Beifall für die Schokosahne-Torte – Ein Kochteam bereitet einmal im Monat ein Fünf-Gänge-Menü für Senioren zu. Für die älteren Gäste ist das Essen stets ein Erlebnis
von Katrin Lange
Sie kommen einzeln oder paarweise, im Sonntagsstaat und frisch frisiert. Alle voller Erwartung. “Weißt du schon, was es heute gibt?”, flüstert eine Dame ihrer Nachbarin im Foyer des Grunewalder Seniorenclubs zu. Diese nippt noch einmal an ihrem Sekt mit Brombeerlikör, bevor sie den Kopf schüttelt. Kurz vor 13 Uhr wandern die Blicke immer wieder zur Uhr. Das ist der Moment für Evelin Hitze. In roter Küchenschürze, randloser Brille und mit hoch gesteckten Haaren tritt sie vor die Wartenden – in der Hand das Objekt der Begierde: die Menükarte, die noch keiner kennt und die sie laut vorliest. Während der Rapunzelsalat mit Honigmelone, Pinienkernen und Serrano-Schinken mit einem anerkennenden Raunen quittiert wird, steigern sich die Beifallsbekundungen bis zum kräftigen Klatschen beim Verkünden der Schokosahne-Torte als fünften und letzten Gang des Tages.
Das Menü, das Evelin Hitze in einer Minute vorgetragen hat, ist das Werk von acht Leuten und vier Stunden Vorbereitung. In dieser Zeit galt es Teamgeist zu beweisen, Schnelligkeit, Konzentration und Geschicklichkeit. “Wir sind eine tolle Gruppe”, das ist die häufigste Antwort an diesem Sonntagvormittag auf die Frage, warum die Acht beim Projekt “Jugend kocht für Senioren” im Club an der Herthastraße mitmachen. Wobei die meisten schon gar nicht mehr so jugendlich, aber dennoch immer noch begeistert dabei sind. Jeden dritten Sonntag im Monat kocht das Team ein ausgefallenes Fünf-Gänge-Menü für bis zu 30 Senioren, die nur einen Obolus für die Lebensmittel bezahlen.
Der ehrenamtliche Einsatz der buntgemischten Gruppe ist auf die Idee zurückzuführen, den Austausch zwischen den Generationen zu fördern. Die Aufforderung drang vor fast 20 Jahren von der Europäischen Union bis in die Bezirke. Ein Schmargendorfer Ehepaar fühlte sich angesprochen und hatte die Idee, dass junge Leute für Senioren kochen könnten. Am 16. Januar 1994 kam das erste Menü auf den Tisch. Fast von Anfang an dabei ist Manuel Hitze, der Sohn von Evelin Hitze. Sie hatte von dem Projekt in der Zeitung gelesen und ihren Sohn angemeldet. Manuel ist mittlerweile 35 Jahre alt und arbeitet in der Kantine des Konzerthauses am Gendarmenmarkt. Für die Senioren kocht er immer noch. Mittlerweile mit seiner Mutter. Evelin Hitze hat 400 Kochbücher zu Hause und etliche Kurse bei Sterneköchen besucht. Als der Initiator plötzlich starb und seine Frau allein mit dem Projekt blieb, war es für sie keine Frage, mitzumachen. Auch Sidika und Orhan Sarak sind über ihre Kinder dazu
gekommen. Das kurdische Paar ist für die beiden Töchter eingesprungen, die mittlerweile für ihre eigenen Familien kochen.
Kurz nach 10 Uhr: Im Seniorenclub geht es noch entspannt zu. Evelin Hitze arrangiert die gelben Osterglocken in den Tischvasen. Im Saal poliert Hildegard Mosebach das Besteck und deckt Teller und Gläser ein, André Conrad faltet Servietten. In der Küche liegen die gefüllten Hähnchenbrüste in der Bratpfanne. Der Koch hat fünf Minuten Zeit, um seine Geschichte zu erzählen. Georg Uliczka ist gelernter Koch, Alt-Amerikanist, Ethnologie, Religionswissenschaftler und arbeitet als Vermittler im Jobcenter. Er war gerade Wirtschaftsleiter in einer Seniorenresidenz, als das Kochprojekt gegründet wurde. Uliczka wurde von einer Stadträtin angesprochen, ob er nicht als Fachmann das Gründer-Ehepaar unterstützen könnte. Er konnte und wollte. Uliczkas Lieblingslektüre sind Kochbücher, Gerichte denkt sich der 57-Jährige aber am liebsten selbst aus. Teller müssen vorgewärmt werden.
11 Uhr: Die Brühe köchelt, die Kartoffeln sind geschält. Sidika schleppt einen Arm voll Blumenkohlköpfe an, die geputzt werden müssen. Ekrem Balk wartet bereits. Mit 30 Jahren ist er der Jüngste im Team. Seit sechs Jahren lebt Ekrem in Deutschland. Sein Maschinenbaustudium hat er an der TU abgeschlossen, aber keinen Job gefunden. Jetzt will der junge Mann aus der Türkei promovieren. Und weiter kochen. Denn das sei sein Hobby.
12 Uhr: In der Küche wird es etwas hektischer. Einer der beiden Backöfen ist defekt und nun taucht die Frage auf, wie die Teller vorgewärmt werden könnten. Evelin Hitze hat eine ganz andere Frage: Sie will von den anderen wissen, ob sie den Salat in der riesigen Schüssel mit Dressing anrichten soll oder einzeln auf den Tellern. Der Rapunzelsalat ist sehr sensibel. Im Saal sind alle Tische festlich gedeckt und dekoriert, Hildegard Mosebach und André Conrad betrachten zufrieden ihr Werk. Der junge Mann ist Umwelttechniker und seit 15 Jahren dabei. Er habe nach dem Abitur “etwas Sinnvolles in seiner Freizeit machen wollen”, begründet der 35-Jährige sein Engagement. Einen ähnlichen Grund hat Hildegard Mosebach. Sie habe früher viel Sport gemacht. Als das nicht mehr so ging, war sie auf der Suche nach etwas Neuem, erzählt sie. “Nun mache ich eben anderen eine Freude.” Für die Tischdekoration denkt sie sich jedes Mal etwas Neues aus.
Alles soll perfekt sein. “Ein paar Sterne hätten wir hier schon verdient”, findet Hildegard Mosebach.
12.30 Uhr: Die ersten Gäste kommen. Sidika begrüßt jeden Besucher an der Tür und reicht den Aperitif. In der Küche wird entschieden, das Salatdressing erst auf den Tellern zu verteilen. Schnell muss es jetzt gehen. Doch davon bekommen die Besucher draußen nichts mit. Gisela Schwer (86) aus Wilmersdorf und Ingeborg Heisig (80) vom Tauentzien sitzen bereits im Foyer. Seit Jahren melden sie sich für das Sonntagsmenü an. “Das Essen ist spitze und die Atmosphäre vertraut”, sind sie sich einig. Für die Damen ist es auch gleichzeitig ein Ausflug. “Wir steigen extra eine Busstation vorher aus, um noch ein Stück spazieren zu gehen”, sagt Ingeborg Heisig. Während die Gäste essen, ist die Crew schon wieder beim Überlegen: “Was kochen wir das nächste Mal?”