Gerhard Zeidler erinnert sich
Inhaftiert im Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel in 1944-1945 – ein Zeitzeuge berichtet
“Zunächst brachte man mich zum Gestapo-Hauptquartier in die Prinz-Albrecht-Straße. Wer diesen Namen hörte, den überlief es eiskalt. Denn die meisten Gefangenen kamen dort nicht mehr lebend heraus. Deshalb war ich froh, daß man den Wehrmachtstransport zuständigkeitshalber nach Moabit überwies, von wo ich ins Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Tegel kam. Unterbringung und hygienische Verhältnisse waren entsetzlich und sind fast nicht zu beschreiben. Wir vegetierten zu dritt in einer stinkenden Zelle von sechs Quadratmetern, und bereits in der ersten Nacht fielen mir vom Oberbett Wanzen in den Mund. Ich habe mich furchtbar geekelt, ganz zu schweigen davon, wie uns diese Blutsauger quälten. Es gab nur winzige Verpflegungsrationen, die unausweichlich zu starkem Gewichtsverlust und Kräfteverfall führten. Außerdem bekamen wir zu dritt jeden Tag nur zwei Liter Wasser. Deshalb durfte sich nur einer am Tage von oben bis unten waschen. Mit demselben Wasser wurde dann auch der
Zellenfußboden aufgewischt. Wer sich beim Wachpersonal unbeliebt machte, kam in den „Bunker“. Das war eine Zelle im Erdgeschoß, hinten und vorne eine Tür aus Gitterstäben, wie ein großer Vogelkäfig, ohne Pritsche oder Stuhl, kalter Zementfußboden, kein Kübel für die Notdurft. Jeden Morgen wurde der Bunker mit einem scharfen Strahl Wasser ausgespritzt, und oft bekam dabei auch der Gefangene eine Dusche ab. Im Winter endete das mit einer Lungenentzündung oder mit dem Tod.
Wie barbarisch man mit Kranken umging, habe ich erlebt, als nach einiger Zeit mein Oberkiefer vereiterte. Ich hatte unerträgliche Schmerzen und musste trotzdem viele Tage warten, ehe ich zum Zahnarzt gebracht wurde. Seine Praxis befand sich in einer Zelle. Zuerst musste man sagen, weshalb man inhaftiert war. Als ich meldete: „Vorbereitung zum Hochverrat“, meinte der Arzt: „Ach, da ist die Kohlrübe ja sowieso bald ab!“ Dann musste ich mich auf den OP-Stuhl setzen, und der Kerl riss mir ohne Betäubung vier Zähne heraus. Offenbar bin ich ohnmächtig vom Stuhl gekippt. Als ich wach wurde, lag ich in einer Wasserlache und bekam gerade noch einen Schwapp Wasser über den Kopf. Danach wurde ich wieder in meine Zelle geschafft.”
Gerhard Zeidler
Das Strafgefängnis Berlin-Tegel löst sich zum Kriegsende auf
“Am 25. April 1945 kämpfte die Sowjetarmee bereits in der Nähe unseres Gefängnisses. Deshalb wurden wir Gefangenen durch den Tegeler Forst ins Zuchthaus Spandau überführt. Unterwegs informierten uns Kilger und Linke darüber, dass man dort Kampfgruppen zusammenstelle und gegen die Rote Armee einsetze. Wir sollten keinesfalls den wahren Grund unserer Inhaftierung, sondern leichtere Delikte wie „unerlaubte Entfernung von der Truppe“ angeben. Damit könnten wir der Erschießung entgehen. Nach einer furchtbaren Nacht – das Zuchthaus lag unter ständigem Beschuss – wurden wir aus den Zellen herausgeholt. Ein SS-Major verkündete uns, dass wir nun gutmachen könnten, was wir verbockt hätten. Gemeinsam mit den aus dem Westen anrückenden Amerikanern würden wir die Bolschewiken wieder aus Deutschland hinausjagen. Im gleichen Moment wurde der Hof des Zuchthauses unter Artilleriebeschuss genommen. Wir flüchteten sicherheitshalber zurück in die Zellen,
und der Major lag in Deckung hinter einer Eisentreppe. Als es wieder still wurde, rannte er zu seinem Motorrad – und weg war er. Zunächst waren wir ziemlich verdutzt. Aber da offenbar auch die Wachmannschaft bereits getürmt war, verließen wir truppweise das Zuchthaus.”