08/2024 – Warum Schwarz-Weiß-Denken nicht weiterführt

Antisemitismus-Wortwolke

August 2024

Der kriegerische Konflikt, der sich derzeit im Gazastreifen abspielt, droht sich zu einem Flächenbrand im Nahen Osten auszuweiten. Viel hängt davon ab, wie sich zentrale Akteure der Region wie das iranische Regime und die libanesische Hisbollah verhalten. Wichtig wird auch sein, wie sich die arabischen Staaten in der Nachbarschaft Israels und Palästinas positionieren – konstruktiv oder destruktiv. Es ist völlig legitim, die Politik der aktuellen israelischen Regierung zu kritisieren, Kompromissbereitschaft und Mäßigung anzumahnen. Keiner tut dies heftiger als die regierungskritische Opposition in Israel, der einzigen lebendigen Demokratie überhaupt im Nahen Osten.

Einfache Lösungen für hochkomplexe Problemlagen sind in den seltensten Fällen zielführend. In ihrer Suche nach dauerhaftem, nachhaltigem Frieden, Ausgleich und Verständigung bringt schablonenartiges Schwarz-Weiß-Denken in den Kategorien von Gut und Böse die nahöstlichen Konfliktparteien keinen einzigen Schritt weiter. Jeder propalästinensische Aktivist, jede Aktivistin, der oder die einseitig Partei ergreift, sollte sich an den 7. Oktober 2023 erinnern. Diese schrecklichen und für jüdische Israelis traumatischen Geschehnisse dürfen bei der Beurteilung der komplizierten Sachlage nicht ausgeblendet werden. Die Losung „Free Gaza“ kann in einem umfassenden Sinn nur heißen, die Macht der Hamas zu brechen und freie Wahlen für die Palästinenser zu organisieren.

Besonders gilt das auch für Aktivisten an unseren Universitäten, etwa an der Freien Universität (FU) in Berlin-Dahlem. Ein Zustand, in dem jüdische Studentinnen und Studenten sich auf dem Campus nicht mehr sicher fühlen, ist nicht akzeptabel. In einer gemeinsamen Erklärung vom 8. Februar 2024 hatten der Regierende Bürgermeister Kai Wegner und Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra als oberstes Ziel formuliert, „Jüdinnen und Juden vor Antisemitismus zu schützen“. Eine Reform des geltenden Hochschulgesetzes wurde darin ausdrücklich nicht ausgeschlossen, denn es sei wichtig, den Opferschutz zu stärken und Maßnahmen zu schaffen, „die tatsächlich wirken“. Ende März 2024, nur wenige Wochen später, beschloss der Senat, die Möglichkeit der Exmatrikulation in schwerwiegenden Fällen wiedereinzuführen. Hintergrund war der tätliche Angriff auf einen jüdischen FU-Studenten durch einen Kommilitonen Anfang Februar 2024, der hohe öffentliche Wellen geschlagen hat und über den breit in der Tagespresse berichtet wurde.Im Vorfeld hatte der jüdische Student gegen propalästinensische Aktionen an der FU und die Verharmlosung des Hamas-Terrors protestiert.

Weltkugel umgeben von religiösen Symbolen

FU und Hochschulen thematisieren Antisemitismus

In der zweiten Junihälfte 2024 schlugen propalästinensische Aktivisten ein polizeilich genehmigtes, siebentägiges Protestcamp auf dem Gelände der Freien Universität auf. Noch am 7. Mai war ein nicht angemeldetes Zeltcamp auf demselben Gelände geräumt worden. Diese Protestform sei nicht auf Dialog ausgerichtet, erklärte der Präsident der Universität damals zur Begründung. Um genau diesen Dialog anzustoßen, fand bereits am 29. Januar 2024 der Auftakt zu einer Veranstaltungsreihe der Stabsstelle Diversity und Antidiskriminierung der Freien Universität mit Vorträgen und Workshops statt: „Nach dem 7. Oktober: Antisemitismus, Rassismus und die deutsche Debatte“ war der Auftakt überschrieben, mit dem ein fruchtbarer jüdisch-muslimischer Dialog auf Augenhöhe eingeleitet werden sollte.

In einer Ringvorlesung haben sich auch die drei Berliner SAGE-Hochschulen (Soziale Arbeit, Gesundheit, Erziehung und Bildung), darunter die in Zehlendorf gelegene Evangelische Hochschule Berlin (EHB), während des Sommersemesters 2024 mit dem Thema Antisemitismus beschäftigt. „Antisemitismus als Leerstelle in der Diskriminierungsforschung und der Antidiskriminierungspraxis“ lautete zum Beispiel ein Format, das am 22. Mai 2024 als Präsenz- und Online-Veranstaltung durchgeführt wurde. Die EHB engagiert sich überdies in der landesweiten Initiative „Berlin gegen Antisemitismus“. Diese hatte sich bereits Anfang 2021 gegründet, ist aber aktueller denn je.

Antisemitismusgefahr an Schulen

Elitäres Bewusstsein schützt vor Antisemitismus nicht. Diese Erfahrung musste die in Zehlendorf gelegene bilinguale deutsch-amerikanische John-F.-Kennedy-Schule machen. Sie gilt gemeinhin als „Elite-Gymnasium“. Obwohl man dem Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ angehört, berichtete die Presse im Juni 2024 von einer Welle antisemitisch motivierter Vorfälle im Umfeld des Gymnasiums. Dazu gehören Berichte über Mobbing eines jüdischen Schülers, Hakenkreuzschmierereien auf dem Schulgelände und Nazigrüße. Es ist wichtig, solche Entgleisungen ernst zu nehmen.

Universitäten, Hochschulen und weiterführende Schulen sind Orte, wo Platz für offenen Meinungs- und Gedankenaustausch sein muss. Wichtig ist aber immer der Respekt vor dem Dialogpartner, der Dialogpartnerin. Antisemitismus ist keine Option. Deshalb ist jeder Beitrag aus Forschung und Lehre zu dessen Eindämmung hochwillkommen. Dabei ist Sorge zu tragen, dass die völlig legitime kritische Begleitung der israelischen Regierungspolitik nicht in generelle Israelfeindlichkeit und, schlimmer noch, in antisemitische Reflexe abdriftet.