Abschnitt 2 – Aufnahme- und Diagnostikverfahren, Vollzugs- und Eingliederungsplanung

§ 9

Aufnahmeverfahren

(1) Mit den Jugendstrafgefangenen wird unverzüglich nach der Aufnahme ein Aufnahmegespräch geführt, in dem ihre gegenwärtige Lebenssituation erörtert wird und sie über ihre Rechte und Pflichten informiert werden. Sofern es für die sprachliche Verständigung mit den Jugendstrafgefangenen erforderlich ist, sind Sprachmittlerinnen und Sprachmittler hinzuzuziehen. Den Jugendstrafgefangenen wird ein Exemplar der Hausordnung ausgehändigt oder in anderer Weise dauerhaft zugänglich gemacht. Dieses Gesetz, die von ihm in Bezug genommenen Gesetze sowie die zu seiner Ausführung erlassenen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften sind den Jugendstrafgefangenen auf Verlangen zugänglich zu machen.

(2) Während des Aufnahmeverfahrens dürfen andere Jugendstrafgefangene nicht zugegen sein.

(3) Die Jugendstrafgefangenen werden alsbald ärztlich untersucht.

(4) Die Jugendstrafgefangenen werden dabei unterstützt, etwaig notwendige Maßnahmen für hilfsbedürftige Angehörige, zur Erhaltung des Arbeitsplatzes und der Wohnung und zur Sicherung ihrer Habe außerhalb der Anstalt zu veranlassen.

(5) Die Personensorgeberechtigen und das zuständige Jugendamt werden von der Aufnahme der Jugendstrafgefangenen unverzüglich benachrichtigt.

(6) Bei Jugendstrafgefangenen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, sind die Möglichkeiten der Abwendung der Vollstreckung durch freie Arbeit oder Tilgung der Geldstrafe, auch in Raten, zu erörtern und zu fördern, um so auf eine möglichst baldige Entlassung hinzuwirken.

§ 10

Diagnostikverfahren, Ermittlung des Förder- und Erziehungsbedarfs

(1) An das Aufnahmeverfahren schließt sich zur Vorbereitung der Vollzugsplanung das Diagnostikverfahren an.

(2) Das Diagnostikverfahren muss wissenschaftlichen Erkenntnissen genügen. Insbesondere bei Jugendstrafgefangenen mit vorbehaltener Sicherungsverwahrung ist es von Bediensteten mit einschlägiger wissenschaftlicher Qualifikation durchzuführen.

(3) Das Diagnostikverfahren ist maßgeblich auf die Ermittlung des Förder- und Erziehungsbedarfs auszurichten. Es erstreckt sich auf die Persönlichkeit und die Lebensverhältnisse der Jugendstrafgefangenen, die Ursachen und Umstände der Straftat sowie alle sonstigen Gesichtspunkte, deren Kenntnis für eine zielgerichtete und wirkungsorientierte Vollzugsgestaltung und die Eingliederung nach der Entlassung notwendig erscheint. Neben den Unterlagen aus der Vollstreckung und dem Vollzug vorangegangener Freiheitsentziehungen sind insbesondere auch Erkenntnisse der Gerichts-, Jugendgerichts- und Bewährungshilfe sowie der Führungsaufsichtsstellen einzubeziehen.

(4) Im Diagnostikverfahren wird den Jugendstrafgefangenen das Ziel ihres Aufenthalts verdeutlicht sowie insbesondere das Angebot an schulischen und beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen, arbeitstherapeutischen Maßnahmen, Arbeitstraining, Arbeit, Sport und Freizeit erläutert. Es werden die im Einzelfall die Straffälligkeit begünstigenden Faktoren ermittelt. Gleichzeitig sollen die Fähigkeiten der Jugendstrafgefangenen ermittelt werden, deren Stärkung einer erneuten Straffälligkeit entgegenwirken kann.

(5) Wird ausschließlich Ersatzfreiheitsstrafe vollzogen, so tritt an die Stelle des Diagnostikverfahrens in der Regel die Feststellung der für eine angemessene Vollzugsgestaltung wesentlichen Gesichtspunkte zur Person und zum Lebensumfeld der Jugendstrafgefangenen.

(6) Das Ergebnis ihres Diagnostikverfahrens wird mit den Jugendstrafgefangenen erörtert.

§ 11

Vollzugs- und Eingliederungsplanung

(1) Auf der Grundlage des Ergebnisses des Diagnostikverfahrens, insbesondere des festgestellten Förder- und Erziehungsbedarfs, wird ein Vollzugs- und Eingliederungsplan erstellt. Er zeigt den Jugendstrafgefangenen bereits zu Beginn der Haftzeit unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Vollzugsdauer die zur Erreichung des Vollzugsziels erforderlichen Maßnahmen auf. Daneben kann er weitere Hilfsangebote und Empfehlungen enthalten. Auf die Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen der Jugendstrafgefangenen ist Rücksicht zu nehmen.

(2) Der Vollzugs- und Eingliederungsplan wird regelmäßig innerhalb der ersten sechs Wochen erstellt, nachdem die Vollstreckungsleiterin oder der Vollstreckungsleiter der Anstalt eine mit der Bescheinigung der Rechtskraft versehene beglaubigte Abschrift der zu vollziehenden gerichtlichen Entscheidung nebst Gründen übermittelt hat. Bei einer voraussichtlichen Vollzugsdauer von unter einem Jahr verkürzt sich die Frist des Satzes 1 auf vier Wochen.

(3) Der Vollzugs- und Eingliederungsplan sowie die darin vorgesehenen Maßnahmen werden regelmäßig alle vier Monate überprüft, mit den Jugendstrafgefangenen erörtert und fortgeschrieben. Bei Jugendstrafen von mehr als drei Jahren erfolgt die Überprüfung regelmäßig alle sechs Monate. Die Entwicklung der Jugendstrafgefangenen und die in der Zwischenzeit gewonnenen Erkenntnisse sind zu berücksichtigen. Die durchgeführten Maßnahmen sind zu dokumentieren.

(4) Die Vollzugs- und Eingliederungsplanung wird mit den Jugendstrafgefangenen erörtert. Dabei werden deren Anregungen und Vorschläge einbezogen, soweit sie der Erreichung des Vollzugsziels dienen.

(5) Zur Erstellung und Fortschreibung des Vollzugs- und Eingliederungsplans führt die Anstalt eine Konferenz mit den an der Vollzugsgestaltung und an der Förderung sowie Erziehung maßgeblich Beteiligten durch. Standen die Jugendstrafgefangenen vor ihrer Inhaftierung unter Bewährung oder Führungsaufsicht, können auch die für sie bislang zuständigen Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer an der Konferenz beteiligt werden. Den Jugendstrafgefangenen wird der Vollzugs- und Eingliederungsplan regelmäßig in der Konferenz eröffnet und erläutert. Sie können auch darüber hinaus an der Konferenz beteiligt werden.

(6) An der Eingliederung mitwirkende Personen außerhalb des Vollzugs sollen in die Planung mit einbezogen werden. Sie können mit Zustimmung der Jugendstrafgefangenen auch an der Konferenz beteiligt werden.

(7) Werden die Jugendstrafgefangenen nach der Entlassung voraussichtlich unter Bewährungs- oder Führungsaufsicht gestellt, so ist den künftig zuständigen Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfern in den letzten zwölf Monaten vor dem voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt die Teilnahme an der Konferenz zu ermöglichen und es sind ihnen Ausfertigungen des Vollzugs- und Eingliederungsplans und der nachfolgenden Fortschreibungen zu übersenden.

(8) Der Vollzugs- und Eingliederungsplan und seine Fortschreibungen werden den Jugendstrafgefangenen ausgehändigt. Sie werden der Vollstreckungsleiterin oder dem Vollstreckungsleiter und auf Verlangen den Personensorgeberechtigten übersandt.

§ 12

Inhalt des Vollzugs- und Eingliederungsplans

(1) Der Vollzugs- und Eingliederungsplan sowie seine Fortschreibungen enthalten insbesondere folgende Angaben:

  1. Zusammenfassung der für die Vollzugs- und Eingliederungsplanung maßgeblichen Ergebnisse des Diagnostikverfahrens,
  2. voraussichtlicher Entlassungszeitpunkt,
  3. Unterbringung im geschlossenen oder offenen Vollzug,
  4. Maßnahmen zur Förderung der Mitwirkungsbereitschaft,
  5. Unterbringung in einer Wohngruppe oder einem anderen Unterbringungsbereich,
  6. Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung und Teilnahme an deren Behandlungsprogrammen,
  7. Teilnahme an einzel- oder gruppentherapeutischen Maßnahmen,
  8. Berücksichtigung indizierter medizinischer Maßnahmen, sofern diese zur Erreichung des Vollzugsziels erforderlich sind,
  9. Teilnahme an Maßnahmen zur Behandlung von Suchtmittelabhängigkeit und Suchtmittelmissbrauch,
  10. Teilnahme an strukturierten sozialpädagogischen Maßnahmen,
  11. Teilnahme an schulischen und beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen einschließlich Alphabetisierungs- und Deutschkursen,
  12. Teilnahme an arbeitstherapeutischen Maßnahmen oder am Arbeitstraining,
  13. Arbeit,
  14. freies Beschäftigungsverhältnis, Selbstbeschäftigung,
  15. Teilnahme an Sportangeboten und Maßnahmen zur strukturierten Gestaltung der Freizeit,
  16. Ausführungen zur Erreichung des Vollzugsziels, Außenbeschäftigung,
  17. Lockerungen zur Erreichung des Vollzugsziels,
  18. Aufrechterhaltung, Förderung und Gestaltung von Außenkontakten,
  19. Schuldnerberatung, Schuldenregulierung und Erfüllung von Unterhaltspflichten,
  20. Ausgleich von Tatfolgen,
  21. Maßnahmen zur Vorbereitung von Entlassung, Eingliederung, Nachsorge und zur Bildung eines Eingliederungsgeldes und
  22. Frist zur Fortschreibung des Vollzugs- und Eingliederungsplans.

Bei vorbehaltener Sicherungsverwahrung enthalten der Vollzugs- und Eingliederungsplan sowie seine Fortschreibungen darüber hinaus Angaben zu individuellen Maßnahmen nach § 3 Absatz 9 Satz 2 und einer Antragstellung gemäß § 92 Absatz 1 Satz 2 des Jugendgerichtsgesetzes in Verbindung mit § 119a Absatz 2 des Strafvollzugsgesetzes vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 581, 2088 und 1977 I S. 436), das zuletzt durch Artikel 152 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist.

(2) Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 6 bis 12 und § 3 Absatz 9 Satz 2, die nach dem Ergebnis des Diagnostikverfahrens als zur Erreichung des Vollzugsziels zwingend erforderlich erachtet werden, sind als solche zu kennzeichnen und gehen allen anderen Maßnahmen vor. Andere Maßnahmen dürfen nicht gestattet werden, soweit sie die Teilnahme an Maßnahmen nach Satz 1 beeinträchtigen würden.

(3) Spätestens ein Jahr vor dem voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt, bei einer voraussichtlichen Vollzugsdauer von bis zu einem Jahr bereits mit der Erstellung des Vollzugs- und Eingliederungsplanes nach Absatz 1, werden die Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 21 konkretisiert oder ergänzt. Insbesondere ist Stellung zu nehmen zur

  1. Unterbringung im offenen Vollzug oder zum Aufenthalt in einer Übergangseinrichtung,
  2. Unterkunft sowie Arbeit oder Ausbildung nach der Entlassung,
  3. Unterstützung bei notwendigen Behördengängen und der Beschaffung der notwendigen persönlichen Dokumente,
  4. Beteiligung der Bewährungshilfe und der Forensischen Ambulanzen,
  5. Kontaktaufnahme zu Einrichtungen der Entlassenenhilfe,
  6. Fortsetzung von im Vollzug noch nicht abgeschlossenen Maßnahmen,
  7. Anregung von Auflagen und Weisungen für die Bewährungs- oder Führungsaufsicht,
  8. Vermittlung in nachsorgende Maßnahmen und
  9. nachgehenden Betreuung durch Bedienstete.

(4) Wird ausschließlich Ersatzfreiheitsstrafe vollzogen, so kann der Vollzugs- und Eingliederungsplan abweichend von den Absätzen 1 und 3 in der Regel auf die folgenden Angaben beschränkt werden:

  1. Zusammenfassung der für eine angemessene Vollzugsgestaltung festgestellten wesentlichen Gesichtspunkte nach § 10 Absatz 5,
  2. Unterbringung im geschlossenen oder offenen Vollzug,
  3. Unterstützung bei der Abwendung der weiteren Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit oder Zahlung der restlichen Geldstrafe,
  4. Maßnahmen zur Stabilisierung der Lebenssituation während und nach dem Vollzug und
  5. Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung.