Studierende der HWR Berlin haben eine Wanderausstellung zur Geschichte und Gegenwart der Polizei Berlin mit Blick auf jüdisches Leben in der Stadt gestaltet.
„Durch die Arbeit an der Ausstellung und den Austausch im begleitenden Ethikkurs habe ich einen besseren Einblick gewonnen in jüdisches Leben in Berlin, damals und heute. Obwohl das natürlich zum Schulstoff gehört, war für mich dennoch vieles völlig neu“, sagt Celin Koçyiğit. Die 21-Jährige studiert an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) im Bachelorstudiengang Gehobener Polizeivollzugsdienst und hat mitgewirkt am Projekt „Jüdisches Leben und Polizei – Vergangenheit trifft Gegenwart!“
2021 wird das Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ begangen, so lange leben Menschen jüdischen Glaubens nachweislich auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Bundesweit finden aus Anlass des Jubiläums viele Veranstaltungen statt. Auch Frank-Peter Bitter, der nebenberuflich als Lehrbeauftragter an der HWR Berlin Seminare zu ethischen Aspekten der Polizeiarbeit leitet, griff die Thematik auf. Der katholische Polizeiseelsorger hielt die Studierenden an, sich intensiv mit Geschichte und Tradition, mit politischen Hintergründen und dem Judentum als Teil der Gesellschaft auseinanderzusetzen.
Entstanden sind Infotafeln für eine Ausstellung, die verschiedene Aspekte der Geschichte und Gegenwart der Polizei Berlin mit Blick auf das jüdische Leben abbilden – und das auf eine sehr ansprechende Weise. Im Mittelpunkt stehen jüdische Bürgerinnen und Bürger, die vor 1933 für die Polizei tätig waren und christliche Polizist*innen, die Synagogen und andere jüdische Einrichtungen in der Pogromnacht schützten. Der thematische Bogen wird bis ins Heute gespannt, soll ein Zeichen setzen gegen Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit.
Gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Georgia Gkadris erforschte Celin Koçyiğit im Rahmen einer Lehrveranstaltung das Leben von Martha Mosse, zeichnete es für die Exposition auf: Die promovierte Juristin wurde 1926 erste Polizeirätin Preußens und 1933 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft als Staatsbeamtin entlassen, 1943 ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Sie überlebte, kehrte zurück nach Berlin und trat als Zeugin bei den Nürnberger Prozessen auf. Ab 1948 bis zu ihrer Pensionierung arbeitete Mosse wieder im Polizeidienst und war in der Berliner Frauenbewegung aktiv. „Es ist unglaublich, welche Stärke diese Frau hat“, so Koçyiğit.
Weitere Persönlichkeiten, die in der Ausstellung vorgestellt werden, sind Wilhelm Krützfeld und Bernhard Weiß. Der preußische Polizeibeamte Wilhelm Krützfeld bewahrte in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin vor der Zerstörung. Der Jurist Bernhard Weiß war Polizeivizepräsident zur Zeit der Weimarer Republik und stellte sich dem aufkommenden Nationalsozialismus vehement entgegen.
An dem Gemeinschaftsprojekt „Jüdisches Leben und Polizei – Vergangenheit trifft Gegenwart!“ sind neben der HWR Berlin die Polizei Berlin, die Jüdische Gemeinde zu Berlin, das Erzbistum Berlin, die Landeskommission Berlin gegen Gewalt, die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, das Touro College sowie der Verein „321 – 2021: 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ und das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat beteiligt.
Die Wanderausstellung wird seit Anfang November in verschiedenen Dienststellen der Polizei Berlin gezeigt. Die feierliche Eröffnung fand im September 2021 auf dem Gelände der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte statt. Anschließend waren die Schautafeln im Foyer des Polizeipräsidiums am Platz der Luftbrücke ausgestellt. Am Ende ihrer Bildungsreise soll die Ausstellung einen festen Platz in der Polizeiakademie Berlin bekommen und erweitert werden. Es sind Porträts von Polizistinnen und Polizisten der Gegenwart vorgesehen, der Antisemitismusbeauftragte der Polizei Berlin soll vorgestellt werden und Personen- und Objektschützer*innen, die jüdisches Leben schützen. Zusätzlich zur Exposition umfasst das Projekt Begegnungen zwischen Polizeianwärterinnen und Polizeianwärtern mit jungen Jüdinnen und Juden. Geplant ist eine gemeinsame Stadtrallye entlang historischer Stätten und Plätze.
„Es ist wichtig, dass auch unsere und jede nachfolgende Generation sich immer wieder mit dem Thema beschäftigt“, betont die angehende Berliner Polizeikommissarin Georgia Gkadris. Vieles sei bis heute noch gar nicht vollständig aufgearbeitet, ist sie sich sicher, oder es gerate zu leicht wieder aus dem Fokus. Dabei ist Antisemitismus nach wie vor aktuell, müsse ernst genommen werden.