Charlottenburg: Vom „kleinen Wedding“ an den Lietzensee

„Kleiner Wedding“, „Zille-Kiez“, „Roter Kiez“, „Dorf der Unbeugsamen“. So ist der Kiez um den Klausenerplatz schon genannt worden. Hier war und ist vieles anders als im Rest von Charlottenburg. Zwar liegt der Kiez direkt gegenüber dem Charlottenburger Schloss. Aber die heute gelegentlich verwendete Bezeichnung „Schlossviertel“ passt weder zum Selbstverständnis der Bewohner noch zur Geschichte des Kiezes. Erbaut, um Soldaten und Offiziere unterzubringen, ist die Gegend heute eher durch einen gewissen widerständigen Geist kennzeichnet. In der Verwaltungssprache bezeichnet man den Klausenerplatz-Kiez übrigens als Ortslage oder Stadtquartier, gelegen im Ortsteil Charlottenburg, der wiederum ein Teil des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf ist. Früher geprägt von Kasernen und Exerzierplätzen, entwickelte sich hier in der Zeit der Industrialisierung ein Quartier der „einfachen Leute“, ein proletarisch geprägter Kiez mit den klassischen Mietskasernen der Gründerzeit. Vom Krieg blieb das Stadtquartier fast vollständig verschont. Aber die Ausstattung und sanitären Bedingungen in den Altbauten wurden zunehmend ein Problem. Gegen das Rezept der Berliner Stadtplanung, die „Kahlschlagsanierung“, wehrten sich die Bewohner erfolgreich. Der Kiez wurde sogar zu einem stadtweiten Vorbild in Sachen behutsamer Stadterneuerung. Der widerspenstige Geist der Bewohner zeigte sich auch in den Häuserbesetzungen der 1980er-Jahre. Heute ist der Klausenerplatz-Kiez ein gleichzeitig quirliger wie bodenständig-gelassener Kiez mit vielen kleinen Läden und Cafés und einer gesunden sozialen Mischung in der Bewohnerschaft. Vor allem aber ist es ein Kiez, in dem eine Vielzahl von ehrenamtlich arbeitenden Vereinen und Initiativen zeigen, wie man seinen Lebensort und sein Umfeld aktiv mitgestalten kann.

Klausener Platz, st. Kamilius Kirche

Klausenerplatz mit St. Kamillus

Klausenerplatz

Er ist der Namensgeber für den gleichnamigen Kiez: Der Klausenerplatz. Wo heute Kinder spielen und sich zweimal in der Woche die Anwohner auf dem Wochenmarkt treffen, befand sich früher der Reit- und Exerzierplatz für ein Kürassierregiment. Nicht irgendeines: Im Regiment der Gardes du Corps gab der Adel den Ton an. „Adelheit es ist soweit“, so hieß der inoffizielle Wahlspruch des Regiments. Mit der Bebauung des Viertels bekam auch der Platz eine andere Nutzung. Als „Friedrich-Karl-Platz“ entstand 1889 eine öffentliche Parkanlage. In der Weimarer Republik gestaltete Gartenbaudirektor Erwin Barth den Platz um. Barth, Vertreter der modernen Volksparkbewegung, prägte die Berliner Grünflächenlandschaft wie kein Zweiter. Entscheidend war für ihn, ausreichend Erholungsflächen für die Arbeiterschaft zu schaffen. Natürlich auch für die Kinder: Fast ein Viertel des Platzes nahm ab 1922 der Spielplatz ein. Im Nationalsozialismus beherrschte ein Luftschutzbunker den Platz. Der Kinderspielplatz wanderte einfach auf sein Dach. Erst in den 1980er-Jahren wurden die Reste des Bunkers beseitigt und der Platz nach den Entwürfen von Barth wiederhergestellt. Ein neuer Kinderspielplatz kam natürlich auch dazu. In dieser Zeit hatte der Platz schon längst einen anderen, nicht mehr militärischen Namen. Namenspate wurde nun Erich Klausener, der von den Nationalsozialisten ermordete Führer der Katholischen Aktion in Berlin. Das prominenteste Gebäude am Platz ist passenderweise eine katholische Kirche. Die 1932 im Stil des Neuen Bauens fertiggestellte St. Kamilius-Kirche ist einer der kuriosesten Kirchenbauten Berlins. Über dem Kirchenraum befindet sich ein Seniorenheim. Eine Hochhaus-Kirche! Schon damals beförderte ein Fahrstuhl die Senioren auf das Dach der Kirche. Zum Gottesdienst haben sie es aber aus ihren Wohnungen noch einfacher: Ein direkter Zugang führt vom Seniorenheim aus auf die Empore der Kirche.

Nehringstraße 34

Regenbogenhaus – Nehringstraße 34

Der BBC sendete auch in Charlottenburg. Aber nicht etwa die britische Rundfunkanstalt. BBC stand für „Bunter Block Charlottenburg“. So haben die Hausbesetzer die beiden Häuser in der Nehringstraße 34 und der Neufertstraße genannt. Eigentlich denkt man bei Häuserbesetzungen zunächst an Kreuzberg. Aber es gab ja das kleine Dorf der „Unbeugsamen“ rund um den Klausenerplatz. Immerhin elf Häuser wurden hier 1981 besetzt. Die verfehlte Wohnungsbaupolitik des Senats und der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaft „Neue Heimat“ hatte stadtweit für Proteste gesorgt. Die Hausbesetzer wollten den geplanten Abriss der Häuser verhindern und die gewachsene soziale Struktur im Kiez bewahren. „Lieber instand besetzen als kaputt besitzen“, forderten die Besetzer auf einem Plakat in der Nehringstraße 34. Das erste besetzte Haus in Charlottenburg stand zuvor bereits eineinhalb Jahre leer. Aber nun begannen die Besetzer selbst mit der Instandsetzung, unterstützt von Handwerkern aus der Nachbarschaft. Tatsächlich ist das Haus eines der wenigen, deren Besetzung schnell legalisiert werden konnte. Heute ist es ein selbstverwaltetes Hausprojekt mit 2×25 Jahren Erbpachtvertrag. Von den alten Besetzern wohnt hier heute allerdings keiner mehr. Auch der Regenbogen an der Fassade, der dem Haus seinen Namen gab, ist verschwunden. Allerdings nicht freiwillig. Bei der Sanierung musste das Wandbild übermalt werden, sonst wären keine Fassadensanierungsgelder geflossen.

Kiezbüro, Klausener Platz

Kiezbündnis Klausenerplatz – Seelingstraße 14

Aller guten Dinge sind drei. Wobei „gut“ am Anfang gar nichts ist. Im Gegenteil: Die Bürger sind frustriert über das, was in ihrem Kiez passiert. Oder auch nicht passiert. Sperrmüll auf den Straßen, Verwahrlosung, eine offene Drogenszene. Ihr Unbehagen äußern die Bewohner in Veranstaltungen in Gegenwart der Polizei, Vertretern des Bezirksamtes, Schulen und der Stadtreinigung. Nach dem dritten Treffen gründen sie das „Kiezbündnis Klausenerplatz e. V.“. Das war im Jahr 1999. Heute, ein Vierteljahrhundert später, kann der Verein mit Stolz auf seine Arbeit zurückblicken. „Der Umfang der Aktivitäten und das ehrenamtliche Engagement der Vereinsmitglieder sucht in Berlin seinesgleichen“, resümiert der Vereinsvorsitzende Klaus Betz. Kiez- und Kinderfeste, Flohmärkte, Sperrmülltage, Kunstfestivals, Ausstellungen, Führungen und Lesungen, ein Kiezkalender und zahlreiche Publikationen zur Stadtteilgeschichte: Tatsächlich ist die Vielfalt der Angebote beeindruckend. Und stärkt die Identifikation mit dem Viertel. Dreh- und Angelpunkt der Vereinsarbeit ist das Kiezbüro in der Seelingstraße 14. Die Arbeit geht unermüdlich weiter, wobei sich die Vorzeichen etwas geändert haben. Die wiedergewonnene Attraktivität des Viertels weckt Begierden und so macht auch die Gentrifizierung nicht Halt vor dem Klausenerplatz-Kiez. Verstärkt engagiert sich der Verein jetzt für den Mieterschutz und den Schutz kleiner Einzelhandelsgeschäfte im Kiez. Einen Wunsch hat der Verein für die Zukunft: Er benötigt neue und vor allem junge Mitglieder. Damit der Verein nach dem großen Jubiläum optimistisch in das nächste Vierteljahrhundert schauen kann.

230. Kiezspaziergang 09.04.2022 - Brotgarten an der Seelingstraße

Brotgarten – Seelingstraße 30

Die Keimzelle von Berlins Bio-Bäckereien liegt nicht etwa in Kreuzberg, sondern in Charlottenburg. Wir schreiben das Jahr 1978. Die erste Ausgabe der TAZ erscheint, die Gründung der Grünen steht kurz bevor, die Anti-Atomkraftbewegung diskutiert über das Endlager Gorleben – und der Brotgarten eröffnet in der Seelingstraße Nr. 30. Seit seiner Erbauung in den 1890er-Jahren war hier ein Bäcker. Aber nun sollen Brot und Brötchen aus Vollkorn gemacht werden, die Rohstoffe aus kontrolliertem biologischem Anbau kommen. Was heute bei der Dichte an Biobäckereien und Biosupermärkten fast schon Standard ist, war damals eine Pionierleistung und auch ein politischer Akt. Das Biogetreide musste über eine Staatsgrenze hinweg und eine Transitstrecke entlang eine lange Reise antreten. Das engagierte Team meisterte alle Probleme. Entschieden wurde in einem Kollektiv. Basisdemokratie beim Bäcker. Heute wird der Brotgarten als GmbH mit sieben Gesellschaftern organisiert. Aber das Wort der Mitarbeiter zählt immer noch. Dafür gibt es ein regelmäßiges Plenum, dafür sind Teams für verschiedene Themen gebildet worden. Dem ökologischen Anspruch ist der Brotladen fast ein halbes Jahrhundert später immer noch verpflichtet. Das Getreide kommt allerdings nicht mehr aus den alten Bundesländern, sondern überwiegend aus Brandenburg. Aber gemahlen wird es in den beiden Steinmühlen aus Tirol direkt in der Backstube. Das Sortiment des Backladens ist, von zunächst nur fünf Broten, stetig erweitert worden. Im benachbarten Bistro können die Gäste warme Speisen genießen. Trotz der Herausforderungen der Zeit und der wachsenden Konkurrenz ist der Brotladen einer, vielleicht sogar der Treffpunkt im Kiez. Ein Ort des Austausches, eine Nachrichtenbörse, ein fester Bezugspunkt für viele. Der Brotladen geht inzwischen auch auf Reisen und ist auf sechs verschiedenen Wochenmärkten zu finden. Aber am liebsten ist das Team des Brotgartens doch in der Seelingstraße. Die Atmosphäre sei hier – inmitten der Großstadt – doch noch am dörflichsten, die Gästeschar sehr durchmischt, einmal querbeet. Man freut sich bereits auf das große Jubiläum: ein halbes Jahrhundert Brotgarten im Jahr 2028 …

Zille-Tafel, 22.5.2008, Foto: KHMM

Sophie-Charlotten-Straße 88: Heinrich Zille

„Meine erste eigene Wohnung war im Osten Berlins im Keller, nun sitze ich im Berliner Westen, vier Treppen hoch, bin also schon gestiegen“, so schreibt das Berliner Urgestein Heinrich Zille. 1892 zieht er mit seiner fünfköpfigen Familie an die Sophie-Charlotte-Straße. Die Wohnung ist groß, das Gründerzeithaus stattlich.
Ein räumlicher und sozialer Aufstieg. Leisten konnte sich der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Zille das nur durch seine Anstellung bei der „Photografischen Gesellschaft“. Von seiner Wohnung mit Blick auf damals noch Felder und Wiesen zog Zille mit Pinsel oder Kamera auf künstlerische Entdeckungstouren. Seine Motive fand er auf der Straße, in Hinterhöfen und Kaschemmen. Und das nicht nur in den berüchtigten Armenvierteln wie dem Krögel oder dem Scheunenviertel. Auch hier, nahe dem Schloss, waren die Wohnverhältnisse teilweise erbärmlich. Auch hier konnte man bisweilen „einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt“, wie Zille sagte. Zille sein „Milljöh“ gab es auch in Charlottenburg, inklusive Eckkneipe im Wohnhaus.
Zilles Zeichnungen machten ihn weit über Berlin hinaus bekannt. Der Höhepunkt von „Pinselheinrichs“ Ruhm war die Aufnahme in die Preußische Akademie der Künste und die Berufung als Professor. Das hinderte ihn aber nicht dar – an, der Gesellschaft permanent einen Spiegel vorzuhalten und immer wieder auf soziale Missstände aufmerksam zu machen. Zille blieb bis zu seinem Tod 1929 in der Sophie-Charlotte-Straße, in seiner „Bleibekammer“, wie er sie spöttisch nannte. Hinuntergestiegen ist er am Ende die 77 Treppenstufen nur noch selten. „Bin krank. Bitte keinen Besuch“, stand kurz vor seinem Tod auf einer krakeligen Postkarte an der Eingangstür. Heute erinnert eine Gedenktafel an der Hauswand an den populären und volkstümlichen Künstler. Bis vor wenigen Jahren lud noch das Restaurant „Pinselheinrich“ zu Molle und Korn ein. Heute befindet sich dort ein Kindergarten, benannt nach dem berühmten Bewohner. Das hätte dem kinderlieben Zille sicherlich auch gefallen. Schließlich hieß sein erstes Buch „Kinder der Straße“. Und Zille war Patenonkel von unzähligen Berliner Kindern.

Ziegenhof in Charlottenburg der Blockinitiative 128

Ziegenhof – Danckelmannstraße 16

Jetzt wird gemeckert! Aber nicht, weil es am Kinderbauernhof in der Danckelmannstraße etwas auszusetzen gäbe. Im Gegenteil, der Ziegenhof ist eine beliebte und von Kindern wie Erwachsenen gern genutzte Institution des Klausenerplatz-Kiezes. Die es ohne zivilen Ungehorsam und Wider – stand nicht gäbe: Als der Innenbereich von Block 128 in den 1980er-Jahren im Rahmen des Stadterneuerungsprogramms per Kahlschlagsanierung entkernt werden sollte, forderten Anwohner den Erhalt des preiswerten Wohnraums in den Hinterhäusern. Viele Wohnungen wurden von Hausbesetzern in Eigenarbeit wieder bewohnbar gemacht. Die engagierten Anwohner erreichten, dass ein Teil der Altbauten und der Innenbebauung des Blocks erhalten blieben und dass auf dem Abrissareal keine Neubauten, sondern Flächen für Freizeit und Erholung entstanden. Sie beherbergen heute neben dem Gehege für die Ziegen auch eines für Hühner, eine Imkerei, Lerngärten und Spielmöglichkeiten für Kinder.

230. Kiezspaziergang 09.04.2022 - Ledigenheim

Ledigenheim – Danckelmannstraße 46/47

Damenbesuch strengstens untersagt! Dafür sorgte der strenge Portier des Ledigenheims, zuständig für das Einhalten der Sittenregeln. „Bullenkloster“ nannten die Charlottenburger daher auch das imposante Gebäude in der Danckelmannstraße 46–47. 1908 erbaute der Charlottenburger Stadtbaurat Rudolf Walter das Haus aus Kalksandstein mit gelben Klinkern und Jugendstilelementen. Geplant war das Ledigenheim, so der damalige Oberbürgermeister Schustehrus, „für ledige Männer aus den minderbemittelten Volksschichten (…) und ähnliche mehr, die bisher als Schlafsteller ein Unterkommen gefunden haben“. Schlafsteller oder auch Schlafgänger mieteten gegen ein geringes Entgelt ein Bett, wenn es der Wohnungsinhaber nicht benötigte.
Die hygienischen Folgen sind vorstellbar. Dazu kam es immer wieder zu häuslichen Auseinandersetzungen. Die Schlafgänger standen im Verdacht, die weiblichen Haushaltsmitglieder zu verführen. Das konnte bei der strengen Pforte im Ledigenheim nicht mehr passieren. Der Einschränkung des Lustlebens standen aber die Errungenschaften des ersten deutschen Arbeiterwohnheims entgegen. Ein Pionierprojekt. Sechs Quadratmetern pro Zimmer, Dampfheizung, elektrische Beleuchtung und der günstige Monatspreis von zehn Reichsmark: Schnell waren die 370 Zimmer voll belegt. Eine Volksbücherei, eine Volksbadeanstalt und eine Volksspeisehalle mit sonnigem Dachgarten sorgten für Hygiene, leibliches Wohl und Bildung. Auch die Nachbarschaft profitierte davon, denn die Einrichtungen waren öffentlich zugänglich. Als bald nach dem Zweiten Weltkrieg genug Wohnungen in West-Berlin zur Verfügung standen, schloss der Bezirk das Ledigenheim. Heute wird hier allerdings wieder auf Zeit gewohnt. Das StudierendenWERK Berlin nutzt das Gebäude als Wohnheim. Bibliothek, Bücherei und Bad gibt es nicht mehr. Aber Koch- und Brettspielveranstaltung sowie eine Wander- und Laufgruppe sorgen für eine gute Gemeinschaft unter den „Danckelleuten“. So nennt die Wohnheimtutorin die Nachfolger der Schlafgänger liebevoll.
Statt des Portiers wird der Eingang heute über einen Code geregelt. Und der kann ja auch an späte Gäste weitergegeben werden.

Kläre-Bloch-Platz

Kläre-Bloch-Platz

Eine Frau am Steuer. Das war auch in den 1920er-Jahren, wo die „Neue Frau“ sich ihren Platz in der Gesellschaft erkämpfte, eine Seltenheit. Aber eine Frau als Taxifahrerin? Ein absolutes Novum. Kläre Bloch kutschierte als eine der ersten Frauen ihre Passagiere in einer Kraftdroschke durch Berlin. Aber nicht deswegen ist der Platz, wo Knobelsdorffstraße, Nehringstraße und Wundtstraße aufeinandertreffen, nach ihr benannt. Kläre Bloch, 1908 in Schmargendorf als Klara Begall geboren, versteckte während des Nationalsozialismus in ihrer Wohnung im benachbarten Horstweg 38 den Kommunisten Erich Bloch sowie andere von den Nationalsozialisten verfolgte Menschen. Erich Bloch hatte sie 1931 im Romanischen Café kennengelernt und nach dem Zweiten Weltkrieg geheiratet. Auf Anregung des Kiezbündnisses Klausenerplatz e.V. und auf Wunsch der Anwohner erhielt der bis dahin namenlose Platz 2004 ihren Namen. Eine späte Würdigung des couragierten Einsatzes der „stillen Heldin“. Der Platz selbst ist in den letzten Jahren durch diverse Maßnahmen aufgewertet worden. Die Brunnenskulptur des Charlottenburger Bildhauers Achim Pahle, zwei Obelisken ähnelnde Stelen, steht hier bereits seit 1991. Mehrere Hochbeete, mit Lavendel und Rosen bepflanzt, sind in den letzten Jahren dazugekommen und rahmen den triangelförmigen Platz ein. Im Sommer laden Bänke zu einer Rast ein, Kinder laufen die Mauern des Urban-Gardening-Beets hoch, die auch über den Kiez hinaus bekannte Eisfabrik Alan lockt mit riesigen Kugeln und im Kulturwaschsalon können während des Waschvorgangs Zeitschriften und Büchern zu Kultur und Kunst geschmökert werden. Eine kleine Oase, eine Insel im Straßenmeer, wo sicherlich auch Kläre Bloch mit ihrem Taxi gerne Station gemacht hätte.

Erwin-Barth-Platz

Lietzensee – Erwin Barth Platz

Beinahe wäre der Park am Lietzensee dicht bebaut worden. Die Stadt Charlottenburg wollte kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs die Grundstücke rund um den See verkaufen. Die Parzellen waren bereits angelegt. Aber es fehlte an Käufern. In den schwierigen Nachkriegsjahren lag das Geld bei den meisten nicht so locker in der Tasche. Ein großes Glück für Charlottenburg, ist doch der heute denkmalgeschützte Lietzenseepark eine der schönsten innerstädtischen grünen Oasen Charlottenburgs. In den 1820er-Jahren erwarb General von Witzleben das Gelände rund um den Lietzensee und ließ auf der Westseite einen großen Park nebst Landhaus anlegen. Schließlich gelangte die damals noch selbstständige Stadt Charlottenburg in den Besitz des Parks. Und nach dem fehlgeschlagenen Verkaufsversuch schlug mal wieder die Stunde des Charlottenburger Gartendirektors Erwin Barth. Den Lietzenseepark würdigt bereits 1922 der Gartenbauexperte Paul Klawun: „Wir müssen es neidlos anerkennen, dass mit dieser prachtvollen, tief durchdachten Schöpfung am Ufer des Lietzensees sich der Gartendirektor Erwin Barth in die erste Reihe der Meister unserer schönen Gartenkunst gestellt hat.“ Der nördlich dem Park vorgelagerte Platz trägt seit 2005 seinen Namen.
Denkmäler und Skulpturen sowie zwei Kaskaden sind Schmuckstücke in dem Landschaftspark. Das Bootshaus Stella und das Restaurant „Au lac“ locken mit gastronomischen Angeboten und Ausblicken auf den infolge der Aufschüttung eines Damms für die Neue Kantstraße zweigeteilten See. Als der Stadt Anfang der 2000er-Jahre mal wieder das Geld ausging, sprangen auch hier die Anwohner in die Bresche. 2004 gründete sich der Verein „Bürger für den Lietzensee e. V.“ und ging gegen die Verwahrlosung des Parks vor. Aktuell treibt den Verein vor allem die hoffentlich bald anstehende Sanierung der wunderschönen Jugendstilbrücke über den See um.

Parkhaus Lietzensee

Parkwächterhaus – Wundtstraße 39

Mitten im Lietzenseepark steht ein verwunschenes Hexenhaus. Das romantische, efeuberankte Parkwächterhaus mit Spitzdach, viel Holz, einer Natursteinmauer und roten Klinkersäulen ist das Schmuckstück des Parks. Heimatschutzarchitektur nennt man den Baustil, der sich auf eine traditionelle Bauweise rückbesinnt. Errichtet wurde das Haus 1926. Dem Parkwächter diente das erste Stock – werk als Wohnung. Die Parkbesucher konnten die öffentlichen Toiletten und die kleine Verkaufsstelle für Milch und Mineralwasser im Erdgeschoss nutzen. Aber schon lange wohnt hier keiner mehr. Zuletzt konnten sich Mitarbeiter des Grünflächenamts im Haus aufhalten und Materialien lagern. Sofort nach dem Auszug des Amtes begeisterten sich Anwohner für das Parkwächterhaus. Ihr Konzept für eine zukünftige Nutzung überzeugte den Bezirk. Seit 2015 ist der gemeinnützige ParkHaus Lietzensee e. V. Pächter des Gebäudes. Zuerst erfolgte die Entkernung, bevor in enger Abstimmung mit dem Denkmalamt die eigentliche Sanierung beginnen kann. Ein regelrechter „Architekturkrimi“ sei dieser Weg, so die Vereinsvorsitzende Katja Baumeister-Frenzel. Denn immer wieder kommt es zu Überraschungen für die Hexenhaus-Enthusiasten. Sie entdecken alte Dokumente mit skurrilen Geschichten über das Parkwächterehepaar. Balken mit farbiger Rosenmalerei werden freigelegt. Und fast schon archäologische Spuren zeugen von einer Abort-Anstalt, die zuvor auf dem Grundstück des späteren Parkwächterhauses stand. Aber das Ziel ist in Sicht: Ein Treffpunkt für die Nachbarschaft, der Jung und Alt integriert und inklusive Angebote schafft. Als Nachbarschaftshaus und Mehrgenerationenhaus soll das Parkwächterhäuschen bald wieder allen offenstehen. Und auch eine Gastronomie ist geplant, mit mehr als nur Milch und Mineralwasser. Bis alles fertig ist, werden Haus und Vorplatz bereits für verschiedenste Aktivitäten genutzt. Dem in Vergessenheit geratenen Architekten des Gebäudes, Stadtbaurat Rudolf Walther, hat der Verein ParkHaus Lietzensee mit einer Ausstellung bereits eine Hommage erwiesen. Schulen, Waisenhäuser, ein Ledigenheim, Asyl und Bedürfnisanstalten hat er gebaut. Fast alle seiner Werke stehen noch. Und sie sind nicht weit entfernt voneinander. Walther hat nämlich ausschließlich in Charlottenburg gebaut. Ein wahrer Bezirksheld.

Knappschafts-Berufsgenossenschaftshaus

Knappschaftshaus – Kuno-Fischer-Straße 8

In der Kuno-Fischer-Straße gibt es kein Durchkommen her. Weit über tausend Menschen, viele Familien mit Kindern, warten auf den Einlass in das Klinkergebäude an der südöstlichen Seite des Lietzensees. Die meisten haben nur einen kleinen Koffer dabei. Sie kommen aus einem anderen Land, das so nah und doch so weit weg liegt … In der KunoFischer-Straße 8 befand sich von 1950 bis 1953 die „Notaufnahmestelle für Flüchtlinge aus der DDR“. Es war die erste Anlaufstelle für DDR-Flüchtlinge, bis das neu gebaute Notaufnahmelager in Berlin-Marienfelde diese Aufgabe übernimmt. Willkommenskultur in den 1950er-Jahren: 300.000 Flüchtlinge durchliefen das Gebäude. Ursprünglich diente das 1930 mit expressionistischen Stilelementen gestaltete Bauwerk der Knappschafts-Berufsgenossenschaft, zuständig für die Bergleute. Den Eingangsbereich zieren heute noch Arbeitsszenen der Bergleute. Heute hat hier unter anderem die Deutsche Krebsgesellschaft ihren Sitz. Offen und im Sommer ein beliebter Aufenthaltsort ist der Garten zum Wasser hin. Allerdings verwildert dieser immer mehr, Unkraut überwuchert die Wegflächen und die seitlichen Mauern bröckeln. Man wartet auf die Instandsetzung. Auch die alte Faun-Skulptur im Garten schaut etwas traurig drein. Dabei äußerte sich der zuständige Gartenbaudirektor Erwin Barth über den damaligen Blumengarten: „Lustig, wie die Plastik selbst, ist auch die Umpflanzung gehalten. Stauden und Sonnenblumen!“ Aber eine Restaurierung ist in Aussicht gestellt. Ganz anders sieht es bereits bei den Nachbarn in der Nummer 11 aus. Der Parkhaus Lietzensee e. V. darf seit 2017 das Grundstück nutzen. Innerhalb von kurzer Zeit ist hier nicht nur eine kleine grüne Oase entstanden. Der „Seegarten am Lietzensee“ ist vor allem ein Lernort, der Kindern und Jugendlichen den ökologischen Anbau von Gemüse und Obst nahebringt. Nicht nur Kindergärten und Schulen profitieren davon. Die Willkommenskultur gilt auch für umherschwirrende Bienen, Schmetterlinge und andere Insekten.

Route Charlottenburg

Route Charlottenburg

Den Stadtspaziergang gibt es auch auf komoot. Weitere Informationen sind auf der Webseite von komoot zu finden.