HIER WOHNTE
HERBERT
GOLDSCHMIDT
JG. 1890
DEPORTIERT 13.1.1942
RIGA
ERMORDET
Herbert Goldschmidt kam aus einer zum Protestantismus übergetretenen Juristenfamilie mit jüdischen Wurzeln und ist am 1. September 1890 in Strehlen (Schlesien) geboren. Sein Vater Emil Goldschmidt, geboren am 28. Juni 1854, war seit 1898/99 in Magdeburg Landgerichtsdirektor und führte den Titel „Geheimer Justizrat“. Seine Mutter war Paula geb. Levy. Sie wurde am 7. Mai 1868 in Bromberg geboren und wuchs als Jüdin auf. Sie heirateten am 27. Juni 1887 in Breslau, vermutlich dabei wurde auch Paula Levy evangelisch.
1894 zog die Familie nach Halle um, wo Emil Goldschmidt Landgerichtsrat war, und 1899 nach Magdeburg, wo er Landgerichtsdirektor wurde. Herbert Goldschmidt besuchte das Magdeburger Domgymnasium und legt dort 1908 sein Abitur ab. Dann folgte er dem väterlichen Beispiel und studierte Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten München, Heidelberg, Berlin, Grenoble und Halle.
Doch nicht bei Gericht, sondern in der Kommunalverwaltung sah er seine berufliche Zukunft. 1931 berichtete die Magdeburgische Zeitung im Zusammenhang mit Goldschmidts Wahl zum Bürgermeister über seinen beruflichen Werdegang und seine zahlreichen Aufgaben im Rathaus:
„Am 13. Januar 1912 bestand er die erste juristische Prüfung, am 13. März 1917 die Staatsprüfung für Gerichtsassessoren. Am 26. März 1917 trat er in die Stadtverwaltung Neukölln als juristischer Hilfsarbeiter ein. In der Zeit vom 1. November 1918 bis 17. Mai 1919 verwaltete er in Lyck (Ostpreußen) die Beigeordnetenstelle. Vom 15. August 1919 bis 30. November 1919 war er als juristischer Hilfsarbeiter bei der Stadtverwaltung in Potsdam tätig. Seit 3. Dezember 1919 ist er in der Verwaltung der Stadt Magdeburg tätig. Zunächst wurde er als juristischer Hilfsarbeiter beim Magistrat beschäftigt und zwar beim Mieteinigungsamt. Dann folgte die Anstellung des Assessors Goldschmidt als Magistratsrat. Im November 1923 erfolgte die Wahl des Magistratsrates zum besoldeten Stadtrat,als Nachfolger des Stadtrates Dr. Reichert, dessen Wahlzeit am 8. März ablief. Seine Einführung in das Amt des besoldeten Stadtrates erfolgte am 20. Dezember 1923. Während seiner Tätigkeit als
besoldeter Stadtrat verwaltete er u.a. folgende Dezernate: Das Dezernat der Krankenhausverwaltung, Flug- und Kraftverkehrangelegenheiten, Arbeiter- und Gewerbegerichtsangelegenheiten, Gewerbe- und Innungssachen, die Dezernatsführung über das gesamte Badewesen, Nahrungsmitteluntersuchungsamt, das Gesundheitsamt, das Arbeiterdezernat, Wirtschaftsamt, Ausstellungen, städtische Veranstaltungen, Verwaltungsschule, Elektrizitätswerk, Gaswerk, Wasserwerk, Rothenseer Industriegründungen, Personalamt.“
Herbert Goldschmidt heiratete am 30. April 1928 Marion Mieschel, eine städtische Behördenmitarbeiterin.
1931, als Ernst Reuter (SPD) Oberbürgermeister von Magdeburg war, wurde Goldschmidt, Mitglied der liberalen Deutschen Staatspartei (DStP), Bürgermeister und damit dessen Stellvertreter. Beide Männer arbeiteten dienstlich sehr eng zusammen und waren privat befreundet. Aber beiden Amtsinhabern wehte von Anfang an ganz scharf der Wind von Rechts ins Gesicht – sie wurden verleumdet und attackiert. Goldschmidt, der zuvor das Personaldezernat innehatte, wurde beispielsweise unterstellt, er habe Bewerber um eine Anstellung im Rathaus nach dem Parteibuch ausgewählt, rechtskonservative Bewerber hätten grundsätzlich bei ihm keine Chance gehabt. Kein Wunder, dass Reuter und Goldschmidt 1933 im Magdeburger Rathaus zu den ersten gehörten, die ihr Amt verloren. Bei Goldschmidt kamen „erschwerend“ seine jüdischen Wurzeln hinzu.
Von ihrer Amtsenthebung und Verhaftung („Schutzhaft“!) durch die Nazis am 11. März 1933 berichtete die Mitteldeutsche Zeitung am 13. März: „Am Sonnabendmorgen (hier wird zunächst von der Festnahme Ernst Reuters berichtet) … erschien ein anderer SA-Trupp im Magistratskonferenzzimmer, wo der Personalausschuss tagte. Magistratsrat Bucksch machte die SA-Abordnung darauf aufmerksam, dass sie Hausfriedensbruch begingen, da sie kein Recht besitzen, in die Verwaltungsräume einzudringen. Auch hier blieb der Einwand ohne Erfolg. Die SA-Leute nahmen Bürgermeister Goldschmidt in ihre Mitte und führten ihn … die Treppe herunter. Inzwischen war draußen vor dem Eingang des Rathauses ein Zug der SA in Stärke von etwa 50 Mann mit Musik aufmarschiert, nahm vor dem Rathaus Aufstellung und sperrte sämtliche Zugänge ab. Polizeimajor Beker mit einer kleinen Abteilung Schutzpolizei erschien unmittelbar darauf im Vorraum des Rathauses und nach einer Unterredung begleitete er
Oberbürgermeister Reuter in sein Dienstzimmer, wo sich der Oberbürgermeister Hut und Mantel anlegen konnte. In Begleitung von Major Beker fuhr Oberbürgermeister Reuter zum Polizeipräsidium. Bürgermeister Goldschmidt wurde von der SA genötigt, an der Spitze ihres Zuges durch die Straßen der Stadt ohne Hut und Mantel zu marschieren. Der Aufzug erregte in den Straßen großes Aufsehen“.
Bürgermeister Goldschmidt wurde bei diesem Aufzug gezwungen, eine Hakenkreuz-Fahne zu tragen. Er wurde unter ständigen Misshandlungen zum „Braunen Haus“ getrieben. Marion Goldschmidt berichtete später, ihr Mann sei nach wenigen Stunden durch die Vermittlung von Freunden wieder frei gekommen und sie beide hätten auf die Warnung hin, sein Leben sei in Gefahr, fluchtartig Magdeburg verlassen und seien zu Freunden nach Berlin gegangen. Zunächst musste sich Goldschmidt gesundheitlich erholen. Dann wohnte das Ehepaar in einer Pension („Jagdschloss Stern“) in Neubabelsberg. Goldschmidt wurde auf Grund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 entlassen.
Er erhielt eine kleine Pension, die nicht zum Lebensunterhalt reichte, Marion Goldschmidt musste mit Handarbeiten dazu verdienen. Die Goldschmidts kehrten nicht mehr nach Magdeburg zurück. Sie wohnten zunächst bei Freunden und ab 1935 in Charlottenburg, Mommsenstraße 56. Auch die Eltern und der ältere Bruder, Regierungsrat i.R. Hans Goldschmidt gingen schließlich nach Berlin (Kaiserallee 46). Hans Goldschmidt war eine Zeitlang als Manager im Hotel “Berlin” tätig. Emil Goldschmidt starb 81jährig am 31. März 1936, seine Frau fünf Jahre später, am 26. September 1941.
Herbert Goldschmidts Name als „Bürgermeister a.D.“ findet sich von 1936 bis 1939 im Berliner Adressbuch unter der Anschrift Mommsenstraße 56. Seine Frau, die ihn zunächst soviel wie möglich unterstützte und begleitete, ihn auch immer wieder – vergeblich – zur Emigration überreden wollte, begegnete 1936 dem 1901 geborenen jüdischen Fotografen und Journalisten Hans Zellner, der bald ihre ganz große Liebe wurde. So bat sie ihren 14 Jahre älteren Ehemann um die Scheidung. Da es ihr als nicht jüdischer Frau wegen der Nürnberger Rassengesetze in Deutschland ohnehin unmöglich gewesen wäre, mit Hans Zellner zusammen zu leben, brannte sie mit ihm 1937 nach Belgien durch. Das bewegte wohl Goldschmidt, in die Scheidung einzuwilligen, sie wurde im Januar 1939 ausgesprochen. Marion Goldschmidt und Hans Zellner heirateten am 3. Mai 1941.
Zu der Zeit persönlicher Unruhe im Leben von Herbert Goldschmidt kamen die politischen Unruhen und antisemitischen Pogrome des 9. November 1938 hinzu. Goldschmidt, der sich immer als deutscher Patriot gefühlt hatte, wurde zusammen mit vielen jüdischen Männern am 10. oder 11. November 1938 verhaftet und ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Dort setzte man die Häftlinge unter Druck, misshandelte sie und ließ sie hungern, damit sie sich schriftlich bereit erklärten, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen. Auch Goldschmidt – Häftlingsnummer 9874 – wird dies erklärt haben. Am 16. Dezember 1938 wurde er entlassen. Seine so gut wie geschiedene Frau setzte sich sehr für ihn ein, um eine schnelle Ausreise zu erwirken. In einem Brief vom 7. Dezember 1938 bat sie seinen Freund Ernst Reuter, der zunächst nach England geflohen war und nun in der Türkei lebte, ihm zu helfen. Sie schrieb: „Haben Sie Dank, daß Sie sich so in der Sache H.G. bemühen und der einzige
wirklich freundschaftliche Mensch sind. Die Situation von H. ist unverändert und sieht unsagbar hoffnungslos aus. … Ich nehme an, Sie wissen dass H. und ich geschieden sind. … Sollte Ihnen in der Einladungssache doch noch irgend etwas glücken, bitte teilen Sie es sofort O.K. [vielleicht der Architekt Otto Krause, der wie Goldschmidt in der Mommsenstraße 56 wohnte] in die Mommsenstr. mit. Ich bin noch ca. 14 Tage hier in Berlin u. teils in Magdeburg, vielleicht kann ich dann doch meinen väterlichen Freund im Konsulat noch einmal aufsuchen…“ Doch alle Versuche waren vergeblich.
1939 scheint Goldschmidt – vielleicht wegen der Verordnung über die jüdischen Mietverhältnisse vom Januar 1939 – seine Wohnung in der Mommsenstraße verlassen zu haben. Jedenfalls ist sein Name nach 1939 in den Adressbüchern nicht mehr zu finden. Außerdem scheint er auch eine neue berufliche Richtung eingeschlagen zu haben. Er ließ sich zum Optiker umschulen. Das war auch der Beruf, unter dem sein Name das letzte Mal auftauchte, in der Deportationsliste nach Riga. In seiner Vermögenserklärung vom Januar 1942 gab er an, dass er in der Gemeinschaftswerkstatt der Berliner Augenoptikerinnung (Wallstraße3 /4) tätig sei und 20 RM wöchentlich verdiene. Er wohnte Droysenstraße 18, zunächst als Untermieter von Abraham (Arthur) und Ruth Rahel Lecker. In diesem Haus muss er Margarete Burmeister geb. Ittmann kennen gelernt haben, die am 12. August 1894 in Frankfurt am Main geboren wurde und zu dieser Zeit wie er allein lebte. Ihre Tochter Marion Ittmann war
schon 1938 emigriert und lebte in Manila auf den Philippinen, sie selbst wohnte zur Untermiete bei Liese-Lotte Kantorowitz. Bisher war nicht zu erfahren, wann, aber auf alle Fälle nach dem 17. Mai 1939, da Margarete bei der Volkszählung noch den Namen Burmeister trug, haben die beiden geheiratet. Margarete, jüdischer Religion, nur wenig jünger als Goldschmidt, wurde ihm zur letzten Weggefährtin. Wenig ist von ihr bekannt. Ihre Lebensstationen waren Frankfurt/Main, Dresden – dort lernte sie den bekannten Schauspieler Ernst Deutsch kennen und dort wurde 1917 ihre Tochter Marion geboren – und nach dem Ersten Weltkrieg Berlin, wo sie ihren Lebensunterhalt dadurch verdiente, dass sie Familien den Haushalt führte, so dass sie ihre Tochter fremden Händen anvertrauen musste.
Herbert und Margarete Goldschmidt mussten miterleben, dass aus ihrem Haus, das der jüdischen Eigentümerin F. Weiß gehörte und in dem 37 Juden wohnten, immer mehr Menschen deportiert werden. So wurden Ruth Rahel Lecker, und ihre Tochter Edith (geboren 1935) am 27. November 1941 nach Riga deportiert. Alle Menschen aus deren Transport wurden gleich nach der Ankunft am 30. November in Riga ermordet („Rigaer Blutsonntag“).