Im CovSocial-Projekt untersuchen Forschende aus der Forschungsgruppe Soziale Neurowissenschaften der Max-Planck-Gesellschaft, wie sich die COVID-19 Pandemie auf die psychische Gesundheit und den sozialen Zusammenhalt in Berlin in den Pandemiejahren 2020 bis 2022 auswirkt. Die ersten Ergebnisse des Projekts wurden nun in zwei Veröffentlichungen in den Fachmagazinen »Frontiers in Psychiatry« »International Journal of Environmental Research and Public Health« publiziert.
Die COVID-19 Pandemie und die damit verbundenen Lockdowns haben die Gesellschaft vor unerwartete Herausforderungen gestellt. Insbesondere für die psychische Gesundheit kann eine solche Krise verbunden mit dem Wegfall sozialer Kontakte verheerende Folgen haben. Die Bedeutung des sozialen Miteinanders für die Psyche hat seit langem einen anerkannten Stellenwert. Dennoch findet in der Psychologie die Debatte um soziale Kohäsion, also den sozialen Zusammenhalt von Menschen in einer Gesellschaft, relativ selten statt.
In der CovSocial-Studie haben mehr als 3.500 Personen über eine mobile App Fragen zu ihrem subjektiven Erleben vor der Pandemie im Januar 2020, während des ersten Lockdowns im März 2020 und nach den Lockerungen im Juni 2020 beantwortet. »Die Ergebnisse zeigen, dass der erste Lockdown im März und April 2020 zu einschneidenden psychischen Belastungen wie erhöhtem Stress, Einsamkeit, Depressivität und Ängstlichkeit geführt hat. Sozialer Zusammenhalt zeigte sich dabei sowohl als gefährdender als auch als schützender Faktor für die Psyche«, sagt Projektleiterin Tania Singer.
Geringer sozialer Zusammenhalt im ersten Lockdown
Aus der psychosozialen Katastrophenforschung ist bekannt, dass viele Menschen mit prosozialem Verhalten und sozialem Engagement anstatt mit Egoismus auf kollektive Stresssituationen reagieren. Oftmals zeigen Menschen auch ein »Tend-and-Befriend«-Verhalten in stressigen Zeiten, das bedeutet, sie zeigen mehr Kooperation und Nächstenliebe und schließen sogar neue Freundschaften. Sozialer Zusammenhalt ist somit eine Bewältigungsstrategie in Krisenzeiten, die es ermöglicht, sich besser an die schwierigen neuen Lebensbedingungen anzupassen.
Im Gegensatz zu diesen Erkenntnissen zeigt die Studie des CovSocial-Projekts für den ersten Lockdown der COVID-19 Pandemie ein ganz anderes Bild: Anstatt eines Anstiegs an sozialem Miteinander sank die soziale Kohäsion zunächst. »Die geforderte soziale Distanz und Isolation hat vermutlich verhindert, dass wir Unterstützung und Hilfe durch andere auf den bisher gängigen Wegen geben und erhalten konnten«, sagt Dr. Sarita Silveira, Postdoktorandin in der Forschungsgruppe und Erstautorin der Publikationen.
Ein weiterer überraschender Befund sei gewesen, dass vor allem diejenigen Personen von den Folgen des ersten Lockdowns auf die psychische Gesundheit besonders betroffen waren, die zuvor eigentlich hohe Ausprägungen der sozialen Kohäsion hatten. »Obwohl soziale Kohäsion normalerweise ein Resilienzfaktor ist, war vermutlich die plötzliche Isolation für die Sozialeren unter uns erst einmal ein Schock, weil für diese die üblichen sozialen Bewältigungsstrategien wegfielen, wie etwa Treffen mit Freund*innen oder Nachbar*innen. Für soziale Kontakte mussten diese Menschen erst neue Wege finden, etwa über Online-Plattformen oder Nachbarschafts-Apps«, sagt Tania Singer. In der Studie zeigt sich aber auch, dass diejenigen, die es geschafft haben, ihre sozialen Beziehungen während des Lockdowns aufrechtzuerhalten, sich in der Phase der Lockerungen im Juni 2020 deutlich besser von den psychischen Belastungen erholen konnten. »Die Pandemie war nicht nur eine gesundheitliche Krise, sondern auch eine soziale Krise. Sie zeigt, wie wichtig die Förderung des sozialen Miteinanders für den Umgang mit kollektiven Krisen ist – auch in der sozialen Isolation«, sagt Sarita Silveira.