Historie

Vom Strafgefängnis bei Berlin zu Plötzensee zur Jugendstrafanstalt Berlin

  • 1869 -1878

    Bau und Eröffnung der Strafanstalt Plötzensee

  • 1887

    Die Strafanstalt Plötzensee wird als Ort für die Vollstreckung der Todesstrafe bestimmt

  • 1933 – 1945

    Gefängnis und Hinrichtungsstätte des nationalsozialistischen Regimes,
    in dem auch politische Gefangene inhaftiert wurden

  • 1953 – 1955

    Novellierung des Jugendgerichtsgesetzes, erste Versuche zur Einführung von
    Erziehungsgruppen scheiterten aufgrund der Unterbringungs- und Personalsituation

  • 1961

    Einrichtung von drei Handwerksbetrieben, erste pädagogische Ansätze sind zu erkennen

  • 1963/1964

    Erste Versuche mit Erziehungsgruppen und einer sozialtherapeutischen Station

  • 1965

    Abschaffung der Arbeitskräftevermietung

  • 1966/1967

    Erziehungsgruppen in der gesamten Anstalt

  • 1968

    Planung des Neubaus der JSA Berlin

  • 1971

    Verstärkt werden Vereine, Theatergruppen, kirchliche Veranstaltungen,
    Studentengruppen usw. in die Anstalt geholt

  • 1973

    Schaffung eines pädagogischen Klimas

  • 1979

    Studie “Jugendstrafe ist Sozialtherapie”

  • 1980

    Grundsteinlegung des Neubaus der Jugendstrafanstalt Berlin

  • 1987

    Eröffnung der Jugendstrafanstalt Berlin

  • 1997

    Eröffnung und Belegung des Untersuchungshaftbereiches Kieferngrund

  • August 2007

    Eröffnung und Belegung des U-Haftbereiches Haus 9

  • Dezember 2008

    Eröffnung und Belegung der Sozialtherapeutischen Abteilung (SothA) im Haus 4 der JSA Berlin

Berlin - Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts

Eine aufstrebende Stadt. Bedeutende Industrieunternehmungen wie Borsig und Schwarzkopf werden gegründet. Aus allen Teilen Deutschlands zog es die Menschen nach Berlin.

Der Bevölkerungssprung von 400.000 im Jahre 1848 auf 826.000 im Jahr 1871 zeigt dies deutlich. Allerdings brachte das auch erhebliche Nachteile für die Stadt mit sich.

So organisierte sich die kriminelle Szene und die strafbaren Handlungen stiegen an, nicht zuletzt auch durch die schlechten Unterbringungen in Mietskasernen. Die vorhandenen Strafanstalten der Stadt- und der Hausvogtei waren diesem Ansturm nicht mehr gewachsen.

Das königliche Justizministerium unter Wilhelm I. beschloss daher, eine neue Strafanstalt für ca. 1.400 verurteilte Straftäter auf dem Gelände der königlichen Oberförsterei Tegel, Gutsbezirk Plötzensee, zu erstellen.

In den Jahren 1869 bis 1878 wurde die Strafanstalt Plötzensee schließlich nach den Plänen des Geheimen Oberbaurats Herrmann erbaut und in Betrieb genommen. Die Kosten betrugen 7 Mio. Mark.

Im einzelnen bestand sie aus einem Verwaltungs- und Kirchengebäude, vier Verwahrhäusern, einem Krankenhaus für Lungenkrankheiten und mehreren Gebäuden für den Technischen Betrieb und für Arbeitsbetriebe.

Die Belegungsfähigkeit betrug damals schließlich 1.404 Personen, die überwiegend in Gemeinschaftszellen mit bis zu 40 Insassen, aber auch in strenger Isolierhaft untergebracht waren.

Im sogenannten Maskenflügel durften die streng isolierten Insassen ihre Zellen nur nach Anlegen einer Gesichtsmaske verlassen. Sie sollten nicht zu erkennen sein, um im späteren Leben keine Nachteile zu haben. Die Bedienstetenzahl betrug 191 Personen.

In den Arbeitsbetrieben wurden die Gefangenen mit der Herstellung von Papptellern, Türen, Besen, Teppichklopfern, Rohr- und Kokosmatten, aber auch in der Schneiderei, Sattlerei (für Polizei), Druckerei, Buchbinderei usw. beschäftigt.

Schulunterricht, belehrende Lichtbildervorträge, Turn- und Freiübungen wurden angeboten und die Teilnahme war Pflicht.

Später wurde auch eine Gefangenenzeitung, “Der Leuchtturm”, unter Leitung des Strafanstaltsoberlehrers herausgegeben, die die Gefangenen zum Preis von 0,15 RM monatlich kaufen konnten.

Bereits im Jahre 1887 wurde die Strafanstalt Plötzensee als Ort für die Vollstreckung der Todesstrafe bestimmt. Hier wurden die zur Todesstrafe verurteilten Männer, später aber auch Frauen, durch den jeweils bestimmten Scharfrichter mit dem Handbeil hingerichtet.

Die weitere Entwicklung im 20. Jahrhundert

Besonders im sogenannten Dritten Reich hat Plötzensee durch das nationalsozialistische Regime einen schlechten Ruf bekommen.

So wurden hier viele dem Regime politisch unbequeme Menschen inhaftiert und hingerichtet, darunter die Mitglieder der sogenannten “Roten Kapelle” und auch 89 Widerstandskämpfer aus dem Kreis der Attentäter vom 20. Juli.

Hier seien stellvertretend für viele andere folgende Namen genannt:

  • Alfred Delp
  • Carl-Friedrich Goerdeler
  • Erwin von Witzleben
  • Johanna Kirchner
  • H.-J. Graf von Moltke und
  • Wilhelm Leuschner.

Diese schreckliche Liste ließe sich fortführen. Die Gedenkstätte Plötzensee erinnert an den furchtbaren Machtmissbrauch jener Zeit.

Erst nach dem Kriege wurde die Strafanstalt Plötzensee, durch die Teilung der Stadt bedingt, von den Alliierten zur Jugendstrafanstalt bestimmt.

Der Vollzug der Jugendstrafe unterschied sich faktisch aber nicht vom Erwachsenenvollzug. Es handelte sich um einen typischen Verwahrvollzug mit einfachsten und unqualifizierten Arbeitsmöglichkeiten nach dem Prinzip des Arbeitskräfteverleihs an Privatfirmen.

Insbesondere wurden Fußmatten geflochten, Tüten geklebt, Papier für Marktstände gelegt, Gussteile entgratet und Stanzarbeiten ausgeführt. Es war in der Regel Pensenarbeit, d. h. der Gefangene musste ein bestimmtes Tages-Mindestsoll leisten. Bei Mehrleistungen gab es eine geringe Erhöhung der Arbeitsbelohnung bzw. kleine Vergünstigungen.

Zwangsläufig führte dieses Akkordsystem zum Abbau von Sicherheitsvorrichtungen an Maschinen, besonders in der Stanzerei. Das hatte oft schlimme Arbeitsunfälle zur Folge.

Von einer Betreuung der Insassen konnte keine Rede sein, es gab nur eine Versorgung.

Den Bediensteten war es verboten, außerdienstliche Gespräche mit Insassen zu führen. Dadurch war der Subkultur besonders stark Vorschub geleistet. Es herrschte ein Kapo-System.

Die Insassen waren zu dritt in Einzelzellen zusammengepfercht und Gemeinschaftszellen waren mit bis zu 25 Insassen belegt, da noch viele Teile der Anstalt durch die Kriegseinwirkungen beschädigt waren und nicht genutzt werden konnten.

Erste Ansätze einer Verbesserung der geschilderten Situation waren 1953 durch die Novellierung des Jugendgerichtsgesetzes zu erkennen.

So wurden 1955 erste Versuche zur Einführung von Erziehungsgruppen unternommen. Dieser Versuch war aufgrund der damaligen schlechten Unterbringungs- und Personalsituation zum Scheitern verurteilt und musste nach kurzer Zeit eingestellt werden.

Im Jahre 1961 gelang es dann erstmals für drei Handwerksbetriebe die Anerkennung der Industrie- und Handelskammer bzw. der Handwerkskammer als Lehrwerkstätten zu erhalten.

Es handelte sich um eine Berufsausbildung für

  • Schlosser
  • Tischler und
  • Schneider.

Jetzt waren ernsthafte pädagogische Ansätze zu erkennen und die Situation besserte sich langsam aber stetig.

Durch die Beseitigung der Kriegsschäden wurde auch eine differenzierte Unterbringung der jungen Insassen möglich. So wurden 1963/64 erneut Versuche mit sogenannten Erziehungsgruppen unternommen.

Je eine Gruppe von Lehrlingen bzw. Langstrafern wurde von einem Lehrer bzw. einem Verwaltungsbeamten des gehobenen Dienstes betreut. Diese Gruppenleiter hatten ca. 50 Jugendliche zu betreuen, die nicht in Wohngruppen zusammenlebten, sondern im Haus auf verschiedenen Stationen lagen.

Die Zuteilung zum jeweiligen Erziehungsgruppenleiter erfolgte einfach nach dem Anfangsbuchstaben des Namens und keineswegs nach pädagogischen Gesichtspunkten.

Etwa gleichzeitig begannen erste Versuche einer sozialtherapeutischen Station. Hier wurde erstmals ein fester Beamtenstamm einer Gruppe von Insassen zugeordnet.

Bis zu dieser Zeit wurden die Bediensteten ständig ausgewechselt, weil man befürchtete, dass sich zwischen ihnen und den Insassen zu enge Kontakte ergeben würden. Nach ca. 12 Monaten musste dieser Versuch abgebrochen werden, weil die Aggressionen unter den übrigen Insassen ständig größer wurden.

Es zeigte sich, dass sich ein Staat im Staate gebildet hatte, der von der Anstalt nicht zu verkraften war. Man hatte aber erkannt, dass die Arbeit in Wohngruppen mit einem festen Beamtenstamm möglich war, dass dann allerdings die gesamte Anstalt mit all ihren Bereichen in dieser Art geführt werden muss.

Auch im Ausbildungsbereich gab es, nicht zuletzt wegen des Einsatzes der Ausbilder, erhebliche Fortschritte, sodass 1965 die gesamte Arbeitskräftevermietung wegfiel.

In der Jugendstrafanstalt gibt es seit dieser Zeit nur noch Aus-, Fort- und Anlernbetriebe. Außerdem wird zur Überwindung schulischer Defizite der Verurteilten Schulunterricht mit Aufbau- und Förderkursen sowie die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss nachzuholen, angeboten.

Durch Personalvermehrung war es schließlich in den Jahren 1966 bis 1967 möglich, Erziehungsgruppen in allen Bereichen der Anstalt durchzusetzen. Ein schwieriger Prozess, denn Bedienstete wie Insassen mussten sich erst mit der neuen Situation und ihrer neuen Rolle vertraut machen. Das Freund-Feind-Bild sollte mit einem Male nicht mehr stimmen.

Immer noch waren es Experimente, wie man den Jugendstrafvollzug sinnvoller gestalten könnte. So handelte es sich anfangs um den sogenannten Stufenvollzug, bei dem es bei besonderem Wohlverhalten und Unauffälligkeit Vergünstigungen zu erreichen gab, so z. B. die Teilnahme am Fernsehen und bestimmten Freizeitaktivitäten.

Die Praxis zeigte bald, dass hier gerade die bereits hafterfahrenen Täter bevorzugt waren und in kurzer Zeit alle Vergünstigungen erreichten. Sie kannten den Ablauf in der Anstalt und konnten sich schnell auf die Bediensteten einstellen, während Erstmals-Inhaftierte oft aus Unkenntnis unbequem und auffälliger waren.

Sie erreichten dadurch die möglichen Vorteile erst später oder überhaupt nicht.

Seit ca. 1971 wurde die Kommunikation mit der Öffentlichkeit verstärkt und Vereine, Theatergruppen, kirchliche Veranstaltungen, Studentengruppen usw. in die Anstalt geholt, um die Kluft zwischen draußen und drinnen zu verringern. In kleinen Schritten wurde in den folgenden Jahren ein Lernprozess durchgemacht, der schließlich zu dem heutigen Wohngruppenvollzug führte.

Durch kleinere bauliche Veränderungen gelang es weitestgehend, ein pädagogisches Klima zu schaffen.

1973 betrug die Belegungsstärke einer Wohngruppe – je nach baulichen Gegebenheiten – zwischen 10 und 25 Insassen. Die Gesamtbelegung betrug für den Bereich der Jugendstrafe 344 Insassen.

Sie waren in der Regel in Einzelräumen untergebracht.

Plötzensee hatte im Zugangsbereich 6 Gruppen mit einer Belegungsstärke von 13 jungen Leuten.

Jede Gruppe wurde von einem Gruppenleiter (Sozialarbeiter oder Beamten des gehobenen Verwaltungsdienstes) sowie 4 Gruppenbetreuern (Allgemeiner Vollzugsdienst) betreut. Die Verweildauer in diesem Bereich lag bei ca. 3 Monaten.

Während dieser Zeit wurde in vielen Einzelgesprächen unter Mitwirkung des Insassen ein Vollzugsplan erstellt. In diesem wurden die wesentlichen Zielvorgaben für die Behandlung, Aus- und Fortbildung usw. vorgegeben.

Danach erfolgte die Unterbringung in einer der Wohngruppen. Auch hier erfolgte die Betreuung durch einen, in besonderen Fällen zwei, Gruppenleiter, Sozialarbeiter, Psychologen, Beamten (mittlerer Verwaltungsdienst) und vier ständig zugeordneten Gruppenbetreuern je Wohngruppe.

Gemäß Vollzugsplan wurde eine positive Einflussnahme durch Ausbildung, Einzel- und Gruppengespräche bzw. eine Behandlung durch Psychologen erreicht und Hilfen bei der Problembewältigung, Schuldentilgung, Familienzusammenführung usw. wurden angeboten.

Die Hafträume waren von 06.00 bis 21.00 Uhr geöffnet. Diese Arbeitsweise wird auch heute noch weitestgehend praktiziert.

Seit Einführung dieser Maßnahmen sowie durch die Möglichkeit, Vollzugslockerungen in Form von Urlaub, Ausgang und Freigang zu gewähren, haben Aggressionen untereinander, gegen Bedienstete sowie gegen Sachen ständig abgenommen. Sie bilden heute praktisch eine Ausnahme.

Im Rahmen dieser langfristigen Veränderungen entstand die Überzeugung, dass nur in einer neu erbauten Anstalt mit für diesen Zweck geeigneten Räumen ein sinnvoller Strafvollzug durchzuführen wäre.

Bereits im Jahre 1968 erfolgte daher ein Beschluss des Berliner Abgeordnetenhaus über den Neubau einer Jugendstrafanstalt.

Mit Durchführung eines bundesweiten Architektenwettbewerbes, der auch noch durch Interessengruppen, welche Strafanstalten grundsätzlich abschaffen wollten, erheblich behindert wurde, begann eine lange Planungsphase.

Darüber hinaus erfolgte 1978 unter Mitwirkung des Senators für Inneres, des Senators für Justiz sowie Mitarbeitern der Jugendstrafanstalt Plötzensee eine Organisationsuntersuchung, die 1979 zu der Studie “Jugendstrafe ist Sozialtherapie” führte und bestimmte Behandlungsmethoden vorgab.