Besonders im sogenannten Dritten Reich hat Plötzensee durch das nationalsozialistische Regime einen schlechten Ruf bekommen.
So wurden hier viele dem Regime politisch unbequeme Menschen inhaftiert und hingerichtet, darunter die Mitglieder der sogenannten “Roten Kapelle” und auch 89 Widerstandskämpfer aus dem Kreis der Attentäter vom 20. Juli.
Hier seien stellvertretend für viele andere folgende Namen genannt:
- Alfred Delp
- Carl-Friedrich Goerdeler
- Erwin von Witzleben
- Johanna Kirchner
- H.-J. Graf von Moltke und
- Wilhelm Leuschner.
Diese schreckliche Liste ließe sich fortführen. Die Gedenkstätte Plötzensee erinnert an den furchtbaren Machtmissbrauch jener Zeit.
Erst nach dem Kriege wurde die Strafanstalt Plötzensee, durch die Teilung der Stadt bedingt, von den Alliierten zur Jugendstrafanstalt bestimmt.
Der Vollzug der Jugendstrafe unterschied sich faktisch aber nicht vom Erwachsenenvollzug. Es handelte sich um einen typischen Verwahrvollzug mit einfachsten und unqualifizierten Arbeitsmöglichkeiten nach dem Prinzip des Arbeitskräfteverleihs an Privatfirmen.
Insbesondere wurden Fußmatten geflochten, Tüten geklebt, Papier für Marktstände gelegt, Gussteile entgratet und Stanzarbeiten ausgeführt. Es war in der Regel Pensenarbeit, d. h. der Gefangene musste ein bestimmtes Tages-Mindestsoll leisten. Bei Mehrleistungen gab es eine geringe Erhöhung der Arbeitsbelohnung bzw. kleine Vergünstigungen.
Zwangsläufig führte dieses Akkordsystem zum Abbau von Sicherheitsvorrichtungen an Maschinen, besonders in der Stanzerei. Das hatte oft schlimme Arbeitsunfälle zur Folge.
Von einer Betreuung der Insassen konnte keine Rede sein, es gab nur eine Versorgung.
Den Bediensteten war es verboten, außerdienstliche Gespräche mit Insassen zu führen. Dadurch war der Subkultur besonders stark Vorschub geleistet. Es herrschte ein Kapo-System.
Die Insassen waren zu dritt in Einzelzellen zusammengepfercht und Gemeinschaftszellen waren mit bis zu 25 Insassen belegt, da noch viele Teile der Anstalt durch die Kriegseinwirkungen beschädigt waren und nicht genutzt werden konnten.
Erste Ansätze einer Verbesserung der geschilderten Situation waren 1953 durch die Novellierung des Jugendgerichtsgesetzes zu erkennen.
So wurden 1955 erste Versuche zur Einführung von Erziehungsgruppen unternommen. Dieser Versuch war aufgrund der damaligen schlechten Unterbringungs- und Personalsituation zum Scheitern verurteilt und musste nach kurzer Zeit eingestellt werden.
Im Jahre 1961 gelang es dann erstmals für drei Handwerksbetriebe die Anerkennung der Industrie- und Handelskammer bzw. der Handwerkskammer als Lehrwerkstätten zu erhalten.
Es handelte sich um eine Berufsausbildung für
- Schlosser
- Tischler und
- Schneider.
Jetzt waren ernsthafte pädagogische Ansätze zu erkennen und die Situation besserte sich langsam aber stetig.
Durch die Beseitigung der Kriegsschäden wurde auch eine differenzierte Unterbringung der jungen Insassen möglich. So wurden 1963/64 erneut Versuche mit sogenannten Erziehungsgruppen unternommen.
Je eine Gruppe von Lehrlingen bzw. Langstrafern wurde von einem Lehrer bzw. einem Verwaltungsbeamten des gehobenen Dienstes betreut. Diese Gruppenleiter hatten ca. 50 Jugendliche zu betreuen, die nicht in Wohngruppen zusammenlebten, sondern im Haus auf verschiedenen Stationen lagen.
Die Zuteilung zum jeweiligen Erziehungsgruppenleiter erfolgte einfach nach dem Anfangsbuchstaben des Namens und keineswegs nach pädagogischen Gesichtspunkten.
Etwa gleichzeitig begannen erste Versuche einer sozialtherapeutischen Station. Hier wurde erstmals ein fester Beamtenstamm einer Gruppe von Insassen zugeordnet.
Bis zu dieser Zeit wurden die Bediensteten ständig ausgewechselt, weil man befürchtete, dass sich zwischen ihnen und den Insassen zu enge Kontakte ergeben würden. Nach ca. 12 Monaten musste dieser Versuch abgebrochen werden, weil die Aggressionen unter den übrigen Insassen ständig größer wurden.
Es zeigte sich, dass sich ein Staat im Staate gebildet hatte, der von der Anstalt nicht zu verkraften war. Man hatte aber erkannt, dass die Arbeit in Wohngruppen mit einem festen Beamtenstamm möglich war, dass dann allerdings die gesamte Anstalt mit all ihren Bereichen in dieser Art geführt werden muss.
Auch im Ausbildungsbereich gab es, nicht zuletzt wegen des Einsatzes der Ausbilder, erhebliche Fortschritte, sodass 1965 die gesamte Arbeitskräftevermietung wegfiel.
In der Jugendstrafanstalt gibt es seit dieser Zeit nur noch Aus-, Fort- und Anlernbetriebe. Außerdem wird zur Überwindung schulischer Defizite der Verurteilten Schulunterricht mit Aufbau- und Förderkursen sowie die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss nachzuholen, angeboten.
Durch Personalvermehrung war es schließlich in den Jahren 1966 bis 1967 möglich, Erziehungsgruppen in allen Bereichen der Anstalt durchzusetzen. Ein schwieriger Prozess, denn Bedienstete wie Insassen mussten sich erst mit der neuen Situation und ihrer neuen Rolle vertraut machen. Das Freund-Feind-Bild sollte mit einem Male nicht mehr stimmen.
Immer noch waren es Experimente, wie man den Jugendstrafvollzug sinnvoller gestalten könnte. So handelte es sich anfangs um den sogenannten Stufenvollzug, bei dem es bei besonderem Wohlverhalten und Unauffälligkeit Vergünstigungen zu erreichen gab, so z. B. die Teilnahme am Fernsehen und bestimmten Freizeitaktivitäten.
Die Praxis zeigte bald, dass hier gerade die bereits hafterfahrenen Täter bevorzugt waren und in kurzer Zeit alle Vergünstigungen erreichten. Sie kannten den Ablauf in der Anstalt und konnten sich schnell auf die Bediensteten einstellen, während Erstmals-Inhaftierte oft aus Unkenntnis unbequem und auffälliger waren.
Sie erreichten dadurch die möglichen Vorteile erst später oder überhaupt nicht.
Seit ca. 1971 wurde die Kommunikation mit der Öffentlichkeit verstärkt und Vereine, Theatergruppen, kirchliche Veranstaltungen, Studentengruppen usw. in die Anstalt geholt, um die Kluft zwischen draußen und drinnen zu verringern. In kleinen Schritten wurde in den folgenden Jahren ein Lernprozess durchgemacht, der schließlich zu dem heutigen Wohngruppenvollzug führte.
Durch kleinere bauliche Veränderungen gelang es weitestgehend, ein pädagogisches Klima zu schaffen.
1973 betrug die Belegungsstärke einer Wohngruppe – je nach baulichen Gegebenheiten – zwischen 10 und 25 Insassen. Die Gesamtbelegung betrug für den Bereich der Jugendstrafe 344 Insassen.
Sie waren in der Regel in Einzelräumen untergebracht.
Plötzensee hatte im Zugangsbereich 6 Gruppen mit einer Belegungsstärke von 13 jungen Leuten.
Jede Gruppe wurde von einem Gruppenleiter (Sozialarbeiter oder Beamten des gehobenen Verwaltungsdienstes) sowie 4 Gruppenbetreuern (Allgemeiner Vollzugsdienst) betreut. Die Verweildauer in diesem Bereich lag bei ca. 3 Monaten.
Während dieser Zeit wurde in vielen Einzelgesprächen unter Mitwirkung des Insassen ein Vollzugsplan erstellt. In diesem wurden die wesentlichen Zielvorgaben für die Behandlung, Aus- und Fortbildung usw. vorgegeben.
Danach erfolgte die Unterbringung in einer der Wohngruppen. Auch hier erfolgte die Betreuung durch einen, in besonderen Fällen zwei, Gruppenleiter, Sozialarbeiter, Psychologen, Beamten (mittlerer Verwaltungsdienst) und vier ständig zugeordneten Gruppenbetreuern je Wohngruppe.
Gemäß Vollzugsplan wurde eine positive Einflussnahme durch Ausbildung, Einzel- und Gruppengespräche bzw. eine Behandlung durch Psychologen erreicht und Hilfen bei der Problembewältigung, Schuldentilgung, Familienzusammenführung usw. wurden angeboten.
Die Hafträume waren von 06.00 bis 21.00 Uhr geöffnet. Diese Arbeitsweise wird auch heute noch weitestgehend praktiziert.
Seit Einführung dieser Maßnahmen sowie durch die Möglichkeit, Vollzugslockerungen in Form von Urlaub, Ausgang und Freigang zu gewähren, haben Aggressionen untereinander, gegen Bedienstete sowie gegen Sachen ständig abgenommen. Sie bilden heute praktisch eine Ausnahme.
Im Rahmen dieser langfristigen Veränderungen entstand die Überzeugung, dass nur in einer neu erbauten Anstalt mit für diesen Zweck geeigneten Räumen ein sinnvoller Strafvollzug durchzuführen wäre.
Bereits im Jahre 1968 erfolgte daher ein Beschluss des Berliner Abgeordnetenhaus über den Neubau einer Jugendstrafanstalt.
Mit Durchführung eines bundesweiten Architektenwettbewerbes, der auch noch durch Interessengruppen, welche Strafanstalten grundsätzlich abschaffen wollten, erheblich behindert wurde, begann eine lange Planungsphase.
Darüber hinaus erfolgte 1978 unter Mitwirkung des Senators für Inneres, des Senators für Justiz sowie Mitarbeitern der Jugendstrafanstalt Plötzensee eine Organisationsuntersuchung, die 1979 zu der Studie “Jugendstrafe ist Sozialtherapie” führte und bestimmte Behandlungsmethoden vorgab.