Die Berichterstattung des Recherchenetzwerks Correctiv über ein geheimes Treffen von Rechtsextremist:innen und AfD-Mitgliedern im vergangenen Herbst in Potsdam hat eine Welle von Demonstrationen in ganz Deutschland ausgelöst. Zu diesen Protesten gegen Rechtsextremismus tauchen laut Beobachtungen des »German-Austrian Digital Media Observatory« (GADMO) verstärkt Falschmeldungen im Internet auf. EU-weit seien hingegen Falschinformationen zu den Bauernprotesten momentan das größte Thema.
Zehntausende Menschen versammelten sich am 19. Januar 2024 am Hamburger Jungfernstieg, um gegen den Rechtsruck in Deutschland zu protestieren. Beim Messenger-Dienst Telegram machte hingegen ein Beitrag die Runde, in dem behauptet wurde, es seien deutlich weniger Menschen bei diesr Demonstration gewesen. Der Beitrag war mit zwei Fotos vom Jungfernstieg versehen: Eines zeigt wenige Leute, das andere sehr viele – angeblich sei das zweite Bild jedoch bearbeitet, um die Demonstration größer aussehen zu lassen. Das ist ein Beispiel für die zahlreichen Fake News, die aktuell zu den Demonstrationen in Deutschland auf Social-Media-Plattformen oder in Messenger-Apps im Umlauf sind.
GADMO hat sich zum Ziel gesetzt, Des- und Falschinformationen koordiniert zu bekämpfen. Dazu arbeiten mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa), der Agence France Press (AFP), der Austria Presse Agentur (APA) und Correctiv die führenden Faktencheck-Organisationen im deutschsprachigen Raum zusammen. Sie kooperieren im Projekt mit den Kommunikations- und Datenwissenschaftler:innen des Instituts für Journalistik (IJ) und der Fakultät Statistik der TU Dortmund sowie des AIT Austrian Institute Of Technology. »Häufig verbreiten sich Desinformationskampagnen im Netz sehr viel effektiver als herkömmliche Informationen, auch weil sie emotional starke Reaktionen hervorrufen, auf Sozialen Netzwerken vielfach geteilt werden und oftmals Verschwörungsnarrative bedienen«, sagt Prof. Christina Elmer, Professorin für Digitalen und Datenjournalismus am IJ. Sie leitet die Forschung von GADMO und koordiniert das gesamte Projekt. »Unabhängige Medien können mit ihren Recherchen und Faktenchecks dabei helfen, die Faktenbasis wiederherzustellen, die für den gesamtgesellschaftlichen Diskurs elementar ist.«
Zwei Narrative: Demos seien kleiner gewesen oder gänzlich inszeniert
Hauptsächlich werden, so die GADMO-Analyse, bei den Fake News zu den Demonstrationen zwei Narrative transportiert: Erstens, dass die Größe der Demonstrationen übertrieben sei. Als Belege dienen etwa Bilder, die angeblich manipulierte Fotos zeigen – so wie bei den Protesten in Hamburg – oder nachweislich das Foto einer anderen Veranstaltung, etwa einer sehr kleinen Demonstration zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Dresden. Das zweite Narrativ, das stark verbreitet wird, besagt, dass die Demonstrationen inszeniert worden seien. Als Beleg dient etwa ein gefälschtes Inserat einer Stadtverwaltung, mit dem diese angeblich Statist:innen als Demo-Teilnehmende für eine Videoaufnahme anwerben wollte. Dabei handelt es sich jedoch um ein Inserat einer Casting-Agentur aus dem Jahr 2022, die Statist:innen für eine Filmsequenz suchte. In einem anderen Beitrag wird eine als Scherzartikel online erhältliche Antifa-Karte als Beleg für die Bezahlung von Demonstrant:innen herangeführt.
GADMO ist ein Teil des europaweiten »European Digital Media Observatory«, kurz EDMO, das von der EU-Kommission gefördert wird. Die EDMO-Partner – 14 Hubs, die alle 27 EU-Mitgliedsstaaten sowie Norwegen abdecken – registrieren ebenfalls Fake News im Zusammenhang mit den Demonstrationen in Deutschland. Auch hier finden sich Falschmeldungen, allerdings andersherum: Dort werden Fotos und Videoaufnahmen der großen Demonstrationen aus Deutschland in einen falschen Zusammenhang gesetzt und beispielsweise als Eindrücke von propalästinensischen Demonstrationen oder von den Bauernprotesten dargestellt, die ebenfalls seit einigen Wochen in Deutschland, aber auch in anderen Ländern Europas stattfinden.
EU-weit registriert EDMO momentan insbesondere zu den Bauernprotesten sehr viele Falschinformationen. Diese Proteste wurden auch zur Verbreitung von Anti-EU-Narrativen oder russischen Propagandabotschaften genutzt. So protestierten die Landwirte in Deutschland angeblich, weil die Regierung »das ganze Geld in die Ukraine« schicke oder zu viele Mittel für die Unterstützung von Einwanderern ausgebe. »Die genannten Kampagnen sind gute Beispiele dafür, dass Desinformation sehr häufig auch politisch motiviert ist. Im Superwahljahr 2024 ist es daher umso wichtiger, die Themen, Erzählmuster und dahinterliegenden Strategien im Blick zu behalten«, sagt Prof. Elmer. »Wir bereiten uns daher im EDMO-Netzwerk auch bereits auf mögliche Kampagnen rund um die Europawahl vor.«