine Körpersprache konzentrieren, wenn er etwa nach Worten sucht«, erläutert Friebel, die ihre Dissertation im Rahmen des Projekts schreibt.
Damit das interaktive digitale Zeugnis ganz einfach im englischsprachigen Geschichtsunterricht und im Englischunterricht an Schulen und Universitäten eingesetzt werden kann, haben die Wissenschaftlerinnen eine Handreichung mit Unterrichtsvorschlägen für Lehrkräfte geschrieben und ein Erklärvideo erstellt. Sanchez-Stockhammer hofft: »Indem wir Schülerinnen und Schüler im individuellen Dialog an Abba Naors Geschichte heranführen, möchten wir einen Beitrag dazu leisten, dass die Gräueltaten des Holocausts nicht vergessen werden.«