Siegfried Kawerau wurde am 8.Dezember 1886 in Berlin geboren. Er stammte aus einer Lehrerfamilie, sein Vater war Berliner Domorganist und Gesangslehrer. Er studierte in Berlin und Breslau Geschichte, Germanistik und Latein und promovierte in Königsberg. 1913 trat er in den Schuldienst ein und wurde Gymnasiallehrer in Landsberg an der Warthe. 1915 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Nach einer für ihn traumatischen Verschüttung bei Verdun wurde er 1916 als „nicht mehr kriegsverwendungsfähig“ aus der Armee entlassen. 1917 ließ er sich an ein Lyzeum versetzen, weil er die Erziehung von Mädchen für besonders wichtig hielt.
Seit 1911 war er mit Anna Magdalena verheiratet. Aus der Ehe gingen drei Söhne und eine Tochter hervor. 1919 zog die Familie in die damals noch selbständige Stadt Charlottenburg. Kawerau trat in dieser Zeit aus der evangelischen Kirche aus. In seiner Schrift „Selbstbildnis“ beschrieb er die damalige Stimmung:
bq. Wie ein Volksfrühling war 1919 und noch 1920 die Atmosphäre. Alles voller Keime und Hoffnungen. Ein Ansturm der Jugend, der Frauen, der Arbeiter auf die Bastionen der alten Gesellschaft.
Er wurde 1919 Mitglied der SPD und gründete zusammen mit Paul Oestreich den Bund Entschiedener Schulreformer. Er engagierte sich für eine Schule der Einheit von Arbeit, Leben und Unterricht, für Schulgeld- und Lernmittelfreiheit und gegen Konfessions- und Standesschulen. Siegfried Kawerau war von 1921 an Bezirksverordneter in Charlottenburg und von 1925 bis 1930 Stadtverordneter in Berlin.
1927 wurde Dr. Siegfried Kawerau, der mit dem Schriftsteller Rainer Maria Rilke befreundet war, Schulleiter des Köllnischen Gymnasiums und der Kaempfschule. Diese Modellschulen waren Aufbauschulen, die nach sieben Volksschuljahren in sechs Jahren zum Abitur führten. Seine Schüler lernten hier auch Methoden demokratischer Selbstverwaltung. Alljährlich fanden Veranstaltungen unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ statt. 1933 wurde Kawerau von der nunmehr nationalsozialistischen Behörde als Schulleiter abgesetzt. Anfang März 1933 reichte er ein Gesuch auf Frühpensionierung ein, um Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten in der Schule zu vermeiden.
Die Familie zog in ihr Sommerhaus nach Pustchow (Pustkowo) an der Ostsee in Pommern. Am 19. März 1933 wurde er dort verhaftet und ins Gefängnis nach Stettin gebracht, wo er von der SA schwer misshandelt wurde. Nach elf Wochen kam er frei, nachdem ausländische Freunde sich für ihn eingesetzt hatten. Am 1. September 1933 wurde er „aus politischen Gründen“ ganz aus dem Schuldienst entlassen. Die vier Kinder Kaweraus emigrierten in den Jahren 1933 und 1934.
Durch die Misshandlungen während seiner Haftzeit körperlich und seelisch schwer angeschlagen, starb Siegfried Kawerau nach monatelanger schwerer Krankheit am 17. Dezember 1936 in Berlin.
1995 beschloss der Bezirk Charlottenburg, dass am Wohnhaus Kaweraus am Bonhoefferufer 18 eine Gedenktafel für ihn angebracht werden solle. Der Hausbesitzer gestattete dies jedoch nicht.
Biografische Zusammenstellung: Verein Aktives Museum e.V., ergänzt von Helmut Lölhöffel.
Dieser Stolperstein ist Teil einer Gruppe von 8 Stolpersteinen, die auf Initiative des Aktiven Museums Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. von Erika Albers, Ursula und Winfried Büchau, Myriam von Oppen, Monica und Oliver Puginier, Monika Richarz, Ingrid Schmidt und André Schmitz gespendet und am 9.4.2009 verlegt wurden. Mit diesen Stolpersteinen wird an Berliner Stadtverordnete erinnert: