Abschnitt 15 - Disziplinarverfahren

§ 92

Disziplinarmaßnahmen

(1) Disziplinarmaßnahmen können zur Sicherung des Behandlungserfolges angeordnet werden, wenn Untergebrachte rechtswidrig und schuldhaft
  1. andere Personen mit Worten oder mittels einer Tätlichkeit beleidigen, körperlich misshandeln, bedrohen oder nötigen,
  2. fremde Sachen zerstören, beschädigen oder unbefugt deren Erscheinungsbild nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändern,
  3. in sonstiger Weise eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begehen,
  4. verbotene Gegenstände in die Einrichtung einbringen, sich an deren Einbringung beteiligen oder solche Gegenstände weitergeben oder besitzen,
  5. entweichen oder zu entweichen versuchen,
  6. gegen Weisungen im Zusammenhang mit der Gewährung von Lockerungen verstoßen,
  7. unerlaubt Betäubungsmittel oder andere berauschende Stoffe konsumieren,
  8. wiederholt oder schwerwiegend vorsätzlich den Erfolg der Behandlung anderer Untergebrachter gefährden oder
  9. in nicht unerheblicher Weise gegen sonstige Pflichten oder Anordnungen verstoßen, die ihnen durch dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes auferlegt sind, und dadurch die Sicherheit oder Ordnung der Einrichtung stören.

(2) Von einer Disziplinarmaßnahme wird abgesehen, wenn es genügt, die Untergebrachten zu verwarnen.

(3) Zulässige Disziplinarmaßnahmen sind

  1. der Verweis,
  2. der Ausschluss von einzelnen Freizeitveranstaltungen für die Dauer von bis zu zwei Monaten,
  3. die Beschränkung oder der Entzug der Bewegungsfreiheit außerhalb des Zimmers für die Dauer von bis zu einem Monat,
  4. die Beschränkung oder die Unterbindung des Fernsehempfangs für die Dauer von bis zu einem Monat,
  5. der Entzug von Geräten der Unterhaltungselektronik für die Dauer von bis zu einem Monat,
  6. Arrest von bis zu vier Wochen.

(4) Mehrere Disziplinarmaßnahmen können miteinander verbunden werden.

(5) Zur Abwendung von Disziplinarmaßnahmen können im Wege einvernehmlicher Streitbeilegung nach § 78 Absatz 5 Vereinbarungen getroffen werden, die insbesondere die Wiedergutmachung des Schadens, die Entschuldigung bei Geschädigten oder die Erbringung von Leistungen für die Gemeinschaft zum Gegenstand haben können. Erfüllen die Untergebrachten die Vereinbarung, so hat die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme aufgrund dieser Verfehlung zu unterbleiben.

(6) Arrest darf nur wegen schwerer oder mehrfach wiederholter Verfehlungen verhängt werden. Gegen schwangere Untergebrachte oder weibliche Untergebrachte, die gemeinsam mit ihren Kindern in der Einrichtung untergebracht sind, darf ein Arrest nicht verhängt werden.

(7) Disziplinarmaßnahmen sind auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird.

(8) Unabhängig von einer disziplinarischen Ahndung sollen Pflichtverstöße nach Absatz 1 im Rahmen der Behandlung aufgearbeitet werden.

§ 93

Vollzug, Aussetzung zur Bewährung

(1) Disziplinarmaßnahmen werden in der Regel sofort vollstreckt. Die Vollstreckung ist auszusetzen, soweit es zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist.

(2) Die Vollstreckung von Disziplinarmaßnahmen kann ganz oder teilweise bis zu sechs Monate zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Aussetzung zur Bewährung kann ganz oder teilweise widerrufen werden, wenn die Untergebrachten erneut gegen Pflichten verstoßen.

(3) Die Vollstreckung von Disziplinarmaßnahmen unterbleibt, wird verschoben oder unterbrochen, wenn der Erfolg der Behandlung nachhaltig gefährdet wäre.

(4) Für die Dauer des Arrests werden die Untergebrachten abgesondert. Sie können in einem besonderen Raum untergebracht werden, der den Anforderungen entsprechen muss, die an ein zum Aufenthalt bei Tag und Nacht bestimmtes Zimmer gestellt werden. Soweit nichts anderes angeordnet ist, ruhen die Befugnisse der Untergebrachten zur Teilnahme an Maßnahmen außerhalb des Raumes, in dem der Arrest vollstreckt wird, sowie die Befugnisse zur Ausstattung des Zimmers mit eigenen Gegenständen, zum Fernsehempfang und zum Einkauf. Gegenstände für die Freizeitbeschäftigung mit Ausnahme des Lesestoffs sind nicht zugelassen.

(5) Die Rechte zur Teilnahme an unaufschiebbaren Behandlungsmaßnahmen, am Gottesdienst und anderen religiösen Veranstaltungen sowie auf einen täglichen einstündigen Aufenthalt im Freien bleiben unberührt.

§ 94

Disziplinarbefugnis

(1) Disziplinarmaßnahmen ordnen die von der Leiterin oder dem Leiter der Einrichtung dazu bestimmten Bediensteten an. Bei einer Verfehlung auf dem Weg in eine andere Anstalt oder Einrichtung zum Zweck der Verlegung sind die damit betrauten Bediensteten der Anstalt oder Einrichtung am Bestimmungsort zuständig.

(2) Richtet sich die Verfehlung gegen die Leiterin oder den Leiter der Einrichtung, so ist die Aufsichtsbehörde für die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen zuständig.

(3) Disziplinarmaßnahmen, die gegen Untergebrachte in einer anderen Anstalt oder Einrichtung oder während des Strafvollzugs angeordnet worden sind, werden auf Ersuchen vollstreckt. § 93 Absatz 2 und 3 bleibt unberührt.

§ 95

Verfahren

(1) Der Sachverhalt ist zu klären. Hierbei sind sowohl belastende als auch entlastende Umstände zu ermitteln. Die Untergebrachten werden gehört. Sie werden darüber unterrichtet, welche Verfehlungen ihnen zur Last gelegt werden. Sie sind darauf hinzuweisen, dass es ihnen freisteht, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Die Äußerungen der Untergebrachten und die Ergebnisse der Ermittlungen sind zu dokumentieren.

(2) Mehrere Verfehlungen, die gleichzeitig zu beurteilen sind, werden durch eine Entscheidung geahndet.

(3) Die für die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen zuständigen Bediensteten sollen sich vor der Entscheidung mit anderen Bediensteten besprechen, die maßgeblich an der Behandlung der Untergebrachten mitwirken. Bei Schwangeren, stillenden Untergebrachten oder Untergebrachten, die sich in regelmäßiger ärztlicher Behandlung befinden, ist zudem eine Ärztin oder ein Arzt zu den gesundheitlichen Auswirkungen zu hören.

(4) Die Entscheidung wird den Untergebrachten mündlich eröffnet und mit einer kurzen Begründung schriftlich abgefasst.

(5) Bevor Arrest vollzogen wird, ist eine Ärztin oder ein Arzt zur Arrestfähigkeit zu hören. Während des Arrests stehen die Untergebrachten unter ärztlicher Aufsicht. Der Vollzug des Arrests unterbleibt oder wird unterbrochen, wenn ansonsten die Gesundheit der oder des Untergebrachten gefährdet würde.