Berlin will spätestens 2045 klimaneutral sein. Dafür muss die bisher überwiegend auf fossilen Brennstoffen basierende Energieversorgung im Land umgestellt werden. Das Berliner Energiewendegesetz sieht deshalb seit seiner ersten Novellierung vom 08.11.2017 vor, dass der Senat auf die Beendigung der Nutzung der Braunkohle bis Ende 2017 und der Steinkohle bis spätestens Ende 2030 hinwirken soll (§ 18 Abs. 1 EWG Bln ).
Machbarkeitsstudie „Kohleausstieg und nachhaltige Fernwärmeversorgung Berlin 2030“
Bild: Vattenfall, Sabine Wenzel
Machbarkeitsstudie Kohleausstieg und nachhaltige Fernwärmeversorgung Berlin 2030
-
Endbericht
-
Zusammenfassung
-
Wissenschaftlicher, englischer Artikel "Evaluation of Energy Transition Pathways to Phase out Coal for District Heating in Berlin"
Bild: SenUVK
Fragen und Antworten zur Machbarkeitsstudie
-
Wie kann die Kohle ersetzt werden und welche Effekte hat der Kohleausstieg auf die Klimabilanz des Landes Berlin im Jahr 2030?
Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie zeigen, dass in 2030 die Kohle etwa durch 40% klimafreundliche Energien wie Geothermie, Biomasse und die Nutzung von Abwärme – industrielle Abwärme und Abfallwärme – ersetzt werden kann. Etwa 60% des Wärmebedarfs kann durch ein neues hocheffizientes, modulares Gas-KWK-Konzept gedeckt werden. Durch den Ersatz von Steinkohle könnten damit jährlich mehr als 2 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.
Für die Erreichung der langfristigen Berliner Klimaschutzziele soll das fossile Erdgas perspektivisch durch synthetisches Gas ersetzt werden, dass unter Nutzung vor Erneuerbaren Energie hergestellt wird. Darüber hinaus sollen weitere Potenziale zur klimaneutralen Fernwärmeerzeugung erschlossen werden.
-
Warum kann der Kohleausstieg nicht deutlich vor 2030 erfolgen?
Die Studienergebnisse zeigen, dass rund 60 % der Kohlewärme durch ein neues, hocheffizientes modulares Gaskraftwerk ersetzt werden sollen. Zentraler Bestandteil hierfür ist auch der Bau eines neuen Gasnetzanschlusses, welcher von mehrjährigen, gewichtigen Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie der Bauphase abhängt. Eine deutlich frühzeitigere Inbetriebnahme des Gaskraftwerks ist damit unrealistisch.
-
Wer war bei der Erstellung der Studie beteiligt? Wie lief der Prozess ab?
Im Auftrag von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz und Vattenfall erstellte das Aachner Unternehmen BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH die Machbarkeitsstudie von November 2017 bis Oktober 2019. Darüber hinaus gab es verschiedene Teilstudien von Fachbüros, deren Ergebnisse in die Machbarkeitsstudie einflossen.
Begleitet wurde der zweijährige Prozess von mehr als 20 Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Verbänden und Verwaltung. Der von der Senatsverwaltung und Vattenfall ins Leben gerufene Begleitkreis hatte die zentrale Aufgabe, die Erstellung der Studie aus zivilgesellschaftlicher Perspektive kritisch zu begleiten und Empfehlungen zu geben. In 13 Sitzungen trafen sich Frau Senatorin Günther, Frau Dr. Wielgoß (Vorstandsvorsitzende Vattenfall) sowie das Gutachterbüro mit den Mitgliedern des Begleitkreises, um die Annahmen, Optionen und Zwischenergebnisse für das von vielen Interessenslagen beeinflusste Thema Kohleausstieg zu besprechen und zu diskutieren.
-
Warum wurde nur das Fernwärmeversorgungsgebiet 1 und nicht das Fernwärmeversorgungsgebiet 2 detailliert betrachtet?
Das Fernwärmeverbundnetz der Vattenfall ist unterteilt in die Versorgungsgebiete 1 und 2 (VG1 und VG 2). Diese sind zwar hydraulisch durch einen limitierten lokalen Wärmeaustausch (ca. 14 MWth) verbunden, haben sich aber historisch bedingt technisch unterschiedlich entwickelt und werden somit weitgehend entkoppelt voneinander betrieben. Da die beiden Kohleheizkraftwerke an den Standorten Reuter West (Blöcke D und E) sowie Moabit (Block A) ausschließlich in das Versorgungsgebiet 1 einspeisen, konzentriert sich die Machbarkeitsstudie auf das VG1.
-
Was ist eine hybride KWK-Anlage bzw. ein hybrides KWK-Konzept?
Ein Lösungsbaustein des Kohleausstiegs soll ein neues, gasgefeuertes hybrides KWK-Konzept am Standort Reuter West sein. Dieses Konzept beinhaltet gemäß der Ergebnisse der Machbarkeitsstudie eine hochflexible Gas-KWK-Anlage mit variabler Feuerungsmöglichkeit, eine Rauchgaskondensationswärmepumpe, einen Wärmespeicher und eine Power-to-Heat-Anlage. Für den KWK-Teil kann neben Erdgas auch Wasserstoff und synthetisches Gas verbrannt und damit perspektivisch klimafreundliche Fernwärme erzeugt werden. Die hybride Anlage kann flexibel eingesetzt werden und in Zeiten von überschüssigem erneuerbaren Strom diesen mit Hilfe der Sektorkopplung zur Wärmeerzeugung nutzen (Power-to-Heat). In den Stunden, in denen erneuerbarer Strom nicht verfügbar ist, kann der KWK-Teil Wärme und Strom erzeugen.
-
Warum wird die Abfallwärme CO₂-frei bilanziert, wenn bei der Abfallverbrennung CO₂-Emissionen entstehen?
Im Rahmen der Machbarkeitsstudie wurde für die Bilanzierung der CO2-Emissionen der Abfallwärme die Berechnungssystematik des AGFW (Arbeitsblatt FW 309 Teil 6), welche die derzeitig anerkannte statistische Methode ist, angewendet. Die bei der Verbrennung des Siedlungsabfalls entstehenden CO2-Emissionen werden dabei dem Entsorgungssektor zugerechnet und nicht der Wärme- bzw. Stromerzeugung. Die Zuordnung der Emissionen zum Entsorgungsprozess wird dadurch begründet, dass der primäre Zweck des Verbrennungsprozesses nicht in der Erzeugung von Strom und Wärme liegt, sondern in der Beseitigung der Abfälle. Demnach fallen ohnehin die Emissionen auch ohne die Nutzung der Abwärme bei der Verbrennung des Abfalls an. Daher wird die Abwärme aus Abfallverbrennung als CO2-frei (Emissionsfaktor von 0 g CO2/kWh Abwärme) behandelt.
Sofern die Abfälle nicht vermieden oder recycelt werden können (Zero-Wast-Strategie), kann die optimierte energetische Nutzung von Abfallabwärme gemäß § 6 Absatz 1 KrWG für die Nutzung im Fernwärmenetz damit als sinnvoll erachtet werden. Die CO2-Emissionen aus der Abfallverbrennung werden in der üblichen Systematik in der Quellenbilanz des Landes Berlin als Emissionen des Umwandlungssektors ausgewiesen und sind damit in der Gesamtbilanz der Landes Berlin lediglich an anderer Stelle enthalten.
-
Welche Annahmen wurden für die Nutzung für Power-to-Heat sowie für die Verwendung von synthetischem Gas oder Wasserstoff getroffen?
Der in der Machbarkeitsstudie angenommene bzw. zukünftig zur Verfügung stehende EE-Überschussstrom für die Nutzung von Power-to-Heat sowie Power-to-Gas wurde im Rahmen der Erstellung der Energiemarktszenarien mit dem Fundamentalmodell des Gutachters B E T für den europäischen Strommarkt stundenscharf berechnet. In dem Modell sind Annahmen unten anderem zu der Entwicklung der politischen Rahmenbedingungen, zur Entwicklung der Preise für Brennstoffe und CO2 oder auch zur Stromnachfrage getroffen und damit der Erzeugungsmix im europäischen Strommarkt sowie die Entwicklung der Strompreise errechnet worden.
Im Rahmen des ambitioniertesten Transformationsszenarios (Klimaschutzszenario 95) wird für Deutschland eine stark ambitionierte Klimaschutzpolitik angekommen. Die Treibhausgasemissionen reduzieren sich bundesweit über alle Sektoren bis 2050 um 95 % gegenüber 1990. Darüber hinaus steigt der Bruttostromverbrauch bis 2050 deutlich, unter anderem wegen der Sektorkopplung. Außerdem wird unterstellt, dass der Anteil der EE-Stromerzeugung am Bruttostromverbrauch auf 95 % erhöht wird. So steigt die Erzeugung aus Windenergie laut Modell von etwa 160 TWh/a in 2020 auf bis zu 560 TWh/a in 2050. In 2030 werden bereits mehr als 75 % des Bruttostromverbrauchs durch Erneuerbare Energien gedeckt. Beginnend in den 2030er Jahren wird bundesweit ein sukzessiver Einsatz von grünem Gas in der Stromerzeugung unterstellt, langfristig soll auf diese Art eine vollständige Dekarbonisierung der Stromerzeugung in 2050 erreicht werden. Laut Modell werden im Jahr 2050 im Stromsektor etwa 60 TWh durch erneuerbares Gas erzeugt. Die wesentliche Quelle für die Brennstoffe stellen dabei Importe dar. Neben der inländischen Produktion soll im Jahr 2050 rd. 340 TWh an erneuerbaren Brennstoffen importiert werden. Diese werden dabei in Ländern mit besseren Bedingungen für erneuerbare Energien hergestellt, z. B. solche mit weniger Flächenrestriktionen oder umfangreichen Verfügbarkeiten von Wind und Sonne mit möglichst vielen Volllaststunden.
Für die Transformation der Berliner Fernwärme führen diese Annahmen und zeigen die Ergebnisse der Einsatzsimulation des zukünftigen, möglichen Anlagenparks, dass die Erzeugungsmengen von Power-to-Heat in Berlin von knapp 7 % der gesamten Wärmeerzeugung im Jahr 2030 auf über 25 % im Jahr 2050 ansteigen. Die Anzahl der Vollbenutzungsstunden der unterstellten 400 MW Power-to-Heat beträgt im Jahr 2050 2.440 Stunden (2030: 800 Stunden).
Bei der Wärmeerzeugung der gasgefeuerten Anlagen wird angenommen, dass ab 2030 schrittweise bis 2050 auf 100 % Anteil synthetischen Gases umgestellt wird. Die Wärmeerzeugungsmenge steigt damit von 0,13 TWh ab 2031 auf 1,15 TWh in 2050.
-
Welche Sanierungsrate wurde angenommen und wie soll diese erreicht werden?
Zur Erreichung der Berliner Klimaschutzziele und insbesondere für eine langfristige Dekarbonisierung des Gebäudesektors kommt der deutlichen Erhöhung der Energieeffizienz im Gebäudebestand eine wichtige Rolle zu.
Im Rahmen der Machbarkeitsstudie werden für das ambitionierteste Transformationsszenario KS 95 daher Sanierungsraten von über 1,3 bis 2,6 % pro Jahr angenommen und für die Gebäude eine umfassende Sanierung unterstellt.
Um die Sanierungsraten zu erreichen, sind einerseits erhebliche Investitionen in den Gebäudebestand erforderlich. Zum anderen sind flankierende Maßnahmen notwendig, um Wohnraum auch bei umfassenden Sanierungsraten bezahlbar zu belassen. Hierzu müssen landes- und bundespolitische Rahmenbedingungen (unten anderen Gebäudeenergiegesetz) geschaffen werden. Dies könnte zum Beispiel durch Anhebung der Standards im Gebäudeenergiegesetz oder durch steuerliche Anreize für Energieeffizienzmaßnahmen umgesetzt werden.
-
Wurde die Absenkung der Systemtemperaturen berücksichtigt?
Das Fernwärmenetz des untersuchten Fernwärmeversorgungsgebiet 1 besteht aus einem Drei-Leiter-Netzsystem mit zwei Vorlaufleitungen (dem Heizungsvorlauf und dem Konstant-Leiter) sowie einer Rücklaufleitung. Während der Heizungsvorlauf gleitend zwischen 80°C und 110°C gefahren wird, beträgt die Temperatur des Konstant-Leiters durchweg 110°C. Die Rücklauftemperatur beträgt zwischen 50°C und 60°C.
Hinsichtlich der zukünftigen Betriebsweise des Fernwärmenetzes gehen die Transformationsszenarien davon aus, dass die Vorlauftemperaturen ganzjährig auf das heutige Niveau des gleitenden Vorlaufs (Heizungsvorlauf) absinken. Somit soll der Konstantleiter im Sommer nicht mehr mit 110°C Vorlauftemperatur betrieben werden, sondern auf 80°C umgestellt werden, um die industrielle Abwärmequellen und erneuerbaren Energie besser zu integrieren.
-
Wie werden sich die Fernwärme-Preise laut den Ergebnissen der Studie entwickeln?
In der Machbarkeitsstudie wurden spezifische Wärmegestehungskosten rechnerisch ermittelt und eine Differenzbetrachtung vorgenommen. Es handelt sich bei den spezifischen Wärmegestehungskosten um die Vollkosten aller im jeweiligen Szenario betrachteten Erzeugungsanlagen inklusive der durch das Fernwärmnetz verursachten Netzkosten unter Berücksichtigung von Stromerlösen und gegebenenfalls vorhandenen finanziellen Vorteilen aus staatlichen Förderungen. Allerdings dürfen die Aussagen über Kosten dürfen nicht direkt in Aussagen über Fernwärmepreise übertragen werden.
Zur Einordnung der Kostenverläufe der Fernwärme wurden die spezifischen Wärmegestehungskosten den untersuchten dezentralen Versorgungsoptionen (unter anderen Solarthermie mit Gaskessel; PV-Anlage mit Wärmepumpe und Gaskessel) in analoger Art berechnet und gegenübergestellt.
Die Ergebnisse der Berechnungen zeigen, dass entsprechend der unterstellten Annahmen zur Energiemarktentwicklung, u.a. steigende Kosten für Brennstoff, CO2 und Strom, die Kosten zur Wärmeerzeugung für die Fernwärme wie auch für dezentrale Wärmeversorgungsanlagen steigen werden. Wird sich der Energiemix in der Fernwärme gemäß der Aussagen der Machbarkeitsstudie entwickeln, kann dies im Jahr 2030 zu einem Anstieg der Wärmeerzeugungskosten pro Kilowattstunde bis 1,7 Cent/kWh im Vergleich zu 2021 führen. Inflationen sind dabei nicht berücksichtigt worden. In gleicher Größenordnung steigen mindestens auch die Erzeugungskosten dezentraler Wärmeversorgungsanlagen (1,4 bis 2,5 ct/kWh je nach dezentraler Erzeugungsart). Die Fernwärme wird damit mit anderen Wärmeversorgungsoptionen wettbewerbsfähig bleiben können.
-
Schwerpunkt Kohleausstieg in der Zeitschrift des Berliner ImpulsE-Programms
Interview mit Senatorin Regine Günther und weiteres zum Thema Kohleaustieg