Herzlich willkommen zu unserem 230. Kiezspaziergang. Ich bin Fabian Schmitz-Grethlein, Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung. Ich gehöre dem Bezirksamt seit Dezember an, bin Jurist und freue mich darüber, dazu beizutragen, in einem Bezirk mit über 300.000 Einwohnern Lebensräume zu gestalten. Charlottenburg-Wilmersdorf ist einer der schönsten Bezirk Berlins. Es gibt angesichts der Wohnungsnot aber gerade auch in der City West riesige Herausforderungen mit tollem Gestaltungspotenzial. Ich freue mich auf den heutigen Spaziergang, weil er sich mit einem Thema beschäftigt, das mit besonders am Herzen liegt: Hardt-Walther Hämer und seine Visionen von behutsamer Stadterneuerung.
230. Kiezspaziergang mit Bezirksstadtrat Fabian Schmitz-Grethlein
Bild: BACW
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1. Station: Klausenerplatz
Wir stehen hier am Klausenerplatz, dem Eingang zum gleichnamigen Kiez, mit dem wir uns heute beschäftigen werden. Der Platz war ursprünglich als Reitplatz der Garde du Corps, einer Eliteeinheit der preußischen Kavallerie angelegt worden. Zum Schmuckplatz umgestaltet, erhielt er 1887 den Namen Friedrich-Karl-Platz nach dem Preußen-Prinzen Friedrich Karl Nikolaus (1828-1885). 1950 wurde der Platz nach dem von den Nationalsozialisten ermordeten Führer der Laienbewegung Katholischen Aktion in Berlin, Erich Klausener, benannt.
Einem weiteren Opfer der Nationalsozialisten, nämlich Dompropst Bernhard Lichtenberg (1875-1943) verdanken wir die Gründung der Gemeinde des Kamillianerordens, vor der wir jetzt stehen. Lichtenberg, der seit 1913 Pfarrer an der Kirche Herz Jesu in Charlottenburg tätig war, gründete Filialgemeinden, als seine Kirche zu klein wurde. Zunächst wurde die ehemalige Reithalle Charlottenburg in der Neufertstraße 19 als Notkirche genutzt. Die vierflügelige Kirchen- und Klosteranlage wurde 1931-32 von Hermann Mohr in geschlossener Bebauung mit Anklängen an die Neue Sachlichkeit errichtet. St. Kamillus ist ein Hochbau und geht bis zur dritten Etage, darüber befindet sich bis zur 7. Etage das Seniorenheim St. Kamillus. Bis heute ist der Kamillianerorden für die Seelsorge der Gemeinde zuständig.
Bevor wir weitergehen, möchte ich Ihnen hier schon etwas zum alten Reitstall an der Neufertstraße erzählen. Wir kommen gleich an ihm vorbei, heute ist dort ein Bio-Markt drin. Da es dort aber zu wenig Platz zum Stehenbleiben gibt, erzähle ich Ihnen hier noch etwas dazu. Ich habe ja vorhin schon erzählt, dass der Klausenerplatz ein Reitplatz war. 1802 wurde das Gebäude errichtet, um Futter für die Pferde der Garde du Corps zu lagern. 1892 wurde es in einen Reitstall umgebaut, der bis 1918 genutzt wurde. Dann diente er mehr als zehn Jahre lang als katholische Notkirche, bevor St. Kamillus fertig gestellt worden war, wurde dann bis 1968 zum Kiez-Kino “Mali” und später zu einem Discounter. 2018 wollte ein Investor das denkmalgeschützte Gebäude abgerissen werden, um stattdessen Eigentumswohnungen zu bauen, das konnte von Anwohnern und dem Bezirk verhindert werden.
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2. Station: Block 118: Innenhof
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebte fast 40 Prozent der Bewohner des Klausenerplatz-Kiezes in Wohnungen mit nur einem Zimmer. Das Gebiet gehörte zu den proletarisch geprägten, armen Vierteln Charlottenburgs. In den 1920er-Jahren lebten hier rund 30.000 Menschen. Die extrem dichte Bebauung mit mangelhaften hygienischen Zuständen ließ die Sterblichkeit weit über die gehobenen Wohngegenden Charlottenburgs steigen. Heute leben im Sanierungsgebiet noch etwa 11.000 Menschen.
Die erste Berliner Mieterinitiative wurde 1973 mit dem Ziel einer stärkeren Berücksichtigung der Belange und Forderungen der Bewohner unter dem Motto „Sanierung ohne Verdrängung“ gegründet. Hieraus resultierte das Modellprojekt „Behutsame Stadterneuerung“ im Block 118 (begrenzt von Seelingstraße, Nehringstraße, Christstraße und Schloßstraße) des Architekten und Stadtplaners Hardt-Waltherr Hämer. Das Modellprojekt des Hämer-Blocks erlangte 1975 im Rahmen des Europäischen Denkmalschutzjahres große Aufmerksamkeit. In den darauffolgenden Jahren wurde die „Behutsame Stadterneuerung“ zum Leitbild für die weiteren Sanierungsmaßnahmen im Klausenerplatz-Kiez. Allerdings waren einige Projekte bereits ausgeführt worden, deren Planung begonnen hatte, nachdem das Quartier als Sanierungsgebiet ausgewiesen wurde. Die Hinwendung zur „Behutsamen Stadterneuerung“ erfolgte nicht schlagartig, sondern Stück für Stück. Auch Hausbesetzungen waren noch bis zu Beginn der 1980er-Jahre Teil des Modernisierungsprozesses.
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3. Station: Brotgarten an der Seelingstraße
Die Vollkorn-Bäckerei Brotgarten ist ein echtes Kind dieses Kiezes. 1987 wurde sie von einem mehrköpfigen Kollektiv gegründet. Gemeinsam hatten sie eine Vision: Sie wollten Biobrot backen, mit regionalen Zutaten, unter fairen Arbeitsbedingungen und wenn um die Ecke eine wichtige Demo lief, blieb der Laden zu. Noch heute liefert ein Bauer aus Brandenburg regelmäßig Korn in großen Säcken, welches dann in der Mahlstube hinter dem Café zwischen dicken Steinen vermahlen und durch eine Art Staubsauger direkt in die Backstube transportiert wird. Zu Hochzeiten sind über Nacht sieben Bäcker beschäftigt, um den Gästen am Sonntag genügend frische Teigwaren verkaufen zu können. Aus den elf gleichberechtigten und für alles zuständigen Gesellschaftern wurden 30 Mitarbeiter, geführt von nur noch fünf Gesellschaftern, die weiterhin auf demokratische Entscheidungsprozesse achten, auch ein „Plenum“ gibt es immer noch. Gebacken wird aber nur noch von Leuten, die den Beruf auch gelernt haben. Über die Jahre entwickelte sich der „Brotgarten“ zum Treffpunkt im Kiez, wurde Nachrichtenbörse und Bistro. Außerdem sind die Produkte auf sechs Marktständen in mehreren Bezirken zu haben.
Gegenüber “Alte Waschküche”
Gegenüber befindet sich an der Seelingstraße eine alte Wäscherei oder Waschsalon, in der Kiezbewohner ihre Wäsche waschen konnten. Die Gewobag hat sie aber jüngst geschlossen. Ihr Argument: Die Wohn- und Lebensverhältnisse haben sich geändert. Heutzutage hat eben fast jeder Haushalt eine eigene Waschmaschine. Die Nachfrage nach einer Gemeinschaftswaschküche hatte sich erheblich reduziert. Eine Kiezinitiative möchte die Waschküche gern zu einem Kieztreff ausbauen.
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Station 4: Das Ledigenheim
Das heutige Studierendenwohnheim an der Danckelmannstraße 46/47 wurde 1908 als eines der ersten “Ledigenheime” in Deutschland nach Plänen des Architekten Rudolf Walter erbaut. Über die Walters soziale Architektur in Charlottenburg von 1900 – 1929 gibt es übrigens bis 28. April eine Ausstellung im Rathaus Charlottenburg.
Mit solchen Einrichtungen sollte jungen Männern, die nach Berlin kamen, um hier in Fabriken zu arbeiten, eine würdige Unterkunft geboten. Die Sozialreformer wollten so das damals übliche System der “Schlafburschen” ändern, bei dem junge Männer tagsüber ein Bett in der Wohnung einer Familie nutzten, bevor sie selbst wieder zu ihrer Schicht antreten mussten. 8000 solcher Schlafburschen soll es zu Beginn des 20. Jahrhunderts allein in Charlottenburg gegeben haben.
Im Ledigenheim standen jedem 6 Quadratmeter große Zimmer sowie gemeinschaftlich genutzte Einrichtungen wie ein Speisesaal, eine Bibliothek und eine Badeanstalt zur Verfügung. Das öffentliche Wannenbad im Erdgeschoss wurde bis zur Sanierung des Kiezes noch von vielen Anwohnern genutzt.
Als Träger des fünfgeschossigen Hauses fungierte nicht die Stadt Charlottenburg, sondern die “Volkshotel Aktiengesellschaft Ledigenheim”. Mitglieder des Magistrats und die Stadtverordnetenversammlung besaßen die Mehrheitsanteile. Bis zu 370 Männer lebten in dem Haus. Frauen war der Zutritt strengstens verboten. Das System der Schlafburschen ließ sich dadurch aber nicht aushebeln, da den Fabrikarbeitern die Miete zu hoch war. Stattdessen bezogen Handwerker und Angestellte das Haus, die der Aktiengesellschaft dann auch gute Bilanzen bescherten. Erst 1971 kam es zur Auflösung der AG und zur Übertragung an die GEWOBAG, die darin ein Studierendenwohnheim einrichtete: Zwei Zimmer wurden jeweils zusammengelegt, aber auch die im Kiez beliebten Gemeinschaftseinrichtungen wurden geschlossen. Die alte Fassade blieb erhalten.
Wir gehen jetzt gegenüber durch den Durchgang des Hauses Danckelmannstraße 16 in den Innenhof
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Station 5: Der Ziegenhof
Auch die Geschichte des Ziegenhofs ist untrennbar verbunden mit der Sanierungsgeschichte des Klausenerplatz-Kiezes. Zwischen 1877 und 1917 wurde das Gelände des Blocks 128 im Zuge der Industrialisierung vollständig bebaut. Auf den rechtwinkligen Baugrundstücken wurden Mietskasernen mit Gewerbegebäuden in den Hinterhöfen gebaut. Heinrich Zille hat bis zu seinem Tod 1929 im 4. Stock des Hauses Sophie-Charlotten-Straße 88 gelebt, sein “Miljöh” war also der Block 128.
Im Rahmen des 1963 beschlossenen Stadterneuerungsprogramms war auch eine Entkernung des Blocks 128 geplant, der den Verlust von fast 500 günstiger Wohnungen bedeutet hätte. In den geplanten Neubauriegeln wären lediglich 60 Wohnungen entstanden. Dagegen regte sich Widerstand unter den Mietern, die nicht gewillt waren, ihren Kiez zu verlassen und in andere Stadtviertel umzuziehen. Auf einem Straßenfest zur Einweihung der Verkehrsberuhigung der Danckelmannstraße 1981 forderten die Hausgemeinschaften der Danckelmannstraße 14 und 15 zum ersten Mal mit Transparenten und Flugblättern den Erhalt ihrer Hinterhäuser. In der Folgezeit wurden viele der Wohnungen von Hausbesetzern in Eigenarbeit wieder bewohnbar gemacht. Man wollte damit auch beweisen, dass die Altbausubstanz zwar heruntergekommen, aber erhaltenswürdig war.
Wie es dann weiterging mit der Geschichte des Block 128 und wie der Ziegenhof schließlich entstand, weiß eines der Urgesteine hier im Kiez: Klaus Betz.
Herzlichen Dank, Herr Betz für die Einblicke in die Kiezgeschichte. Ich möchte hier noch auf zwei Programmpunkte zu unserem Thema hinweisen:
- Im Anschluss an den Spaziergang besteht die Möglichkeit, im KiezBüro, Seelingstr. 14, ein etwa 30-minütiges Video vom Besuch des Kiezbündnisses bei Herrn Hämer in Aarenshoop zu sehen. Wenn Sie Interesse haben, folgen Sie einfach Herrn Betz.
- Und heute Abend wird um 19 Uhr im DIVAN, Nehringstraße 8, der Film von Gerd Conradt “Der Videopionier – Sechs Geschichten zur behutsamen Stadterneuerung” gezeigt. Es geht um den gemeinsamen Kampf der Mieterinitiative mit Hardt-Walther Hämer um den Erhalt ihres Kiezes. Herr Conradt ist hier anwesend, falls sie Fragen haben.
Ich möchte mich jetzt von Ihnen verabschieden. Ich freue mich, dass Sie mir so zahlreich gefolgt sind.
Den nächsten Kiezspaziergang im Mai führt übrigens meine Kollegin Heike Schmitt-Schmelz. Er startet am Samstag, 14. Mai, um 14 Uhr an der Waldbühne und führt dann über das Olympiagelände.
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