Forschende unter Federführung der TU Graz haben einen grundlegenden Wandel in der Kommunikation US-amerikanischer Politiker:innen in den sozialen Medien nachgewiesen.
Wenn republikanische Kongressabgeordnete in sozialen Medien ihre Meinungen verkünden, verweisen sie dabei zunehmend auf Nachrichtenseiten von schlechter Qualität. Diesen Trend konnten Forschende der TU Graz, der University of Bristol und der Universität Konstanz nun genauer erklären: Dass Teile der Gesellschaft die Verbreitung von Fehlinformation billigen, könnte unter anderem an einem sich wandelnden Verständnis von Ehrlichkeit liegen dann auch Personen, die es mit den Fakten nicht so genau nehmen, können als ehrlich gelten – nämlich, wenn sie ihre Meinung authentisch vertreten.
3,8 Millionen Tweets untersucht
Das Team um Jana Lasser an der TU Graz hat 3,8 Millionen Twitter-Beiträge analysiert, die demokratische und republikanische Kongressabgeordnete zwischen 2011 und 2022 gepostet hatten. Es stellte sich heraus, dass die Vertreter:innen beider Lager seit dem Wahlsieg Donald Trumps Ende 2016 verstärkt darauf setzten, anstelle von Fakten ihre Meinung und Überzeugungen mitzuteilen – die Forschenden nennen diese Art zu kommunizieren »Believe-Speaking«. Im Gegensatz zu den Demokrat:innen verwiesen die Republikaner:innen dabei zunehmend auf Nachrichtenseiten von geringer Qualität. Beim Teilen von Informationen mit Fokus auf objektiv verifizierbaren Fakten (»Fact-Speaking«) hingegen verwiesen die Abgeordneten beider Parteien gleichermaßen auf Quellen hoher Qualität und Vertrauenswürdigkeit.
Erweiterter Ehrlichkeitsbegriff
»Wir wollten herausfinden, welche Gründe und gesellschaftlichen Veränderungen dazu beitragen, dass Menschen wenig vertrauenswürdige Informationen teilen«, sagt Jana Lasser. Mit ihrem Team konnte sie den Zusammenhang zwischen einer Veränderung des Verständnisses von ‚Ehrlichkeit‘ und der Verbreitung von Falschinformation belegen. Die Forschungsergebnisse sind jüngst in dem Fachmagazin Nature Human Behaviour erschienen.
Mit einer neuartigen Methode können die Forschenden die Sprachmuster »Believe-Speaking« und »Fact-Speaking« erkennen und messen. Gemeinsam mit Sprachforscher:innen und Testpersonen haben sie zwei Wörterbücher mit Begriffen erstellt, die diese mit authentischer Meinungsäußerung (Believe-Speaking) und faktenbasiertem Informieren (Fact-Speaking) assoziieren. Diese Begriffe wurden computergestützt um verwandte Ausdrücke erweitert und in Zahlenwerte übersetzt, die jeweils ein Wort im Kontext der gesamten Sprache repräsentieren. »Mit diesen Werten können wir den Abstand eines Wortes oder eines gesamten Wörterbuchs zu sämtlichen Begriffen der englischen Sprache berechnen«, erklärt Lasser. So konnten dann die Texte der Tweets der Kongressabgeordneten ausgewertet werden: Jeder Tweet erhielt einen Score für das Sprachmuster Believe-Speaking und einen Fact-Speaking-Score.
Warum seine Wähler:innen Trump für ehrlich halten
»Die Differenzierung zwischen Fact-Speaking und Belief-Speaking könnte erklären, warum drei Viertel der republikanischen Wähler*innen Donald Trump für ehrlich halten, trotz seiner zahlreichen falschen und irreführenden Aussagen«, sagt Stephan Lewandowsky, Professor für Kognitive Psychologie an der University of Bristol. »Denn eine Facette von Ehrlichkeit ist, Überzeugungen aufrichtig zum Ausdruck zu bringen, unabhängig davon, ob sie korrekt sind oder nicht.«
Um die Qualität der verlinkten Websites zu bewerten, griffen die Forschenden auf Daten der Fact-Checking-Organisation NewsGuard zurück. NewsGuard hat seit 2018 mehrere Tausend Nachrichtenseiten hinsichtlich journalistischer Qualitätsstandards untersucht und auf einer Skala von 0 (sehr unglaubwürdig) bis 100 (sehr glaubwürdig) eingestuft.
Mit statistischen Modellen konnten Lasser und ihre Kolleg:innen für die republikanischen Abgeordneten einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Sprachmuster Believe-Speaking und der Verlinkung von schlecht bewerteten Quellen feststellen. »Bei der Verbreitung ihrer Meinung und Überzeugungen auf Twitter entwickeln sich die Republikaner immer mehr in Richtung von Rechtspopulisten«, sagt Lasser. »Vor einigen Jahren war die Qualität der verlinkten Websites noch vergleichbar mit denen, die CDU-Abgeordnete in Deutschland teilen. Mittlerweile ist das Niveau auf das der AfD gesunken.«
Klare Sprachsignale identifiziert
Die Forschungsergebnisse könnten Nutzer:innen sozialer Medien künftig helfen, die Qualität der Inhalte besser zu bewerten. »Unsere Analyse hat klare Sprachsignale identifiziert, die mit der Weitergabe von wenig vertrauenswürdigen Informationen einhergehen«, sagt Lewandowsky.
Die aktuelle Veröffentlichung basiert auf vorhergehenden Arbeiten, in denen das Autor:innenteam die zunehmende Verbreitung von wenig vertrauenswürdiger Information durch republikanische Kongressabgeordnete nachgewiesen hat.