Charlottenburg-Nord: Licht, Luft, Sonne

„Licht, Luft und Sonne für alle.“ Das war der Schlachtruf der Architekten in der Weimarer Republik. Mustergültig umgesetzt wurde dieser Kerngedanke der Stadtplanungs-Pioniere in Charlottenburg-Nord. Die Großsiedlung Siemensstadt, auch Ringsiedlung genannt, ist ein Vorzeigeprojekt des modernen Wohnungsbaus. Wie fünf weitere Siedlungen wurde sie 2008 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen. Hintergrund der Siedlungsbauten waren die große Wohnungsnot und die miserablen Wohnbedingungen in den Mietskasernen der Kaiserzeit. Gesunden Wohnraum mit guten sanitären Bedingungen in einem großzügigen, grünen Umfeld schaffen: Dieses Ziel verfolgten die Verfechter des „Neuen Bauens“. Die Großsiedlung Siemensstadt, 1931 fertiggestellt, war die letzte der sechs Siedlungen. Kurz danach stoppte die Weltwirtschaftskrise fast sämtliche große Bauprojekte in Berlin. Ebenfalls aus der Weimarer Republik stammt das wichtigste Ausflugsziel in Charlottenburg-Nord: der Volkspark Jungfernheide. Die Volksparkbewegung wollte gerade den ärmeren Bevölkerungsschichten Erholung bieten. Natur, Bewegung und Bildung vereint im urbanen Raum, umgesetzt eins zu eins in der Jungfernheide. Unser Rundgang führt von der Siedlung zum Park und zeigt auch, wie diese vorbildlichen Ideen der Weimarer Republik heute gelebt und weiterentwickelt werden.

U7 Halemweg, Bahnsteig

U-Bahnstation Halemweg

Seine Bahnhöfe sind der Traum jedes Retro-Fans. Rainer G. Rümmler hat von Mitte der 1960er-bis in die 1990er-Jahre fast alle U-Bahnhöfe in Berlin gestaltet. Fantasievoll, poppig und vor allem bunt sind sie. Auf der U7 tobte er sich am intensivsten aus. Als „besonderes Zeugnis der Nachkriegsmoderne“ stehen einige der Bahnhöfe unter Denkmalschutz. Die Station Halemweg gehört zwar nicht dazu. Aber wer die Farbe Orange liebt, der schätzt auch diesen 1980 eröffneten, eher sachlichen Bahnhof. Schließlich fehlt den Berlinern seit der Schließung der berühmt-berüchtigten Unterführung unter der Messe Berlin ein orangefarbenes Erfüllungserlebnis. Das gibt es hier, mit ein bisschen grün gepaart. Komplett instandgesetzt wurde der Bahnhof im Jahr 2021. Auch oberhalb des Bahnhofs ist in letzter Zeit viel passiert. Die zuvor wenig einladende Fläche ist einem von Landschaftsarchitekten und Künstlern entwickelten Grünzug über 450 Meter gewichen. Mit Mitteln aus den Programmen Stadtumbau und Nachhaltige Erneuerung wurde unter anderem ein „Spielwald“ geschaffen. Highlight ist eine überdimensionale Himmelsschaukel. Neben Kindern und Jugendlichen als Hauptnutzern existiert auch noch ein Bürgergarten mit Hochbeeten. Wie im U-Bahnhof kontrastieren hier das Naturgrün und das Orange der Spielgeräte auf besondere Art und Weise. Rümmler hätte es gefreut.

Goebelplatz

Rund um den Goebelplatz

Architekturfans, aufgepasst: Rund um den Goebelplatz befindet sich ein Freiluftmuseum der modernen Architektur. Wie für eine kleine Lehrstunde kann man hier Gebäude aus der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus, der Nachkriegszeit und den 1960er- sowie 1970er-Jahren entdecken. Der Goebelplatz selbst hat seinen Namen 1930 nach dem Erfinder Henry Goebel erhalten. Der sorgte unter anderem für Furore, indem er behauptete, schon lange vor Edison die Glühlampe erfunden zu haben. Damit kam er aber trotz zahlreicher Prozesse nicht durch. Früher als Marktplatz bezeichnet, ist der Goebelplatz eine eher unauffällige kleine Grünanlage mit Mehlbeerbäumen, einer diagonalen Querung und einer Skulptur in der Mitte.
An der westlichen Seite befinden sich die Ausläufer der Großsiedlung Siemensstadt aus der Weimarer Republik. Den „Langen Jammer“ von Otto Bartning verlängerte Hans Scharoun 1958 mit einem für ihn typischem Laubenganghaus. Pinkfarbene Gänge und bunte Türen in Gelb, Rot oder Blau, die charakteristischen „Bullaugenfenster“ sowie ein Treppenhaus mit expressionistischen Zackenfenstern bilden einen starken Kontrast zu der Sachlichkeit von Bartnings langgezogenem Bau. Auf der östlichen Seite, am Geitelsteig, haben die Nationalsozialisten ihre Auffassung von Wohnungsbau hinterlassen. Statt Flachdach geht man zurück zum Spitzdach. „Heimatschutzstil“ nennt man diese Art der Architektur, die der Chefarchitekt von Siemens, Hans Hertlein, zu verantworten hat. „Heimisch“ sind auch die Tiere und Pflanzen, die auf die Fassadenaußenseiten der Treppenhäuser gemalt sind: Wildschwein, Reh und ein Fuchs, der erfolgreich eine Gans erbeutet hat.
Am markantesten am Platz ist allerdings das Hochhaus aus den 1960er-Jahren mit seiner zackig aufgerissenen Fassade. Auch hier beteiligte sich Hans Scharoun an der Planung. Wer oben wohnt, kann sogar die Gebäude der Charlottenburger Baugenossenschaft aus der Kaiserzeit sehen. Und wenn in Zukunft der Siemensstadt Square fertiggestellt sein wird, hat er das ganze architektonische Open-Air-Museum des 20. und 21. Jahrhundert vor sich.

Infostation Siemensstadt

Infostation Siemensstadt – Goebelstraße 2

Die sieben Männer sind sich einig: Zeilenbauten sollen es sein. Überwiegend quer zur Straße stehend. Aber vor allem keine Blockrandbebauung mit engen Innenhöfen wie in der Kaiserzeit. Auch Reihenhäuser, wie sie in anderen neuen Siedlungen stehen, wünschen die Architekten nicht. Noch moderner und radikaler wird geplant. Verantwortlich für die Großsiedlung Siemensstadt sind die Architekten Hans Scharoun, Walter Gropius, Otto Bartning, Hugo Häring, Fred Forbát und Paul Rudolf Henning. Die Federführung hat Stadtbaurat Martin Wagner. Er ist der Vordenker des „Neuen Bauens“ und schafft die politischen wie logistischen Voraussetzungen für den Siedlungsbau. Abgesehen von der Entscheidung für den Zeilenbau bauen die Architekten aber sehr unterschiedlich. Informationen über die Geschichte und den Hintergrund der Bauten finden sich auf Informationstafeln, die an verschiedenen Stellen in der Siedlung aufgestellt sind.
Zentrale Anlaufstelle für weitere Informationen ist ein kleiner Pavillonbau gegenüber des Goebelplatzes.
In dem ehemaligen Ladenlokal, errichtet von Fred Forbat, befindet sich die „Infostation Siemensstadt“. Nach der UNESCO- „Krönung“ hat die Eigentümerin Deutsche Wohnen den Pavillon zur touristischen Erschließung der berühmten Wohnsiedlung eingerichtet. Ausstellungen, Vor – träge und kostenlose Führungen wurden hier angeboten. Leider reduzierten die Deutsche Wohnen und der Betreiber des Pavillons das öffentliche Angebot in letzter Zeit. Aber im Rahmen von gebuchten Führungen kann der Pavillon besichtigt werden. Immerhin befinden sich an der Fassade und den Fenstern einige Informationen über die Siedlung.

Langer Jammer

„Langer Jammer“ – Goebelstraße

Langer Jammer: Wann und wer dem Gebäude von Hans Bartning diesen Spottnamen gegeben hat, ist nicht bekannt. Lang, ja, das ist das Gebäude tatsächlich: 338 Meter zieht sich die gekrümmte Fassade die Goebelstraße entlang. Aber Grund zum Jammern hatten die Mieter damals eigentlich nicht. Durchschnittlich 54 Quadratmeter pro Wohnung, ausgestattet mit WC, Bad und Heizung: Das war 1930 äußerst modern und komfortabel. Sicherlich fällt der Riegel nicht durch seinen gestalterischen Facettenreichtum auf. Eigentlich hat Architekt Otto Bartning 25 Mal das gleiche Gebäude nebeneinandergesetzt. „In Farbe und Profil möglichst schlicht gehalten“, so beschreibt er selbst seine bisweilen als monoton kritisierte Architektur. Aber die Fassade zur Straße ist auch nicht die Schokoladenseite. Sie zeigt nach Norden, ohne große Hoffnung auf sonnige Momente. Die gibt es auf der südlichen Seite. Daher befinden dort auch die Wohn- und Schlafzimmer sowie die Balkone. Für viele Mieter der Großsiedlung war der „Lange Jammer“ auch aus anderen Gründen eine wichtige Anlaufstelle. Wer noch keine Waschmaschine sein Eigen nannte, konnte die zentrale Siedlungswäscherei direkt neben dem Gebäuderiegel nutzen. Kinder durften mit: Ein eigener Spielbereich verkürzte für sie die Wartezeit. Und zur kurzen Entspannung standen die federnden Freischwinger-Stühle von Bauhaus-Direktor Mies van der Rohe bereit. Lange Zeit hatte die zuständige Wohnungsbaugesellschaft in dem stillgelegten Waschhaus eine Geschäftsstelle. Momentan wartet das Gebäude auf eine neue Nutzung. Auch das benachbarte Fernheizwerk ist schon lange nicht mehr in Betrieb. Aber das Gebäude zeugt von der Modernität der Großsiedlung, denn ein eigenes Heizwerk war auch damals noch ein Novum.

Atelier Hans Sharoun

Atelier Hans Scharoun – Heilmannring 66A

„Nachbarschaft ist eine geistige Energie – eine Qualität, nicht nur eine Quantität. Sie ist ein Raum, den ein Fußgänger in etwa einer Viertelstunde durchquert, ein Raum, der der Erlebnisfreudigkeit des Kindes entspricht, groß genug, um Abenteuer darin anzusiedeln, klein genug, um das Gefühl der Heimat aufkommen zu lassen.“
Hans Scharoun findet mit diesen Worten bereits 1926 einer der treffendsten Definitionen für das, was man heute unter einem „Kiez“ versteht: Ein identitätsstiftendes Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb eines überschaubaren Wohnbereichs. Für die Großsiedlung Siemensstadt hatte es Scharoun als Verantwortlicher für das städtebauliche Konzept selbst in der Hand, die Voraussetzungen für diese geistige Energie zu schaffen.
Und ist es nicht der beste Vertrauensbeweis, wenn der Architekt selbst in das Haus einzieht, das er gebaut hat? Der spätere Ehrenbürger Berlins und Architekt der Philharmonie bezog 1930 in der Jungfernheide 4 eines seiner Gebäude. Offiziell gehört es noch zu Spandau. Charlottenburger wird Scharoun erst in der Nachkriegszeit. In seinem neuen Wohnsitz im Heilmannring 66A lebt er seit 1961. Eines seiner „Wohngehöfte“, wie er die eigenen Wohnblöcke auch nannte. Er wählte für sich und seine Frau die oberste Etage. Wenn schon keine Villa, dann wenigstens die beste Aussicht. Obendrauf, über eine Wendeltreppe erreichbar, befand sich gleich noch sein Atelier. Schräge Fenster, fast bis zum Boden reichend, ließen viel Licht hinein und boten tatsächlich einen fantastischen Blick über die Siemensstadt. Wer heute vor dem Hauseingang steht, findet immer noch den Namen „Professor Scharoun“ auf dem Klingelschild. Das Atelier des großen Baumeisters existiert also noch. Und wer Glück hat, kann auf einer der seltenen Führungen im Atelier noch etwas vom Geist Scharouns spüren.

Brückenende der Siemensbahn

Siemensbahn

Ein Hochbahnviadukt schlängelt sich mitten durch die Großsiedlung Siemensstadt. Zwischen Siemensdamm und Jung – fernheideweg bildet der „Tausendfüßler“ die Bezirksgrenze. Aber hier fährt schon lange nichts mehr. Das war früher ganz anders. Vor 90 Jahren wäre alle fünf Minuten eine Bahn vorbeigerauscht. Ihre Aufgabe: Die Siemens-Mitarbeiter zu ihren Arbeitsstätten zu bringen. 60.000 Menschen arbeiten damals bei Siemens. Nur ein Bruchteil wohnt in den naheliegenden Werksiedlungen. Schon in der späten Kaiserzeit ist die Straßenbahn heillos überfordert mit der Beförderung der Siemensianer. Die Stadt Berlin ist zu klamm, um selbst eine Lösung zu schaffen. Siemens hat das Geld und das Know-how und baut daher selbst. 1929 eröffnet die Bahnstrecke zwischen Siemensstadt und Jungfernheide, durchschneidet die gerade geplante Großsiedlung. In der Nachkriegszeit sinkt die Zahl der Mitarbeiter, die Siemensbahn wird immer weniger genutzt. Schließlich trägt auch eine politische Kuriosität zum Scheitern der Bahn bei. Zuständig für die Organisation der ehemaligen Reichsbahnstrecken ist nämlich die DDR-Reichsbahn: Der Sozialismus orchestriert den Verkehr für die Arbeiter des Weltunternehmens. Aber nur bis 1980, dann stellt die DDR-Reichsbahn die Strecke nach einem Streik komplett ein. Ein beliebter und langgezogener „Lost-Place“ entsteht, der zu geheimen Fototouren einlädt. Natürlich sind auch Graffiti-Sprayer begeistert von den neuen Freiflächen. Die Natur holt sich nach und nach zurück, was ihr gehört. Aber nicht mehr lange. Blicken wir ins Jahr 2029: Die Siemensbahn fährt wieder und bringt die Passagiere zum Zukunftsquartier Siemensstadt Square, eines der ambitioniertesten städtebaulichen Projekte Berlins. Mehr als ein Zehn-Minuten-Takt ist allerdings nicht geplant. Der Lärm, den die S-Bahnen eines Tages verursachen, soll geringer ausfallen als der Autoverkehr heute auf dem Siemensdamm.

Bärin mit spielenden Kindern Volkspark Jungfernheide

Volkspark Jungfernheide

Der preußische König und sein Gefolge waren über lange Zeit die einzigen Nutzer des Waldgebiets Jungfernheide. Der Forst diente als Jagdrevier für die Königsfamilie. Kaum ein Wildtier war vor ihnen sicher. Bis 1800. Das Schießen ging danach allerdings zunächst weiter. Nun war es das preußische Militär, das hier seine Treffsicherheit auf Zielscheiben demonstrierte. Und exerzierte. Anfang des 20. Jahrhunderts erwarb die Stadt Charlottenburg Teile des Geländes für eine zivile Nutzung. Etwas verzögert wegen des Ersten Weltkriegs war es dann 1923 so weit: Gartenbaudirektor Erwin Barth eröffnete ein Vorzeigeprojekt der Volksparkbewegung. Kein Schmuckgarten, sondern ein Park, der die Bedürfnisse der städtischen Bevölkerung nach Raum für Spiel, Sport und Entspannung berücksichtigte. Der Baumbestand wurde weitgehend belassen. Sportplätze, Freibad, Kinderspielplatz, ein Wildgehege, ein Wasserturm und eine Freilichtbühne waren Angebote an die umliegende Bevölkerung. Die bestand überwiegend aus Arbeitern der naheliegenden Siemens-Werke.
Die Jungfernheide ist mit 146 Hektar der größte Berliner Volkspark. Das ist er auch noch, nachdem der Autobahnbau die östlichen Teile des Parks sowie den damaligen Haupteingang zerstörte. Der Park verwahrloste und befand sich lange Zeit in einem beklagenswerten Zustand. Aber der Bezirk hat sich in den letzten Jahren zur Aufgabe gemacht, die bestehenden Angebote instand zu setzen und Wege und Spielplätze zu sanieren. Außerdem soll ein Bewusstsein geschaffen werden für die immens wichtige stadtökologische Funktion des Parkes in der Metropole Berlin. Heute sind Parkranger regelmäßig im Einsatz und bieten zum Beispiel Führungen an.
Im Parktreff neben der „Kita im Grünen“ hört man sich die Bedürfnisse der Parknutzer genau an und reagiert schnell. Die ausliegenden Informationsblätter existieren auf deutsch – und polnisch. Denn ein Großteil der Besucher des Parks spricht polnisch und wohnt in der direkten Nachbarschaft. Auch für viele noch auf dem Flughafen Tegel untergebrachte Geflüchtete aus der Ukraine ist der Volkspark ein willkommenes Erholungsgebiet.
Wir betreten den Park über den Eingang am Heckerdamm. Aber der schönste Zugang befindet sich am Kurt-Schumacher-Damm. Hier stehen zwei Bärenskulpturen mit spielenden Kindern. Das Lieblingsmotiv vieler Parkbesucher, garniert mit einer besonderen „Lost-and-Found“-Geschichte: Einer der Bären verschwand mysteriöserweise nach dem Zweiten Weltkrieg. 2010 dann tauchte ein Fragment in einer benachbarten Kita auf. Daraufhin konnte der fehlende Bär nach dem Originalfragment neu gemeißelt werden. Sieben Tonnen ist er schwer und leistet dem anderen Bären nun wieder Gesellschaft. Heute ganz ohne Angst vor preußischen Jägern.

Gustav-Böß-Bühne, 3.8.2007, Foto: KHMM

Gustav-Böß-Bühne

Es könnte kaum besser passen: Schillers Räuber wird gespielt von Gefangenen der Justizvollzugsanstalten Berlin. Aufführungsort ist 2023 die Gustav-Böß-Bühne mitten im Volkspark. Auf der Bühne ringen Freigänger, Ex-Inhaftierte sowie Schauspieler-Laien um das Verhältnis zwischen Unrecht, Gesetz und Freiheit. Verantwortlich für den Ausbruch aus dem Gefängnisalltag ist Aufbruch, Deutschlands bekanntestes Gefängnistheater. Eigentlich sind die Bühnen des Theaterprojektes innerhalb der Gefängnismauern. Nun geht es hinaus auf die Bühne im Wald. Für ihre Erbauung hatte sich nicht nur Stadtgartendirektor Erwin Barth vehement eingesetzt. Prominenter Unterstützer war auch der langjährige Bürgermeister Berlins, Gustav Böß. Auf seine Initiative entstand 1921 die Stiftung ,,Park, Spiel und Sport“. Die eingeworbenen Sponsorengelder halfen bei der Fertigstellung der Bühne. Das antike griechische Theater Ephesos stand Pate bei dem Bau. Mit seinen akkurat geschnittenen Hecken und Pergolen und dem umgebenden Erlenwald war das Theater ein Schmuckstück.
Auch heute reihen Bäume den Zuschauerraum ein. Allerdings ist von dem Gartenschmuck und dem hölzernen Kassenhaus, der Unterkunftshalle und den Umkleidekabinen aus der Gründungszeit nicht mehr viel übrig. Mehrmals schon fiel die Naturbühne in einen Dornröschenschlaf und verwilderte, mehrmals wurde sie wieder aufgeweckt. Im Krieg zerstört, dann vereinfacht wieder aufgebaut, nochmals geschlossen, dann mit einem Kulturbiergarten neu eröffnet und bald darauf auch wieder ohne kontinuierliche Bespielung. Aber die Instandsetzung läuft nun an. Das Vater-Sohn-Paar, das emsig den Kulturbiergarten betreibt, freut es natürlich, wenn zum Bier auch regelmäßig Kultur kommt. Und Begeisterungsrufe für die Darsteller der „Räuber“ durch den Wald schallen. Hätte das Theaterprojekt schon zu Lebzeiten des Namensgebers Gustav Böß existiert, wäre es für ihn einfach gewesen, Teil des Ensembles zu werden. Böß hat nämlich ebenfalls ein Gefängnis von innen gesehen. Die Nationalsozialisten steckten ihn 1933 für einige Monate in Untersuchungshaft. Grund war die sogenannte Pelzmantelaffäre im Zusammenhang mit dem Skandal um die Brüder Sklarek. Das war damals eine wahrhaft theaterreife, aber auch eine andere Geschichte…

Erlebniswelt Tier und Natur

Erlebniswelt Tier und Natur

Sie treten oben ohne und mit aparter Kopfbedeckung auf. Besonders ihre körperlichen Attribute und Schönheit zeichnen sie aus: die American Showgirls. Seit kurzem können sie auch im Volkspark bewundert werden. Enttäuscht werden allerdings die sein, die erotische Tänze erwarten. American Showgirls sind nämlich Hühner: eine besondere und recht neue Kreuzung mit federlosen Hälsen und einem wilden, teils knallbunten Schmuckfedern am Kopf. Sie sind Teil der Erlebniswelt Tier und Natur, die 2015 eröffnete. Die Entdeckung der Lebensräume von Tieren und Pflanzen besonders für Großstadtkinder steht im Fokus dieses Ausflugsziels. Das war schon von Erwin Barth vorgesehen, hatte er doch 1931 ein Gehege für Schwarz- und Damwild anlegen lassen. Allerdings erwies sich die Pflege der zuletzt zwei Weißhirsche, Rehe und Wildschweine als zu kostspielig. 2013 zogen sie in die Uckermark. Offenbar pflegeleichter waren die Ziegen, mit dem das Tier- und Naturerlebnis kurz danach einen Neustart im Volkspark Jungfernheide erfuhr. Mit Hilfe des Bezirks und beeindruckendem ehrenamtlichen Engagement entstanden unter anderem ein Hühner- und Laufentenstall mit Freilaufgehege, ein Stall für Kaninchen und Meerschweinchen mit Auslaufflächen und zwei Bienenstöcke. Dazu spurtet heute auch noch die griechische Landschildkröte Gary gerne durch das Gelände. Zumindest bis Oktober, dann verschwindet sie für fast ein halbes Jahr in den verdienten Winterschlaf. Vor zwei Jahren zog dann Lotte ein. Ein American Showgirl, noch als Küken. Allerdings verlief Lottes Entwicklung nicht wie geplant. Es war nämlich doch keine Henne, sondern ein Hahn. Man hatte sich wohl im Geschlecht geirrt. Oder das Küken hat sich in den Hochzeiten der Transgenderidentitäten anders entschieden. Aus Lotte wurde Lothar. Und Junghahn Lothar bewegt sich heute fast noch graziler durch das Freigelände als ein wirkliches Showgirl.

Der Wasserturm im Jungfernheide-Park

Wasserturm Jungfernheide

Von den vielen Wassertürmen Berlins ist der in der Jungfernheide einer der schönsten. Und einer der wenigen, die in der Weimarer Republik erbaut wurden. 1927, vier Jahre nach der Eröffnung des Parks, konnte das expressionistisches Kunstwerk fertiggestellt werden. Bestens in Szene gesetzt durch verschiedene Sichtachsen, ist der Turm immer noch der architektonische Fixpunkt des Parks. Architekt Walter Helmcke ließ ihn aus Eisenklinkern – dunkelroten Backsteinen aus eisenoxidhaltigem Ton – errichten. Die vorspringenden Mauersteine und Simse gliedern den Turm. Von oben leuchtet weithin sichtbar ein Kupferdach mit einer riesigen Zierlampe auf der Spitze. Die Aufgabe des Leuchtturms, nein, Wasserturms war nicht etwa die Versorgung der benachbarten Siedlungen. Nur der Park profitierte von dem Fassungsvermögen von 65 Kubikmetern. Diese Aufgabe erfüllte der Wasserturm bis 2001. Schon einige Jahre zuvor bekommt er aber eine andere Funktion. Im oberen Drittel des Turms befindet sich ein Nistkasten für Turmfalken. Jahr für Jahr können Interessierte über eine Live-Kamera den Falken-Eltern beim Brüten und dann dem Nachwuchs bei der Fütterung und den ersten mutigen Flügelschlägen zuschauen. Die AG Greifvogelschutz Berlin kontrolliert diesen spannenden Entwicklungsprozess. Aber Hauptanziehungspunkt für Besucher ist seit einigen Jahren der Sommergarten mit Gastronomie zu Füßen des Turms. Er wird betrieben vom benachbarten Waldhochseilgarten. Eigentlich war ein Café bereits zur Eröffnung des Wasserturms geplant. Aber das Geld reichte damals nicht mehr aus. Jetzt gibt es mit Café und Kletterpark zwei beliebte Ausflugsziele direkt nebeneinander.

Die Gedenkkirche Maria Regina Martyrum wird 60 Jahre alt.

Maria Regina Martyrium

Die christliche Antwort auf die Macht des Bösen sollte sie werden, die Überwindung und Auferstehung im Angesicht des Schreckens, für die die naheliegende Hinrichtungsstätte Plötzensee steht. Die Kirche Maria Regina Martyrium, etwas sperrig als „Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933–1945“ bezeichnet, ist fast mehr ein Gedenkort als eine Gemeindekirche. Seit 2018 gehört sie zum „Pfad der Erinnerung“ in Charlottenburg-Nord, der mehrere Kirchen und die Gedenkstätte Plötzensee verbindet. Einen der kuriosesten und architektonisch interessantesten Kirchenbauten der Nachkriegszeit haben die beiden Architekten Hans Schädel und Friedrich Ebert hier geschaffen. Als „aufgebockter, eckiger Riesenwal“ oder „Luftschiff aus Waschbeton“ wurde der Bau schon bezeichnet, scheint er doch auf den drei quer gestellten Betonwänden in der Luft zu schweben.
Der markante Glockenturm und der große Ehrenhof tragen ebenfalls zur Besonderheit des Kirchenareals bei. Vor allem aber ist er mit seinen künstlerischen Auseinandersetzungen einer der beeindruckendsten und bedrückendsten Gedenkorte an Opfer des Nationalsozialismus in Berlin. Einer der drei im Inneren der Kirche stehenden Sarkophage enthält die Urne des von den Nationalsozialisten erschossenen Leiters der Katholischen Aktion, Erich Klausener. Nach ihm sind ein Platz und ein Kiez in Charlottenburg benannt. Aber nicht nur Katholiken werden hier geehrt. „Allen Blutzeugen, denen das Grab verweigert wurde – allen Blutzeugen, deren Gräber unbekannt sind“ steht auf der Bodenplatte neben dem Sarkophag für Erich Klausener.

Route Charlottenburg Nord

Route Charlottenburg Nord

Den Stadtspaziergang gibt es auch auf komoot. Weitere Informationen sind auf der Webseite von komoot zu finden.