In vielen Kommunal- und Landtagswahlen wurde das Wahlalter auf 16 Jahre herabgesetzt. An der Befähigung 16- und 17-Jähriger zu politischer Teilhabe gibt es nach Ansicht des Politikwissenschaftlers der Freien Universität Berlin, Prof. Dr. Thorsten Faas keine Zweifel. Allerdings stiften die unterschiedlichen Wahlaltersgrenzen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene Verwirrung. Das belegt eine neue Studie, für die Jugendliche unter anderem zum »Superwahltag« in Berlin im September 2021 befragt wurden.
Elf Bundesländer haben das Wahlalter für Kommunal- oder Landtagswahlen auf 16 Jahre gesenkt. Die Ampelkoalition möchte dies auch für Bundestagswahlen tun – hat dafür aber keine eigene verfassungsändernde Mehrheit. Dabei sorgen unterschiedliche Wahlaltersgrenzen in einem Bundesland für Verwirrung unter jungen Menschen, zeigt eine neue Studie der Otto Brenner Stiftung. Die Politikwissenschaftler Thorsten Faas, Professor an der Freien Universität Berlin, und Arndt Leininger, Inhaber der Juniorprofessur Politische Forschungsmethoden an der Technischen Universität Chemnitz, befragten dafür mehr als 5.000 junge Berliner:innen zwischen 15 und 20 Jahren im Rahmen der Wahlen vom 26. September 2021. Neben den Berliner Abgeordnetenhaus- und Kommunalwahlen, die nun am 12. Februar wiederholt werden, fanden damals zeitgleich die Bundestagswahl sowie ein Volksentscheid statt. Nur für die Kommunalwahl galt das Wahlalter 16.
»Wir sehen, dass der Flickenteppich aus Wahlaltersgrenzen zu erheblichen Fehlwahrnehmungen unter jungen Menschen geführt hat«, betont Politikwissenschaftler Thorsten Faas. So zeigen die Befunde etwa, dass rund zehn Prozent der 16- und 17-Jährigen nicht von ihrer Wahlberechtigung für die Kommunalwahl wussten. Diese Problematik verschärfe sich noch unter dem Blickwinkel demokratischer Gleichheit, ergänzt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung: »Insbesondere Jugendliche, die sich selbst der ‚Unterschicht‘ zuordnen, verzeichnen die höchsten Fehlwahrnehmungen, blieben also im schlimmsten Fall den Wahlen aus Unwissenheit fern.« Die Uneinheitlichkeit der Wahlaltersgrenzen verstärke einen allgemeinen Trend zur sozial ungleichen Wahlbeteiligung, der »besorgniserregend« sei, so Legrand weiter. Eine stärkere egalisierende Mobilisierung über die Schulen sei bei abgesenktem Wahlalter dringend notwendig.
Zugleich bestätigt die Studie Befunde, dass die Jugendlichen hinsichtlich ihrer politischen Reife jungen Erwachsenen ebenbürtig sind. »Unsere Befragungen zeigen, dass es weiterhin wenig Anlass gibt, an der Befähigung 16- und 17-Jähriger zu politischer Teilhabe auch auf Bundesebene zu zweifeln«, führt Autor Arndt Leininger aus. Im Gegenteil, sprächen die Befunde der Studie eher dafür, das Wahlalter nicht nur und auch nicht zuerst auf kommunaler Ebene zu senken. »Emotional abgeholt« würden junge Menschen vor allem mit einem abgesenkten Wahlalter auf Bundesebene, heißt es dazu in der Studie. Hier sei die Freude über die Wahlberechtigung bei 18-Jährigen, aber auch der Ärger über eine verweigerte Wahlmöglichkeit bei den 15- bis 17-Jährigen mit Abstand am größten. Folgerichtig spricht sich eine Mehrheit der Befragten für ein Wahlalter von 16 Jahren auf Bundesebene aus.
Ergänzt wurde die Untersuchung um eine erneute Befragung von rund 2.000 17- bis 27-Jährigen Menschen in Brandenburg und Sachsen, die bereits 2019 an der durch die Otto Brenner Stiftung geförderten ‚Jugendwahlstudie 2019‘ teilgenommen hatten. Diese hatte Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen jungen Menschen in Brandenburg, mit einem Wahlalter von 16 Jahren, und Sachsen (Wahlalter 18 Jahre) erhoben. »Die wiederholte Befragung bekräftigt die Ergebnisse der Berliner Befragung«, so Thorsten Faas, und zeigt, »dass die Unterstützung für das ‚Wählen mit 16‘ auf Bundesebene dort, wo junge Menschen bereits Erfahrungen mit dem abgesenkten Wahlalter machen konnten, deutlich größer ist.«
Sollten die Parteien der Ampelkoalition und die Union zu keiner Einigung über die Absenkung des Wahlalters im Bund kommen, werde sich die Vielfalt unterschiedlicher Wahlaltersregelungen weiter vergrößern, womit es für junge Menschen auf absehbare Zeit unnötig schwer bliebe, beim Thema »Wahlalter« den Überblick zu behalten, gibt die Stiftung zu bedenken.