Zur Beantwortung Frau BzStR’in Schmiedhofer:
Sehr geehrte Frau Schmitt-Schmelz, ich beantworte die Fragen
wirklich nach allerbestem Wissen und nach dem aktuellsten Stand, den ich habe.
Zu 1.
Seit Juni des Jahres erhalten knapp 39.000 Menschen SGB
II-Leistungen in unserem Bezirk. Die Zahl hat sich seit dem nicht nennenswert
verändert. Die Zahl der unter 25jährigen blieb mit etwas 13.500 ebenfalls
weitgehend konstant. Eine Prognose abzugeben ist derzeit besonders schwierig,
da die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf den Arbeitsmarkt nicht eingeschätzt
werden können, auch z. B. nicht das Auslaufen des Kurzarbeitergeldes, das
perspektivisch auch mehr Leute in SGB II bringen würde.
Im Haushaltsansatz für 2010 wurde in Abstimmung mit dem
Bundesministerium für Arbeit eine Ausgabensteigerung von 13 % für die so
genannten passiven Leistungen, d. h. Regelsatz und Kosten der Unterkunft
eingestellt, d. h., von einer Erhöhung der Anzahl wird ausgegangen.
Zu 2.
Im Monat Juli 2009, dass sind die letzten validen Zahlen,
erhielten ungefähr 4.700 Personen in 590 Bedarfsgemeinschaften ausschließlich
der Kosten der Unterkunft nach dem SGB II, das ist deutlich mehr, als der
bundesweite Durchschnitt, nachdem erhalten nur etwa 10 % ausschließlich
Leistungen der Unterkunft, für die ja die Kommune zuständig ist.
Zu 3.
Im Koalitionsvertrag steht und ich bitte zitieren zu dürfen:
„Die Koalition will die Aufgaben wahrnehmen und
Finanzierung für Langzeitarbeitslose im Sinne der Menschen neu ordnen. Wir
streben eine verfassungsfeste Lösung ohne Änderung des Grundgesetzes und ohne
Änderung der Finanzbeziehung an, die dazu beiträgt, dass
Langzeitarbeitslosigkeit vermieden bzw. so schnell wie möglich überwunden wird.
Dabei gilt es, die Kompetenz und Erfahrung der Länder und der Kommunen vor Ort
sowie der Bundesagentur für Arbeit in getrennter Aufgabenwahrnehmung für die
Betreuung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen zu nutzen. Die Bundesagentur
für Arbeit erhält die Aufgabe, den Kommunen attraktive Angebote zur
freiwilligen Zusammenarbeit zu unterbreiten. Unser Ziel ist eine bürgerfreundliche
Verwaltung, die unnötige Doppelarbeit vermeidet.“
Diese Formulierung ist eine eindeutige Absage an die
gemeinsame Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Kommunen und Bundesagentur für
Arbeit. Wie es gelingen soll, einerseits die Aufgabenwahrnehmung zu trennen,
andererseits eine bürgerfreundliche Verwaltung zu schaffen, die unnötige
Doppelarbeit vermeidet, ist noch ein großes bundesrepublikanisches Rätsel.
Bereits zwei Eckpunktepapiere unter der Leitung von nach kurzer Regierungszeit
schon zwei Ministern bzw. einem Minister, das Papier ist vom 17. November und
einer Ministerin, das ist brandneu vom 3. Dezember, zeugen vom verzweifelten
Versuch, den Kreis zu quadratieren. Am 18. Dezember will das Kabinett eine
Grundsatzentscheidung treffen, die bis Mai in einen Gesetzentwurf fließen soll.
Die Umsetzung muss ja bekanntermaßen bis zum 31. Dezember 2010 erfolgen, sonst
gelten die Bescheide nicht mehr.
Die Arbeits- und Sozialminister der Länder haben diese
Planung mit 15 Stimmen abgelehnt und ihre Forderung nach einer
Grundgesetzänderung bekräftigt, die die gemeinsame Zusammenarbeit für Arbeit-
und Grundsicherung ermöglichen würde.
Etliche Großstädte, darunter immerhin Hamburg, möchten
lieber beide Leistungen als Optionskommune selbst erbringen, als das neue
Modell zu vollziehen.
Zu 4.
Vorteile sind bisher nicht sichtbar. Auch aus Sicht der
Berliner Senatsverwaltung sprechen vielfältige Gründe gegen die neue Regelung.
Zwei Ansprechpartner, zwei Bedürftigkeitsprüfungen, zwei Leistungsbescheide, getrennte
Widerspruchs- und Klageverfahren. Die Verknüpfung der sozialintegrativen
Leistungen mit den Maßnahmen der Arbeitsförderung werden erschwert. Es wird
wahrscheinlich zu räumlichem Mehrbedarf kommen, die Verwaltungskosten steigen
und in der Übergangsphase, das gilt wahrscheinlich aber für jede
Übergangsphase, wird es zwangsläufig zu Qualitätseinbußen kommen. Das kommunale
Personal muss zur Bundesagentur wechseln, sofern es genommen wird oder zurück
zu den Bezirken, eine Refinanzierung des kommunalen Personals entfällt.
Aus den Eckpunktepapieren lässt sich die Rolle der Kommunen
in der Zusammenarbeit auf freiwilliger Basis bereits ablesen. Die
Kooperationsangebote sollen nach einer Mustervereinbarung unterbreitet werden,
beispielhaft möchte ich das geplante Angebot für das Fallmanagement für
besondere Personengruppen, also die besonders schwer zu vermitteln sind
zitieren, mit dem der kommunale Träger betraut werden darf, um
sozialintegrative Leistungen und beschäftigungsorientierte Maßnahmen zusammenführen
(Seite 12 des Papiers):
„Die BA stellt durch Richtlinien eine einheitliche
Ermessensausübung sicher und kann auch im Einzelfall dem kommunalen Träger
Weisung erteilen.“
Zu 5.
Als nachteilig für Kundinnen, Kunden und Beschäftigte.
So wird auch im Eckpunktepapier eingeräumt, dass nicht nur
in jedem Bescheid erkennbar sein muss, von wem das Geld kommt und wer
verantwortlich ist, sondern dass auch die Beratung über Leistungsansprüche
getrennt erfolgen muss. Ich darf wieder zitieren:
(S. 13) „Für den Bürger muss klar erkennbar sein,
welcher Hoheitsträger für welche Beratungsleistungen verantwortlich ist…
Zulässig wäre aber, wenn ein Leistungsträger die Zugangssteuerung insoweit
übernimmt, als er für den anderen Leistungsträger Antragsformulare ausgibt und
Ansprechpartner benennt, während er nur über seine eigenen Leistungen umfassend
berät.“
Das heißt im Klartext, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
einen Teil ihres bestimmt vorhandenen Wissens nicht nutzen dürfen und
stattdessen auf einen früheren Kollegen verweisen müssten ...“
Einen Trägerausschuss soll die BA jedem kommunalen Träger
anbieten können, auf dem über
Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramme sowie die organisatorischen Abläufe
beraten wird und in dem ohne Bindungswirkung abgestimmt werden soll!
Wie bereits mit der Großen Anfrage 1154/3 „Zukunft der
bezirklichen Mitgestaltung in der Arbeitsmarktpolitik“ mitgeteilt, sind
zunehmende Informationsdefizite und eine steigende Zahl an Widersprüchen und
Klagen zu erwarten. Die Bearbeitung der Anträge wird durch die Trennung
zusätzlich erschwert. Eine Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit
gestaltete sich in den Trägervertretungen, in den beide Träger ja mindestens
formal gleichberechtigt sind, fallweise schwierig. Eine Zusammenarbeit mit
der Bundesagentur aufgrund eines Kooperationsangebotes verschiebt die
Machtverteilung zugunsten der Bundesbehörde und stellt die Bedingungen für die
Kommunen bis 2005 wieder her.
Die Erfahrungen mit der getrennten Aufgabenwahrnehmung der
Arbeitsämter zeigten, dass ein zum Teil hoher Aufwand für eine
lösungsorientierte Kooperation notwendig war und genau dem sollte ja mit dem
Aufbau der JobCenter begegnet werden.
Da stets zwei Verwaltungen zu beteiligen sind, wird der
personelle, der technische und natürlich auch der finanzielle Mitteleinsatz
steigen. Auch die Fragen der Weiterbeschäftigung der kommunalen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den JobCentern wird eine logistische und
finanzielle Herausforderung für das Land Berlin darstellen. Im Eckpunktepapier
(S. 18) wird die Wertschätzung der kommunalen Beschäftigten deutlich:
„Eine
vertragliche Lösung mit den kommunalen Trägern soll sicherstellen, dass das
benötigte kommunale Personal zumindest für eine Übergangszeit bei der BA
verbleiben kann. Auf diese Weise wird der BA ermöglicht, sukzessive ihren
eigenen Personalkörper zu vervollständigen .... auch durch Versetzung von
Beamten oder die Übernahme von Arbeitnehmern der Kommunen ... sofern diese bei
Vorliegen entsprechender Eignung zur BA wechseln wollen. Entsprechend neue
Stellen werden in einem Nachtragshaushalt der BA für 2010 ausgebracht.
Im Klartext: die kommunalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
können sich wie jeder und jede andere auf die neu ausgebrachten Stellen
bewerben, die Einstellungsentscheidung liegt alleine bei der Bundesagentur für
Arbeit.
Vor diesem Hintergrund und dem Zeitdruck, der eine geordnete
Umstellung kaum vorstellbar macht, bewundere ich das Durchhaltevermögen, dass
die kommunalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer Personalversammlung
am 8. Dezember, also vorgestern, trotz der kompletten Ungewissheit gezeigt
haben.
Ich bedauere sehr, dass ich die Große Anfrage zwölf Monate
vor der definitiv erforderlichen Umstellung mit keiner einzigen verbindlichen
Aussage beantworten kann. Nächsten Mittwoch wird auf der Stadträtesitzung der
Stadträte und Stadträtinnen für Arbeit das weitere Vorgehen für das Land Berlin
besprochen. Die Senatsverwaltung wird, das noch zum Antrag der CDU und FDP, wie bei der Einführung des SGB II in Berlin
die Rahmendaten verhandeln und entscheiden. Ich bin sicher Dieses Thema wird
uns die nächsten Monate noch sehr intensiv und häufig beschäftigen.