Empören, diffamieren, canceln: So werden kontroverse Diskurse zunehmend unmöglich. Unter welchen Bedingungen sie gelingen können, zeigen Prof.in Dr.in Isabelle Ihring und Prof. Dr. habil. Björn Kraus von der Evangelischen Hochschule Freiburg exemplarisch auf. Deutlich wird dabei ihr gemeinsames Interesse, Diskursräume zu öffnen – gerade auch in Auseinandersetzung um kontroverse Standpunkte.
Öffentliche Debatten sind meist polarisierend und emotional aufgeladen: und nicht nur dann, wenn es um Identität, Gewalt, Macht und Herrschaft geht. »Doch das verhindert einen respektvollen und lösungsorientierten Austausch«, sind sich Ihring und Kraus einig. Beide Wissenschaftler:innen halten die enger werdenden Diskursräume für gefährlich. »Hochschulen sind wichtige Orte, an denen Diskurse nicht nur geführt werden«, so Kraus, »sondern an denen dazu qualifiziert wird, wie begründete Positionen entwickelt und ergebnisoffen diskutiert werden.«
Die beiden Professor:innen vermitteln durch ausgewählte »Blitzlichter« im aktuellen Hochschulmagazin ev.olve »Solidarität«, wie weit Diskursräume sein können und müssen. Gleichwohl ist ihnen klar, dass im Rahmen nur kurzer Textformate – ob geschrieben oder gesprochen – keine differenzierte Darstellung ihrer Positionen oder der Diskurse, an denen sie sich beteiligen und die sie miteinander führen, möglich ist. Beide sehen die Gefahr, dass das, was sie sagen, immer auch als Gegenposition gelesen werden kann: auch deshalb, weil sie als Gegensätze wahrgenommen werden (Mann/Frau, schwarz/weiß).
Isabelle Ihring ist Professorin für Jugend und Soziale Arbeit. Sie bewegen wissenschaftliche Analysen zu (globaler) Ungleichheit, »auch jene aus Teilen der Welt, die hier nur wenig Gehör finden.« Sie treiben Ihring an, sich mehr für globale Gerechtigkeit einzusetzen, daher versteht sie sich auch als Aktivistin. Zumal Soziale Arbeit auch ein politisches Mandat habe, was für die Professorin bedeutet, sich für marginalisierte Menschen(-gruppen) zu engagieren. »Den Vorwurf, emotionale Involviertheit und Aktivismus wären einer guten Wissenschaftlerin abträglich, teile ich nicht. Hätten Wissenschaftler*innen sich nicht auch von ihren Emotionen antreiben lassen, gegen Ungerechtigkeiten aufzustehen, gäbe es heute keine Gender Studies, keine Critical Race Theory und Ähnliches«, betont Ihring.
Björn Kraus befasst sich mit den Formen der »Cancel Culture«, die Professor:innen erleben. Der Professor für Wissenschaft Soziale Arbeit betont, dass Urteile darüber, wer wozu sprechen dürfe – und vor allem, wer nicht – in unterschiedlichen Lagern meist vergleichbaren Mustern folge. »Sowohl meine Kollegin als auch ich sind damit konfrontiert, dass mit Blick auf zugeschriebene äußerliche Kriterien Redeverbote erteilt werden. Sie solle oder könne sich als schwarze Frau nicht äußern und ich nicht als weißer Mann. In beiden Fällen gibt es sowohl bei Begründungen als auch bei den Konsequenzen Gemeinsamkeiten.« Als Grundlage solcher Einschränkungsversuche werde nicht die Qualität der jeweiligen wissenschaftlichen Arbeit angeführt, sondern einzelne Aspekte, »die der Person zugeschrieben werden«, kritisiert Kraus: »Die Folge ist die Unterdrückung unserer Forschungsergebnisse, Positionen und Argumente.«