Mehr Freiräume, mehr Lebensqualität, mehr Gerechtigkeit – Berlin auf dem Weg zur klimaneutralen Zukunftshauptstadt

Von Bettina Jarasch, Bürgermeisterin und Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

Senatorin Bettina Jarasch auf dem Rad

Senatorin Bettina Jarasch

Mobil zu sein, ist ein Grundbedürfnis von Menschen. Und wir haben es uns zum Ziel gesetzt, uns um dieses Grundbedürfnis zu kümmern und zwar überall in der Stadt. Egal wo die Menschen wohnen, ob am Stadtrand oder in der Innenstadt. Egal ob sie viel oder wenig Geld haben, ob sie Menschen mit oder ohne Behinderung sind, alte oder junge Menschen, Menschen mit Kindern oder Menschen ohne Kinder. Das bedeutet vor allem mehr Platz für Fußgängerinnen, für Radfahrerinnen, für Kinder, für Ältere, für Menschen statt für Autos. Mit einem Wort: mehr Raum zum Leben.

Dabei wird es in den kommenden Jahren entscheidend sein, wie wir den öffentlichen Straßenraum in Berlin verteilen.

Die Berliner Mobilitätspolitik lässt sich in drei Punkten zusammenfassen:
  1. Mehr Freiräume für die Menschen in unserer Stadt.
  2. Mehr Gerechtigkeit für die Menschen in unserer Stadt.
  3. Und damit mehr Lebensqualität und auch mehr Sicherheit für die Menschen in unserer Stadt.

Deshalb braucht es die Mobilitätswende. Mobilitätswende bedeutet konkret: Mehr barrierefreie Räume für die Berlinerinnen und Berliner, die darauf angewiesen sind, mehr angstfreie Räume im ÖPNV, bessere Anschlüsse und eine dichtere Taktung des ÖPNV, mehr Umsteigemöglichkeiten auf klimafreundliche Verkehrsmittel an den Haltestellen, mehr klimafreundlicher Lieferverkehr und weniger Unfälle.

Wir müssen es den Menschen zudem ermöglichen, auf Elektromobilität umzusteigen. Eines ist mir dabei wichtig: Mobilitätswende bedeutet mehr als nur das Austauschen von Verbrennermotoren gegen Elektromotoren. Denn hinsichtlich einer gerechten Flächenverteilung im öffentlichen Raum hätten wir damit nichts erreicht. Schließlich will ich weniger Raum für Parkplätze und Autofahrspuren dort, wo es mehr Raum für andere Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer braucht.

Damit meine ich auch Freiräumen für alle Berlinerinnen und Berliner in den Kiezen unserer Stadt. Grüne Oasen, in denen sich die Menschen gern aufhalten. Orte mit Bäumen, Bänken und Brunnen. Viele kleine lebenswerte Orte. Das ist das Ziel. Dabei ist klar: Mit einer flächendeckend autofreien Innenstadt, per Gesetz angeordnet, würden wir dieses Ziel gerade nicht erreichen. Sondern wir würden die Verkehrsprobleme der Stadt an ihre Ränder auslagern, ohne dort schon Alternativen bieten zu können.

Mobilitätswende nur mit den Außenbezirken

Wir wollen nicht die Probleme, sondern die Mobilitätswende an den Stadtrand bringen. Daher legen wir in dieser Legislaturperiode die Priorität auf die Außenbezirke. Dort lebt die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner. Ohne sie ist die Mobilitätswende schlicht nicht machbar. Zumal die Menschen in den Außenbezirken derzeit noch besonders auf das Auto angewiesen sind. Dabei ist klar: Wir verbieten niemandem das Autofahren. Stattdessen wollen wir, dass Menschen auf ihr Auto verzichten können, weil sie feststellen: Sie benötigen das Auto einfach nicht mehr.

Darum soll eine Haltestelle mit attraktiver Taktung zukünftig nicht weiter als 400 Meter vom Wohnort entfernt sein. Außerdem orientiert sich der Senat am Ziel eines 10-Minuten-Takts im Außenstadtbereich. Darüber hinaus werden gerade im Außenbereich Fahrradparkplätze an den Haltestellen geschaffen. Und auch die Sharing-Mobilität müssen wir endlich in ganz Berlin verfügbar machen.

Das alles wird nur mit großer Anstrengung, genügend Ressourcen und nur gemeinsam mit den Bezirken umzusetzen sein. Zugleich wird es auch auf die Zusammenarbeit mit unserem Nachbarland entscheidend ankommen. Denn ich bin davon überzeugt: Die Mobilitätswende in Berlin gelingt nur gemeinsam mit Brandenburg. Hier lautet das Stichwort: i2030.

Schon jetzt gibt es rund 300.000 Menschen, die täglich zwischen Berlin und Brandenburg pendeln. Und es werden künftig deutlich mehr Menschen sein. Auch für sie müssen wir Lösungen finden. Beispielsweise mit dem Ausbau der S-Bahn und der Regionalbahn.

Mehr Sicherheit nur mit der Mobilitätswende

Eingangs habe ich gesagt: Bei der Frage nach unserer Mobilität geht es um Freiräume, Gerechtigkeit, Lebensqualität und Sicherheit. Mit Blick auf die Sicherheit gilt: Je schwächer die Verkehrsteilnehmenden, desto mehr Schutz benötigen sie. Schon aus diesem Grund müssen wir Mobilitätspolitik immer auch aus der Perspektive der Schwächeren denken.

Eines muss dabei klar sein: Einen weitreichenden Schutz schaffen wir in Berlin nur mit weniger Autos und mit Entschleunigung, mit sicheren Fußgänger- und Radwegen anstelle von parkenden Autos. Oder anders formuliert: Einen umfassenden Schutz der Schwächsten erreichen wir nur mit der Mobilitätswende. Dabei spielt der Ausbau der Radinfrastruktur eine ganz zentrale Rolle.

Der Ausbau der Radinfrastruktur ist neben dem Ausbau des ÖPNV das zentrale Elemente der Mobilitätswende. Und hier gilt zweifellos: Wir müssen schneller werden. Wir müssen den Ausbau beschleunigen. Um das Tempo zu steigern, ist es entscheidend, dass wir mit allen Beteiligten konstruktiv und zielorientiert zusammenarbeiten. Nicht Zuständigkeiten, sondern Lösungen müssen im Zentrum unserer gemeinsamen Arbeit stehen.

Was das konkret bedeutet, zeigt ein Beispiel aus unserem 100-Tageprogramm: Um die Radwege rasch auszubauen, haben wir uns bereits auf den Weg gemacht, pragmatische Lösungen zu finden. Wir bilden gemeinsam mit Bezirken eine Projekteinheit. Wir setzen uns gemeinsam an einen Tisch, schauen, welche künftigen Radwege in Betracht kommen und bringen sie gemeinsam auf die Straße. So können wir den Radwegeausbau beschleunigen. Ähnlich gehen wir beim Ausbau der Busspuren vor.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass wir uns beim Radwegeausbau sehr ambitionierte Ziele gesetzt haben. Die Umsetzung des Koalitionsvertrages bedeutet konkret: 280 Kilometer Radwege pro Jahr. Das sind mehr als ehrgeizige Pläne. Pläne, die nur gelingen, wenn wir gemeinsam das Tempo deutlich erhöhen. Und sicherlich werden nicht immer alle Maßnahmen im gewünschten Zeitraum umzusetzen sein. Das gehört auch zur Wahrheit.

Klimaschutz ist Freiheitsschutz

Als Senatorin bin ich aber nicht nur für die Mobilitätspolitik, sondern auch für die Umwelt-, Verbraucher- und Klimaschutzpolitik in unserer Stadt verantwortlich. Und auch hier geht es darum, unsere Freiheit zu bewahren.

Das Bundesverfassungsgericht hat das im vergangenen Jahr hervorragend auf den Punkt gebracht. Im Frühjahr des vergangenen Jahres formulierten es die Richterinnen und Richter folgendermaßen: __„Die Schonung künftiger Freiheiten verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten.“__ Damit hat Karlsruhe klargemacht: Klimaschutz ist Freiheitsschutz. Es besteht die konkrete Gefahr, dass die Lebens-, Bewegungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der kommenden Generationen drastisch eingeschränkt werden müssen, wenn wir beim Klimaschutz so weitermachen wie bisher.

Aber es geht nicht nur darum, die Freiheit künftiger Genrationen zu schützen. Angesichts der bereits jetzt spürbaren Folgen des Klimawandels geht es auch um die Freiheit der Berlinerinnen und Berliner, die jetzt und hier leben. Denken wir beispielsweise an die alten und kranken Menschen, die schon jetzt besonders unter den Hitzesommern leiden. Wir alle wollen eine Stadt, in der es sich lohnt zu leben. Eine Stadt, die uns Lebensqualität bietet. Um das zu erreichen, müssen wir Berlin in den kommenden Jahren an die Folgen des Klimawandels anpassen. Das ist ein zentrales Element unserer künftigen Klima- und Umweltschutzpolitik. Das bedeutet vor allem mehr Grün und weniger Beton. Das bedeutet in einer verdichteten Stadt, dass das Grün mitwächst, wo immer gebaut wird. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht mehr Flächen versiegelt werden als entsiegelt.

Deshalb haben wir das Ziel einer Netto-Null bei der Versiegelung auch in den Richtlinien der Regierungspolitik festgeschrieben. Und wir haben festgeschrieben, dass wir qualifizierte Grünflächen und Biotopflächen überall in der Stadt sichern wollen. Wenn wir klug sind, machen wir das schon im Vorgriff auf Bauprojekte, wie wir es mit dem Ökokonto schon begonnen haben. Aber wenn ich sage, dass das Grün der Stadt mitwächst, dann meine ich auch „Kühle Meilen“ nach dem Vorbild Wiens, Hofbegrünung sowie Dach- und Fassadenbegrünung. Und auch das Stadtgrün spielt hier eine zentrale Rolle.

Wenn wir über Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz reden, dann reden wir also ganz konkret über Stadtentwicklung und den Umbau Berlins zu einer grünen Hauptstadt. Wir reden zugleich über den Schutz unserer Freiheit und über mehr Lebensqualität für die Menschen in unserer Stadt.

Wenn es um Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz geht, dann sprechen wir aber auch über den Schutz ganz alltäglicher Grundbedürfnisse: Davon, dass wir morgens den Wasserhahn aufdrehen, um die Zähne zu putzen oder einen Kaffee zu kochen. Davon, dass wir im Winter unsere Wohnung heizen. Davon, was wir morgens, mittags und abends essen. Kurzum: Umwelt-, Klima- und Verbraucherschutzpolitik betrifft unsere Trinkwasserversorgung, unsere Wärmeversorgung und unsere Ernährung.

Für die Berlinerinnen und Berliner ist es selbstverständlich, dass Trinkwasser in hoher Qualität aus dem Hahn fließt. Aber der Grundwasserspiegel sinkt, das Wasser wird knapper, mit Folgen für unsere Bäume, Seen und Moore. In andauernden Trockenphasen können die Berliner Gewässersysteme an ihre Grenzen kommen. Deshalb hat sich der Senat dieses Thema vorgenommen. Das Stichwort lautet: Masterplan Wasser. Dabei geht es darum, Strategien zu erarbeiten, um die Trinkwasserversorgung langfristig zu sichern. Es geht darum, unsere Gewässer zu schützen, um weiterhin über hochwertiges Trinkwasser zu verfügen. Es geht darum, eine angepasste Abwasserentsorgung der Metropolregion Berlin-Brandenburg sicherzustellen.

Berlin leitet die Wärmewende ein

Die Mobilitätswende ist in aller Munde. Für einen effizienten Klima- und Umweltschutz ist sie unerlässlich. Aber wir müssen auch rasch in einem anderen Bereich eine Kehrtwende vollziehen. Ich spreche von der Berliner Wärmewende. Wenn wir Berlin bis 2045 zu einer klimaneutralen Metropole umbauen wollen, dann müssen wir ab sofort den Wärmesektor in das Zentrum unserer Aufmerksamkeit stellen. Daher werden wir in den kommenden fünf Jahren die Wärmewende mit vier zentralen Vorhaben auf den Weg bringen:

Wir schaffen mit dem Erneuerbare-Wärme-Gesetz den rechtlichen Rahmen, um die Wärmewende voranzubringen. Wir nutzen alle erneuerbaren Wärmepotenziale, die es in Berlin gibt – auf den Dächern wie unter der Erde. Das bedeutet, dass wir die Potenziale der Solarenergie genauso nutzen und erkunden werden wie die Abwärme und die Potenziale der Geothermie, der Erdwärme. Wir richten ein Wärmekataster ein und schaffen damit die Datengrundlage für die Berliner Wärmewende. Wir treiben den Kohleausstieg weiter voran und beschleunigen ihn.

Zu unserem politischen Portfolio passt es zudem ausgezeichnet, dass die Senatsverwaltung in dieser Legislaturperiode um den Verbraucherschutz bereichert wurde. Hier spielt das Thema Ernährung eine zentrale Rolle. So ist Berlin die erste Stadt in Deutschland, die mit einer eigenen Ernährungsstrategie das Thema systematisch angeht. Auch über unsere Ernährung können wir bestimmen, wie wir in Zukunft leben wollen. Über unsere Ernährung können wir auch als Verbraucherinnen und Verbraucher etwas gegen Massentierhaltung und für den Tierschutz tun – jenseits von gesetzlicher Regulierung.

Über die Ernährung können wir also mitbestimmen, wie wir künftig leben. Und hier hat Berlin allein aufgrund seiner Größe einen enormen Vorteil: Denn 3,7 Millionen Menschen entscheiden täglich, was sie essen – und damit entschieden sie auch über unsere Zukunft mit.

Klimaschutz als Aufgabe für den gesamten Senat

Klimaschutz ist eine Aufgabe, die keine Senatsverwaltung alleine stemmen kann. Nur wenn alle Ressorts koordiniert und abgestimmt vorgehen, haben wir eine Chance, unsere klimaschutzpolitischen Ziele zu erreichen. Deshalb richten wir die Klima-Governance, also die Verbesserung der Strukturen und Prozesse in der Klimapolitik, ein. Die Klima-Governance ist auch eines der 100-Tage-Projekte meines Hauses. Eine zentrale Rolle spielt dabei der „Senatsausschuss Klimaschutz“. Wir werden den Ausschuss einsetzen, um so alle betroffenen Senatsmitglieder in Sachen Klima- und Umweltschutz regelmäßig an einen Tisch zu bringen. Und wir werden ein regelmäßiges Monitoring unseres CO2-Verbrauchs etablieren, orientiert an den Pariser Klimaschutzzielen. Wenn wir die CO2-Reduktionsziele in einem der Sektoren zu verfehlen drohen, wird nachgesteuert. Mit der Klima-Governance ermöglichen wir also eine ressortübergreifende, koordinierte und abgestimmte Vorgehensweise in Sachen Klima- und Umweltschutz.

In den kommenden fünf Jahren geht es um nicht weniger als den Umbau unserer Stadt. Das wird Zeit, Geld und Nerven kosten. Aber das wird sich lohnen. Es bietet sich jetzt die Chance, den Menschen in dieser Stadt eine neue Mobilität zu ermöglichen, mehr Freiheit und mehr Lebensqualität. Es bietet sich jetzt die Chance, Berlin zu einer umwelt- und klimagerechten Zukunftsstadt umzubauen und zu gestalten. Ich freue mich darauf, diese Chancen zu ergreifen und mit voller Kraft zu nutzen.

__Anmerkung: Am 16. und 17. Februar 2022 hat Senatorin Bettina Jarasch dem Ausschuss für Mobilität und dem Ausschuss für Umwelt, Verbraucher- und Klimaschutz des Berliner Abgeordnetenhaus die Richtlinien der Regierungspolitik vorgestellt. Die Reden in den Ausschüssen waren die Grundlage dieses Gastbeitrages.__