“Ziehe nach Pankow – gesündester Vorort von Berlin”, so warb zum Ausgang des 19. Jahrhunderts ein Plakat. Berliner Unternehmer, Bankiers, Ärzte hatte hier Grundstücke erworben. Und Pankow war auch ein vom Schönhauser Tor mit Kremser und seit 1881 mit der Pferdebahn gut zu erreichendes, beliebtes Ausflugziel geworden, wie uns im “Erlebnisbericht” Bolles zu Pfingsten geschildert wird. Auch das Lied “Komm, Karlineken, komm, wir woll`n nach Pankow gehn…” lässt uns die Atmosphäre nachempfinden.
Dann gab es die Haltepunkte an der Stettiner Bahn und an der Nordbahn, und so kamen in den Sommermonaten viele Männer, Frauen und Kinder nach Pankow und bevölkerten die Gartenlokale am Anger, wie den alten Dorfkrug, das Lindersche Restaurant oder Ringels Bellevue sowie das Gesellschaftshaus Roczycki an der ehemaligen Spandauer Straße. Die Erholung Suchenden zog es auch gerne weiter hinaus zu Schüßler an der Strauchwiese. Zuweilen hielten sich in Pankow mehr Gäste auf als es Einwohner hatte. Deren Zahl hatte sich von 1880 bis 1900 auf 21.534 erhöht und damit verdreifacht.
So war es durchaus verständlich, dass Pankow nach Charlottenburg die steuerkräftigste Gemeinde im Berliner Umland war. Stolz waren die Bürger auch darauf, dass 1891 Gaslaternen aufgestellt und drei Jahre danach sogar eine eigene Wasserleitung gelegt werden konnte. Für den Bau eines Wasserwerkes hatte Prof. Dr. Emanuel Mendel (1839-1907), Neurologe, Kreistags-und Reichstagsabgeordneter, ein Grundstück an der heutigen Galenusstraße Ecke Mendelstraße zur Verfügung gestellt.
Bürgermeister Richard Gottschalk hatte es gar nicht schwer, die Gemeindevertreter vom Bau eines repräsentativen Rathauses zu überzeugen. Und so kam es dann am 12. Juli 1901 zur Grundsteinlegung. Das ?Niederbarnimer Kreisblatt? berichtete: ?Die festliche Grundsteinlegung bildete für die hiesige Bevölkerung ein geschichtliches Ereignis ersten Ranges. Der Bauplatz war mit bunten Flaggen und Girlanden geschmückt. Sämtliche Mitglieder der Gemeindevertretung und andere Gäste marschierten, an der Spitze Herr Amts-und Gemeinde-Vorsteher Gottschalk, in feierlichem Zuge nach der Baustelle, wo sich die Herren um eine erhaben stehende Bühne aufstellten.? Nach einer Rede des Bürgermeisters wurde eine kupferne Kapsel in die Höhlung des Turmpfeilers eingelegt und mit einer Sandsteinplatte bedeckt. Richard Gottschalk führte die drei traditionellen Hammerschläge aus, die er mit den Worten begleitete: ?Vom Leben aus, zum Leben hin, lebendig immerdar.? Nach dem Choral ?Nun danket alle Gott? von der Kapelle geblasen, empfahl Pastor Beyer ?den Bau dem Schutze des Höchsten? und wünschte, ?dass die lebenden und die künftigen Geschlechter das gute Gedeihen des Ortes alle Zeit erleben mögen?.
Bereits ein halbes Jahr vor der offiziellen Einweihung am 18. April 1903 lockte der Bau Neugierige an. Nicht nur der Rathauskeller, dessen “feine, großstädtische Räume” bereits am 9.Oktober 1902 durch die elektrische Beleuchtung in vollem Glanz erstrahlten, auch die erste Eheschließung im neuen Standesamt waren Sensationen. Auf der anderen Straßenseite sah es allerdings noch etwas wüst aus. Überall lagen Schuttberge, Wasser-und Gasröhren, noch zu verlegende Telegrafenleitungen. Versetzte Gaskandelaber und die Masten für die Oberleitung der elektrischen Straßenbahn standen in unverfüllten Gruben. Nach nur 15monatiger Bauzeit erfolgte schließlich der Umzug mit den Büroutensilien und Akten in 31 von 52 vorhandenen Räumen, obwohl trotz aller angestrengter Tätigkeit noch nicht alle Arbeiten abgeschlossen waren, z.B. die Pflasterarbeiten vor dem Rathaus, die Dekoration im Großen Ratssaal. Aber “Treppen und Flure, die Wohnung des Amtsvorstehers sind künstlerisch ausgestattet.”
Am 25. Oktober 1902 konnte Richard Gottschalk in seine Dienstwohnung in der ersten Rathausetage ziehen, von dessen Balkon man einen langen Blick auf die Pfarrkirche, den Anger, das schöne Parktor an der Spandauer Straße und auf die hier vorbeifahrenden Straßenbahnen von Siemens & Halske werfen konnte. Diese Straßenbahnlinie führte von der Damerowstraße bis zur Badstraße (Gesundbrunnen). Aus dieser Zeit liegt uns die handschriftliche Familienchronik des späteren Direktors des Bezirksamtes Pankow, Erich Böhm (1871-1945), vor, der kurz nach der Einweihung des Rathauses als Gemeindesekretär vom Gemeindevorstand Pankow einberufen wurde. Er schreibt, dass ihm ein Essener Kollege zum Abschied sagte, “Ihnen kann man ja nur gratulieren. Sie kommen ja zum Blumenkörbchen von Berlin.”
Am Mittwoch, dem 22. April 1903 konnten die Pankower im “Niederbarnimer Kreisblatt” lesen, dass “der vergangene Sonnabend für unsere aufblühende Gemeinde ein Fest -und Freudentag war”. Mit begeistert aufgenommenen Hoch auf seine Majestät den Kaiser, nach Gesang des Kirchenchores und nach dem gemeinsamen Singen der deutschen Hymne begrüßte Gemeindevorsteher Richard Gottschalk die etwa 100 Gäste, die sich im mit Frühlingsblumen geschmückten Großen Ratsaal eingefunden hatten, um die Einweihung des neuen Rathauses feierlich zu begehen.
Regierungspräsident von Moltke war erschienen, der Landrat des Kreises Niederbarnim, von Treskow, ließ es sich nicht nehmen, an diesem Fest teilzunehmen, ebenso der Berliner Oberbürgermeister, Herr Kirschner und der Polizeipräsident von Berlin, von Borries. Auch die Amtsvorsteher von Französisch-Buchholz, Herr Schultze, von Niederschönhausen, Herr Moldenhauer und von Reinickendorf, Herr Wilke, reihten sich in die Gratulantenschar ein.
Besonders beeindruckt waren die Gäste von der Gestaltung der Hauptfenster des Rathaussaales, die von der Schererschen Kunstanstalt für Glasmalerei in Berlin ausgeführt worden war. “Im Mittelteil war die ernste und umsichtige Gemeindeverwaltung dargestellt, in dem einen Nebenfeld die in Pankow blühende Gartenbaukunst und im anderen die in der größten Not stets mit aufopferungsvollem Mute zur Hilfe herbeieilende Freiwillige Feuerwehr.”
Nach vielen Toasten und Dankesworten blieb man noch einige Stunden in ungezwungener Heiterkeit zusammen. Ein opulentes Festessen, das von Ratskellerwirt Carl Fischer serviert wurde, trug dazu bei. Es wird berichtet, dass das Menü 18,50 Mark gekostet haben soll. Davon hätte zur damaligen Zeit eine vierköpfige Familie etwa eine Woche leben können. Unverständlich aus heutiger Sicht auch, dass an diesem Festmahl keine Frauen teilnehmen durften. Sie mussten von der Empore zusehen, wie es sich ihre Gatten gut schmecken ließen. Der Pankower Maler Heinrich Werrmann hat die Schlemmerei Jahrzehnte später karikiert.
(Aus: Rathaus Pankow 1903-1993, Arwed Steinhausen, Dieter Geisthardt, Hans Klockmann. Herausgegeben vom Freundeskreis der Chronik Pankow e.V., 1993. Aktualisierte Fassung. Für das Internet überarbeitet und gekürzt. Foto: Chronik Pankow/Das Rathaus um 1903)