HIER WOHNTE
MARION ZELLNER
GEB. MIESCHEL
JG. 1904
FLUCHT 1937 BELGIEN
VERHAFTET 1943 MARSEILLE
INTERNIERT DRANCY
1944 RAVENSBRÜCK
FLUCHT APRIL 1945
VERSTECKT / ÜBERLEBT
Marion Zellner geb. Mieschel wurde am 13. Januar 1904 in Magdeburg geboren. Sie stammte aus einer protestantischen Familie, ihr Vater war der schon 1907 oder 1908 gestorbene Bürovorsteher der Magdeburgischen Baugewerbegenossenschaft Wilhelm Mieschel, die Mutter war die Klavierlehrerin Anna Luise Margarete Mieschel geb. Dittmann.
Am 30. April 1928 heiratet Marion Mieschel in Magdeburg Herbert Goldschmidt. Marion hat mit der Eheschließung offenbar ihre Arbeit aufgegeben, wie das damals üblich war.
1931 wurde Goldschmidt für die Staatspartei zum Bürgermeister der Stadt Magdeburg gewählt. Damit war er Stellvertreter des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters Ernst Reuter, der später als Regierender Bürgermeister von Berlin berühmt wurde.
Am 11. März 1933, eine Woche nach dem Sieg der Nationalsozialisten bei der Reichstagswahl, wurden Goldschmidt und Reuter von SA-Trupps aus dem Rathaus gejagt. Goldschmidt wurde gezwungen, ohne Mantel mit einer Hakenkreuzfahne an der Spitze eines SA-Zugs mit Musik durch Magdeburg zu laufen. Er wurde dabei schwer misshandelt. Beide Männer wurden in sogenannte Schutzhaft genommen und nach drei Stunden freigelassen. Herbert Goldschmidt wurde am 24. April 1933 auf Grund des “Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das sich gegen politisch oder rassisch „Unerwünschte“ richtete, fristlos entlassen.
Das Ehepaar verließ Magdeburg nach diesem Vorfall fluchtartig, weil mit weiteren lebensbedrohlichen Anschlägen zu rechnen war. Sie gingen nach Berlin und lebten dort, wie sie in einem ihrer Lebensläufe schrieb, in bescheidensten Verhältnissen, “wo aber weder für meinen Mann noch für mich bei dem jüdischen Namen irgendeine Möglichkeit bestand, eine Existenz aufzubauen. Herbert Goldschmidt bekam nur eine kleine stark gekürzte Pension…“. Marion hat durch Handarbeiten und Stricken etwas zum Lebensunterhalt dazuverdient. Sie versuchte ihren Mann zu überreden, Deutschland zu verlassen, aber wie viele Verfolgte war er der Meinung, das Naziregime werde bald abgewirtschaftet haben und man müsse durchhalten – was sich als Irrtum herausstellte.
Nach Aussagen von Marion war die Ehe der beiden freundlich und harmonisch, aber nicht sonderlich aufregend für eine so junge Frau. Sie hatten geheiratet, als sie gerade 24 Jahre alt war, und er war immerhin 14 Jahre älter. Sie hat sich immer voller Hochachtung und mit Wärme über ihn geäußert. Er war außerordentlich engagiert und ging in seiner beruflichen Tätigkeit auf. Dann kamen die Belastungen der Nazizeit, in denen er offenbar nicht die Kraft fand, die Situation durch Emigration zu verändern.
So kam es, dass sie sich 1936 in einen anderen Mann verliebte: Hans Zellner, der – außer dass er auch Jude war – in nichts Herbert Goldschmidt ähnelte. Hans Zellner wurde am 18. Oktober 1901 in Hannover als Sohn jüdischer Eltern geboren. Der Vater Heinrich Zellner war Chemiker. Seine Mutter hieß Paula. Von 1930 bis 1934 war er Sekretär der Genossenschaft Deutscher Tonkünstler in Berlin. Dort wurde er als Jude entlassen. Anschließend arbeitete er als Bildberichterstatter für verschiedene amerikanische Magazine, auch für LIFE.
Marion brannte im März 1937 mit Hans Zellner nach Belgien durch, nachdem sie Herbert Goldschmidt um die Scheidung gebeten hatte, die er zunächst verweigerte. Er hat aber schließlich selbst im Oktober 1938 die Scheidung eingereicht. Marion wurde im Januar 1939 rechtskräftig schuldig geschieden.
Marion wollte sich aber nicht etwa von Herbert Goldschmidt scheiden lassen, um dem Druck der Nazis zu entgehen, sondern weil sie sich in Hans Zellner verliebt hatte. Sie hat sich bis an ihr Lebensende Vorwürfe wegen dieser Scheidung gemacht. Sie dachte, Herbert Goldschmidt wäre vielleicht durch die Ehe mit ihr geschützt gewesen. Man nannte diese Ehen „privilegierte Mischehen“, die jüdischen Partner waren vor Deportation und Ermordung geschützt. Allerdings wusste man 1936/1937 noch nicht genug darüber, wie weit der Terror und das verbrecherische Ausmaß der Nazis gehen würden. Sie hätte sich vielleicht nicht von Gold-schmidt getrennt, wenn sie gewusst hätte, was passieren würde. Auch nach der Scheidung bemühte sie sich intensiv, Herbert Goldschmidt zu helfen.
Seit 1937 lebte Marion also mit Hans Zellner in Brüssel und arbeitete mit ihm in dem Fotolabor, das sie dort betrieben. Beim Überfall der Nazis auf Polen im August 1939 wurde sie von den belgischen Behörden sofort als deutsche Staatsangehörige über die Grenze nach Deutschland abgeschoben und lebte wieder in Berlin. Hans Zellner blieb in Belgien. Er war offenbar als Verfolgter/Jude geduldet. Sie arbeitete unter ihrem Mädchennamen von 1939 bis Mai 1940 in einem Kunstgewerbegeschäft in der Nürnberger Straße in Berlin.
Sie versuchte dann bis zum Frühjahr 1940, legal nach Belgien zurückzukehren, bekam aber keine Ausreisegenehmigung – mit der Begründung, sie sei ein “unwürdiger Repräsentant des Deutschtums im Ausland”.
Hans Zellner schrieb darüber in einem Brief an seinen Bruder im Herbst 1941):
bq.
Ihr wisst ja, welche Versuche ich gemacht hatte, um Marion nach Brüssel zu bekommen, und nachdem die ganzen Formalitäten damals durchgeführt waren und sie Ende Februar 1940 kommen sollte, ein Stoss von Dokumenten beigebracht war, hat man ihr in letzter Minute die Ausreise verboten. Alles war also umsonst, und ich habe schliesslich einen Waldläufer gechartert, der sie unter abenteuerlichen Umständen am 8. Mai in Brüssel ablieferte. Zwei Tage später waren die Deutschen da – 10.Mai 1940.
Marion und Hans wurden verhaftet und getrennt mit Sammeltransporten nach Südfrankreich geschickt. Marion kam in das Camp von Gurs in den Pyrenäen, und er über mehrere Zwischenstationen in ein Lager nach St. Cyprien am Mittelmeer.
Aus dem Brief von Hans:
bq. Ich wurde verhaftet und mit 8000 Gespielen nach Frankreich gebracht. Dort reizende Aufnahme, die bis heute anhält. Also … im Camp 1, dort freiwillig gemeldet; [dann] … im Camp 2. Kurz vor Beginn der Ausbildung sind die Deutschen in der Nähe und wir landen wieder im Viehwagen – weiter bis an die spanische Grenze am Mittelmeer, 3. Camp: [St.Cyprien]. Dort findet mich Marion durch Rundschreiben. Sie war ebenfalls verhaftet und sass in einem Camp in den Pyrenäen.