Neunter Abschnitt - Disziplinarmaßnahmen

§ 57

Voraussetzungen

(1) Disziplinarmaßnahmen können angeordnet werden, wenn Untersuchungsgefangene rechtswidrig und schuldhaft
  1. andere Personen oder Mitgefangene mit Worten oder mittels einer Tätlichkeit beleidigen, körperlich misshandeln, bedrohen oder nötigen,
  2. fremde Sachen zerstören, beschädigen oder unbefugt deren Erscheinungsbild nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändern,
  3. in sonstiger Weise gegen Strafgesetze verstoßen oder eine Ordnungswidrigkeit begehen,
  4. Lebensmittel, Verpackungen sowie andere Gegenstände unsachgemäß entgegen der Hausordnung entsorgen,
  5. verbotene Gegenstände in die Anstalt bringen, sich an deren Einbringung beteiligen, sie besitzen oder weitergeben,
  6. unerlaubt Betäubungsmittel oder andere berauschende Stoffe konsumieren,
  7. entweichen oder zu entweichen versuchen,
  8. gegen eine verfahrenssichernde Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung verstoßen,
  9. in nicht unerheblicher Weise gegen sonstige Pflichten oder Anordnungen verstoßen, die ihnen durch dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes auferlegt sind, und dadurch die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt stören.

(2) Von einer Disziplinarmaßnahme wird abgesehen, wenn es genügt, die Untersuchungsgefangenen zu verwarnen.

(3) Disziplinarmaßnahmen sind auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird.

§ 58

Arten der Disziplinarmaßnahmen

(1) Zulässige Disziplinarmaßnahmen sind

  1. der Verweis,
  2. der Entzug des Einkaufs für die Dauer von bis zu einem Monat,
  3. die Beschränkung oder der Entzug von Annehmlichkeiten nach § 19 für die Dauer von bis zu zwei Monaten,
  4. die Beschränkung oder die Unterbindung des Fernsehempfangs für die Dauer von bis zu zwei Monaten,
  5. die Beschränkung oder der Entzug der Gegenstände für die Freizeitbeschäftigung mit Ausnahme des Lesestoffs oder der Ausschluss von gemeinsamer Freizeit oder von einzelnen Freizeitveranstaltungen für die Dauer von bis zu zwei Monaten,
  6. der Entzug der zugewiesenen Arbeit oder Beschäftigung für die Dauer von bis zu zwei Wochen unter Wegfall der nach § 25 geregelten Vergütung,
  7. die Kürzung der Vergütung nach § 25 um zehn Prozent für die Dauer von zwei Monaten und
  8. Arrest bis zu vier Wochen.

(2) Mehrere Disziplinarmaßnahmen können miteinander verbunden werden.

(3) Arrest darf nur wegen schwerer oder wiederholter Verfehlungen verhängt werden. Gegen Schwangere und weibliche Untersuchungsgefangene, die gemeinsam mit ihren Kindern in der Anstalt untergebracht sind, darf ein Arrest nicht verhängt werden.

(4) Bei der Auswahl der Disziplinarmaßnahmen sind Grund und Zweck der Haft sowie die psychischen Auswirkungen der Untersuchungshaft und des Strafverfahrens auf die Untersuchungsgefangenen zu berücksichtigen. Durch die Anordnung und den Vollzug einer Disziplinarmaßnahme dürfen die Verteidigung, die Verhandlungsfähigkeit und die Verfügbarkeit der Untersuchungsgefangenen für die Verhandlung nicht beeinträchtigt werden.

§ 59

Vollzug der Disziplinarmaßnahmen, Aussetzung zur Bewährung

(1) Disziplinarmaßnahmen werden in der Regel sofort vollstreckt.

(2) Die Vollstreckung von Disziplinarmaßnahmen kann ganz oder teilweise bis zu sechs Monate zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Aussetzung zur Bewährung kann ganz oder teilweise widerrufen werden, wenn die Untersuchungsgefangenen die ihr zugrundeliegenden Erwartungen nicht erfüllen.

(3) Für die Dauer des Arrests werden die Untersuchungsgefangenen getrennt von anderen Gefangenen untergebracht. Die Untersuchungsgefangenen können in einem besonderen Arrestraum untergebracht werden, der den Anforderungen entsprechen muss, die an einen zum Aufenthalt bei Tag und Nacht bestimmten Haftraum gestellt werden. Soweit nichts anderes angeordnet wird, ruhen die Befugnisse der Untersuchungsgefangenen aus den §§ 16, 17 Absatz 1, § 18 Absatz 2 und 3, §§ 19, 24 Absatz 2 und 3, §§ 26 und 28. Gegenstände für die Freizeitbeschäftigung mit Ausnahme des Lesestoffs sind nicht zugelassen. Die Rechte zur Teilnahme am Gottesdienst und anderen religiösen Veranstaltungen in der Anstalt sowie auf Aufenthalt im Freien bleiben unberührt.

§ 60

Disziplinarbefugnis

(1) Disziplinarmaßnahmen ordnen die von der Anstaltsleiterin oder dem Anstaltsleiter dazu bestimmten Bediensteten an. Bei einer Verfehlung auf dem Weg in eine andere Anstalt zum Zweck der Verlegung ist die aufnehmende Anstalt zuständig.

(2) Die Aufsichtsbehörde entscheidet, wenn sich die Verfehlung gegen die Anstaltsleiterin oder den Anstaltsleiter richtet.

(3) Disziplinarmaßnahmen, die gegen die Untersuchungsgefangenen in einer anderen Anstalt oder während einer anderen Haft angeordnet worden sind, werden auf Ersuchen vollstreckt. § 59 Absatz 2 bleibt unberührt.

§ 61

Verfahren

(1) Bei der Klärung des Sachverhalts sind sowohl belastende als auch entlastende Umstände zu ermitteln. Die betroffenen Untersuchungsgefangenen werden gehört. Sie werden darüber unterrichtet, welche Verfehlungen ihnen zur Last gelegt werden. Sie sind darauf hinzuweisen, dass es ihnen freisteht, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Die Äußerungen der Untersuchungsgefangenen und die Ergebnisse der Ermittlungen sind zu dokumentieren.

(2) In geeigneten Fällen können zur Abwendung von Disziplinarmaßnahmen im Wege einvernehmlicher Streitbeilegung Vereinbarungen getroffen werden. Insbesondere kommen die Wiedergutmachung des Schadens, die Entschuldigung bei Geschädigten, die Erbringung von Leistungen für die Gemeinschaft und der vorübergehende Verbleib auf dem Haftraum in Betracht. Erfüllen die Untersuchungsgefangenen die Vereinbarung, so hat die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme aufgrund dieser Verfehlung zu unterbleiben.

(3) Mehrere Verfehlungen, die gleichzeitig zu beurteilen sind, werden durch eine Entscheidung geahndet.

(4) Die für die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen zuständigen Bediensteten sollen sich vor der Entscheidung mit anderen Bediensteten besprechen, die maßgeblich an der Betreuung der Untersuchungsgefangenen mitwirken. Vor der Anordnung von Disziplinarmaßnahmen gegen Untersuchungsgefangene, die sich in ärztlicher Behandlung befinden, oder gegen Schwangere oder stillende Untersuchungsgefangene ist eine Ärztin oder ein Arzt zu den gesundheitlichen Auswirkungen zu hören.

(5) Die Entscheidung wird den Untersuchungsgefangenen mündlich eröffnet und mit einer kurzen Begründung schriftlich abgefasst.

(6) Bevor Arrest vollzogen wird, ist eine Ärztin oder ein Arzt zur Arrestfähigkeit zu hören. Während des Arrests stehen die Untersuchungsgefangenen unter ärztlicher Aufsicht. Der Vollzug unterbleibt oder wird unterbrochen, wenn ansonsten die Gesundheit der Untersuchungsgefangenen oder der Fortgang des Strafverfahrens gefährdet würde.

(7) Die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme nach § 58 Absatz 1 ist dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung unverzüglich mitzuteilen.