Am Montag, 06.02.2023 besuchte die Delegation (Bezirksbürgermeister Sören Benn, Sara Ghayour Mobarhan und Oleksandra Bienert) ein Wohnheim für vorübergehend vertriebene Personen. Etwa 20.000 Binnengeflüchtete leben in der Stadt Riwne, die selbst 250.000 Einwohnende hat. Die Orte, aus denen die Geflüchteten kommen, existieren großenteils nicht mehr. Viele sind traumatisiert. Großenteils sind die Binnengeflüchteten in eigenem Wohnraum untergebracht, andere in diesen Studierendenwohnheimen zusammen mit den Studierenden. Grundsätzlich haben alle das Recht auf medizinische Versorgung, einen Schul- und Kitaplatz und dürfen einem Beschäftigungsverhältnis nachgehen. Im Wohnheim sind die Personen untergebracht, die nach Aussagen von Maryna Kuzmicheva, der stellvertretenden Bürgermeiterin von Riwne, es nicht alleine schaffen.
In dem Wohnheim, das aus vier Gebäuden besteht, ist Platz für ca. 1000 Binnengeflüchtete, weiterhin leben auch Studierende dort. Unter den 1000 Binnengeflüchteten sind 200 Kinder (150 Schulkinder, 50 Kindergartenkinder). Die Wohnsituation ist beengent – pro Etage teilen sich 30 Personen die Küchennutzung und die sanitären Anlagen. Die Subtanz der Gebäuden sind eher schlecht – internationale Unterstützung ist bereits vorhanden.
Mit Vira Babak (Leiterin der Wohnheime) und Maryna Kuzmicheva (Stellv. Bürgermeiterin von Riwne)
besichtigte die Delegation den Luftschutzkeller RDGU des Wohnheims (Riwne Staatliche Humanitarische Universität). Sören Benn hat mit einer Frau aus Severodonetsk gesprochen sowie mit Studentinnen, die zukünftige Pädagoginnen für ukrainische Sprache sein werden und konnte einen Eindruck von den Lebensverhältnissen der Geflüchteten und der Studienrenden erhalten.
Bei der offizielle Begrüßung des Bürgermeisters von Riwne mit der ausländischen Delegation im Rathaus trefen Bezirksbürgermeister Benn, Bürgermeister Tretyak und die stellv. Bürgermeisterin Kuzmicheva zusammen.
Der Arbeitsalltag des Bürgermeisters von Riwne beginnt im Rathaus mit einer Schweigeminute um 9:00 Uhr. Es werden keine Termine für 10:00 Uhr angesetzt, da jederzeit mit einer Beerdigung von gefallenen Soldat:innen gerechnet werden muss – sogenannte Verabschiedung der Held:innen auf dem Maydan.
Oleksander Tretyak berichtete von den ersten Tagen nach der Invasion und der großen Kampfbereitschaft der Ukrainer:innen, aber auch dem Gefühl, dass die Welt ihnen den Rücken gekehrt hat. Riwne ist weiterhin einer konkreten Bedrohung durch die geographische Nähe zu Belarus ausgesetzt, da eine Rakete in drei Minuten Riwne erreichen würde. Der Bürgermeister Riwnes wertschätzte den Besuch der Delegation sehr.
Die Stadt Riwne hat viele Vorkehrungen für den Notfall getroffen. Die Delegation besuchte Bunker, die Schutz bieten sollen und erfuhr etwas zu “Punkten der Unbesiegbarkeit – sogenannten Notfallzelten”. Das Zelt auf den Bildern ist eins der “Punkte der Unbesiegbarkeiten” in der Stadt. Insgesamt gibt es vier “Städtchen” davon, mit je 10-20 Zelten. Im größten Zelt der Unbesiegbarkeit arbeiten Freiwilligen aus Deutschland, der Ukraine und Guatemala als Freiwillige zusammen. In den Zelten gibt es W-Lan und Strom; es sind Ort für Kinder, um Hausaufgaben zu machen und Lernort für Studierende; Personal und medinzinische Ersthilfe werden vorgehalten. Die Notfallzelte sollen weiterhin aufrechterhalten werden, obwohl sie nicht hochfrequentiert sind. Sie sind kostenintensiv und nehmen medizinisches Personal in Anspruch, was andernorts benötigt wird. Die Auflage des Weiterbetriebs kommt von der ukranischen Regierung – als
Vorkehrung und Schutz für den jederzeit eintreffenden Notfall und Bedarf.
Der Besuch einer Schule stand an und zeigte auch an dieser Station die prekäre Lage vor Ort.
Jedes Kind hat seine Notration auf seinem Stuhl. Ein Notschutzbunker ist hergerichtet. Es würden allerdings nicht alle Schüler:innen im Schutzbunker untergebracht werden können, sodass nur so viele Kinder in die Schule kommen dürfen, wie im Keller Platz finden. Die Gemeinschaftsschule unterrichtet normalerweise Klassen 1-10 zusammen an einem Ort – 1200 Schüler:innen mit einer Klassengröße von 28 bis 34 Kindern. Wechselunterricht findet in zwei Gruppen zwischen digital und präsenz Unterricht statt.
Die Kriegsauswirkungen sind für die Kinder alltäglich: 150 Kinder sind aus Riwne geflohen und im Ausland, ihnen wird aber die Möglichkeit geboten, online am Schulunterricht teilzunehmen. 30 Kinder sind als Binnengeflüchtete aufgenommen worden. Drei Lehrer:innen, die selbst als Binnen geflüchtete in die Stadt kamen, wurden eingestellt. Der Krieg ist ein Thema in den Schulklassen bei den Kindern – 100 Eltern sind an der Front, 3 Väter und ein Mann einer Lehrerin sind bereits als sogenannte Helden gefallen. In der Schule werden Schulpsycholog:innen und Pädagog:innen beschäftigt und sind für alle ansprechbar. In Riwne gibt es 35 Schulen, 39 Kindergärten die in der Verantwortung der Kommune liegen.
Sören Benn sieht hier großen Bedarf, dass sich Berliner Partnerschule für eine Kooperation und Hilfe finden.
Hilfsorganisationen und eine aktive Zivilgesellschaft unterstützen die Binnengeflüchteten, Familen, Waisen, Kriegsopfer und Hilfesuchenden in Riwne stark. Die Versorgung der Menschen an der Front wird ebenfalls von dort getätigt. Die Delegation besichtigte das Lager der HUB, welches zur kostenfreien Nutzung durch ein Unternehmen gestellt wurde: HUB Humanitäre Hilfe für Rivne. Alles, was zur Hilfe und Unterstützung benötigt wird, wird dort gelagert und verteilt. Ehrenamtliche fahren fast täglich an die Front – die Nulllinie, sie werden beschossen und zahlen das Benzin für die Fahrten selbst. Die Organisation musste bereits getötete und verletzte Ehrenamtliche verzeichnen.
Sehr deutlich wurde bei diesem Treffen, dass Spenden dringend benötigt werden. Allerdings ist die Abfrage der Bedarfe sehr wichtig, damit Lagerkapazitäten nicht unnötig blockiert werden. Derzeit sind vier Transporter im Einsatz. Die ehrenamtliche Organisation benötigt aber weitere Transporter mit Gangschaltung – am besten sind alte Geldtransporter, da diese kugelsicher sind und den riskanten Fahrten zur Front vielleicht Stand halten.