Studie: Dezentrale Klima-Proteste erhöhen Reichweite

Die eigene Teilnahme an einer Klimademonstration hängt auch davon ab, wie groß sie sein wird. Wer eine größere Demo erwartet, geht weniger wahrscheinlich selbst hin. Dies belegen Forschende von der Universität Hamburg im Fachjournal »Nature Climate Change«.

Massenproteste sind ein wichtiger Antrieb für die Politik, ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Aber woran entscheidet sich, ob eine Protestbewegung wächst oder abebbt? Die Studie des Exzellenzclusters für Klimaforschung CLICCS zeigt am Beispiel des globalen Klimastreiks 2019, dass es für die Entscheidung, ob sie an einer Demo teilzunehmen, für viele Menschen in Deutschland eine Rolle spielt, wie viele Teilnehmende zu einer Klimademonstration erwartet werden. Die Strategie von »Fridays for Future«, statt einer zentralen Veranstaltung viele lokale Proteste zeitgleich zu organisieren, motiviert demnach eine höhere Zahl von Menschen.

In einer dreistufigen Umfrage mit mehr als 1.500 Befragten konnten Dr. Johannes Jarke-Neuert, Prof. Dr. Grischa Perino und Henrike Schwickert den Zusammenhang zwischen erwarteter Zahl an Demonstrierenden und einer eigenen Teilnahme belegen. »Wenn die Demonstrationen größer werden, übersteigen offenbar für einige die ‚Kosten‘ eines Besuchs den Nutzen«, sagt Grischa Perino, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg.

So fühlen sich manche in großen Menschenmengen unwohl oder scheuen die Anreise wegen überfüllter Bahnen. „Wer dann gleichzeitig davon ausgehen kann, dass die Demo ohnehin groß genug wird, um seinem Anliegen Aufmerksamkeit zu bescheren, bleibt eventuell lieber zuhause“, sagt Perino. „Auch in der Klimabewegung spielt das sogenannte Trittbrettfahren eine messbare Rolle. Man lässt andere die Arbeit machen und kann trotzdem vom Erreichten profitieren.“

Im Herbst 2019 wurden zum Klimaprotest erstmals auch ausdrücklich Erwachsene eingeladen. Die Proteste fanden gleichzeitig und dezentral in ganz Deutschland statt. Die Studie wurde in Berlin, Hamburg, Köln und München durchgeführt, wo größere Demos erwartet wurden.

Die Befragten waren 18 bis 75 Jahre alt. Sie stammten aus der breiten Bevölkerung und im Gegensatz zu anderen Studien nicht ausdrücklich aus dem Umfeld von Klimaprotest-Sympathisierenden. Im Vorfeld sollten sie einschätzen, wieviel Prozent der Befragten insgesamt am Klimastreik in der eigenen Stadt teilnehmen würden, und angeben, ob sie selbst wahrscheinlich dabei sein würden. Rund ein Viertel beantwortete Letzteres mit Ja.

In einer zweiten Befragung kurz vor der Demo wurde dieses Ergebnis einem Teil der Gruppe mitgeteilt. Eine Vergleichsgruppe erhielt diese Information nicht. Beide konnten ihre Einschätzung der Gesamtbeteiligung korrigieren. Auf diese Weise wurden die Erwartungen über die Größe der örtlichen Demo für einen zufällig ausgewählten Teil der Befragten verändert. Ziel dieses Vorgehens war, die Wirkung auf die Entscheidung zur Teilnahme sauber von anderen Faktoren wie politischen Einstellungen zu trennen. In einer dritten Befragung nach dem Klimastreik gaben alle an, ob sie tatsächlich dort gewesen waren oder nicht.

Der Vergleich der Gruppen zeigte: Diejenigen, die aufgrund der Information die eigene Schätzung nach oben korrigiert hatten, nahmen später im Schnitt signifikant weniger teil als Personen aus der Vergleichsgruppe ohne Zusatzinformation. Wurde die eigene Schätzung jedoch nach unten korrigiert, wurde die eigene Teilnahme wahrscheinlicher.

Die Forschenden attestieren den Klimaaktiven von »Fridays for Future«, dass ihre Strategie, deutschlandweit viele kleinere dezentrale Proteste zu organisieren, dabei helfe, insgesamt möglichst viele Menschen zu motivieren. Aus der Studie folgt auch ein ganz praktischer Tipp: »Im Vorfeld einer Demo sollte das Organisationsteam bei einer Schätzung der Teilnehmenden nicht übertreiben«, so Grischa Perino. Das könnte Leute vom Besuch abhalten, da die Bereitschaft, selbst teilzunehmen, bei mittelgroßen Demos höher ist als bei sehr großen. Die Erkenntnisse der Studie verbessern nach Auffassung der Forschenden das Verständnis, wie Gesellschaften auf die Herausforderungen des Klimawandels reagieren und welche zukünftigen Entwicklungen plausibel sind.

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