Politikvertrauen als Grundbedingung für funktionierende Demokratien

Ein Interview mit Politik- und Verwaltungswissenschaftler Prof. Dr. Stephan Bröchler über Politikvertrauen und Wahlen.

Heute konstituiert sich die »Expertenkommission Wahlen in Berlin«. Sie besteht aus 21 Mitgliedern aus unterschiedlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und hat den Auftrag, die im Zusammenhang mit dem Superwahltag am 21. September aufgetreten Fehler zu analysieren und generelle Änderungsvorschläge zu erarbeiten. Prof. Dr. Stephan Bröchler von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) ist Mitglied dieses Sachverständigengremiums.

Welche Wörter fallen Ihnen spontan zum Begriff “Politik” ein?

Politik ist facettenreich. Spontan kommen mir die Begriffe Gestaltung, Konflikt, Konsens, Verhandlung, Kompromiss und Verantwortung in den Sinn.

Im Zweifelsfall ist immer die Politik schuld. Ist das so?

Aus Sicht der Politik- und Verwaltungswissenschaft trifft diese generalisierende Aussage sicher nicht zu. Interessant ist, weshalb der Politik eine so offensichtlich große Bedeutung für die Lösung von Problemen zugewiesen wird. Der Grund ist, dass Politik große Verantwortung trägt. Das politische System hat die Herkulesaufgabe, verbindliche Entscheidungen im öffentlichen Interesse für die ganze Gesellschaft zu treffen und umzusetzen. In einer funktionierenden Demokratie wie Deutschland ist es Teil der politischen Kultur, dass sich Unzufriedenheit und Kritik äußern. Unmut an Politik ist jedoch nicht zu verwechseln mit Ablehnung der Demokratie. Im Gegenteil: Studien zeigen übereinstimmend, dass der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung mit der bundesdeutschen Demokratie zufrieden ist.

Weshalb ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik so wichtig?

Vertrauen in die Politik ist so unverzichtbar wie Sauerstoff zum Atmen. Die begründete Erwartung, dass wir den politischen Entscheidungen unser Vertrauen schenken können, bildet die Basis, dass die Demokratie durch die Bürgerinnen und Bürgern angenommen und getragen wird. Im demokratischen Rechtsstaat ermöglicht Vertrauen, dass Regierungsentscheidungen in der Regel kritisch gefolgt wird. Vertrauen erweist sich jedoch als eine flüchtige Ressource. In der Ausnahmesituation der Corona-Pandemie zeigt sich, dass Vertrauen in staatliche Maßnahmen nicht selbstverständlich ist. Politik steht vor der Aufgabe, sich das Vertrauen der Bevölkerung immer wieder neu zu verdienen.

Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung schwindet das Vertrauen in die Politik. Woran liegt das?

In den Indizes, die weltweit die Qualität von Demokratien messen, zählt Deutschland zur Gruppe der besten Demokratien. Doch wir stehen vor einem strukturellen Problem. Die Kompetenz, Probleme zu erkennen, ist besser entwickelt als unsere Fähigkeit, Probleme zu lösen. Wie bei einem großen Tanker sind Kurskorrekturen nur langsam möglich. Das zeigt sich beispielsweise bei der Transformation zur ökologischen Marktwirtschaft, der Fähigkeit die Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen wie auch an der blockierten Verfassungsreform im Bundesland Berlin.

Wie wird die Expert*innenkommission die gemeinsame Bestandsaufnahme der zurückliegenden Wahlen in Berlin angehen?

Ausgangspunkt für die Einsetzung der Expert*innenkommission „Wahlen in Berlin“ sind die gravierenden Probleme bei der Durchführung der Wahlen am 26. September dieses Jahr. Es droht ein großer Vertrauensverlust in die Politik, denn korrekt und reibungslos durchgeführte Wahlen sind die erste Anforderung an eine funktionierende Demokratie! Wahlen sind ein Fest der Demokratie. Die Bürgerinnen und Bürger bestimmen, wer sie im Herz unserer Demokratie – dem Parlament – repräsentiert.

Wie kann und soll das Vertrauen zurückgewonnen werden?

Um das verlorene Vertrauen wieder zurückzugewinnen, ist die Expert*innenkommission ein erster wichtiger Schritt und ich freue mich sehr, an dieser Aufgabe mitwirken zu dürfen. Die Expertinnen und Experten kommen aus der Wissenschaft, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Praxis der Wahlorganisation und bringen ihren Sachverstand in die Kommissionsarbeit ein, um die Wahlpannen in ihrer Bedeutung einzuordnen und Handlungsempfehlungen für künftige Wahlen in Berlin zu erarbeiten.

Was begeistert Sie an den Politik- und Verwaltungswissenschaften?

Mich begeistert die Frage, wie Herrschaft möglich ist. Dabei geht es darum, wie im modernen Staat demokratische Herrschaft und öffentliche Verwaltung Fähigkeiten entwickeln, auf Veränderungen zu reagieren und diese aktiv zu ermöglichen. Politik- und Verwaltungswissenschaften ergänzen sich systematisch bei der Erforschung der Formen, Prozesse und Inhalte von Herrschaft und Verwaltung. Unsere Studierenden der HWR Berlin für die spannenden Problemstellungen, die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen und Forschungserkenntnisse zu begeistern, bereitet mir große Freude.
Prof. Bröchler, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Sylke Schumann, Pressesprecherin der HWR Berlin.