Stolpersteine Bregenzer Straße 9

Hausansicht Bregenzer Str. 9

Diese Stolpersteine wurden von Dr. Friedhelm Krey (Berlin) gespendet und am 16.6.2016 mit zahlreichen Anwohner/innen verlegt. Dr. Krey hatte 2015 bei einem Besuch in Auschwitz-Birkenau in der Dauerausstellung der Gedenkstätte unter zahllosen Koffern auch einen mit dem Namen Clara Nadelmann und der Berliner Adresse Xantener Straße 2 (s. Foto) entdeckt. Daraufhin beschloss er, am letzten selbst gewählten Wohnort des Ehepaars Nadelmann an der Bregenzer Straße 9 zwei Stolpersteine zu ihrem Gedenken zu setzen. Nachkommen der Nadelmanns sind die Enkelin Sue und der Urenkel Joshua Raymond in Großbritannien. Es gelang, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Sie nahmen an der Stolpersteine-Verlegung teil. Joshua Raymond hielt eine Gedenkansprache.

Die Stolpersteine von Elsbeth Cäcilie Wartenberg und Dr. Wilhelm Wartenberg wurden am 7.10.2020 verlegt.

Koffer Clara Nadelmann

Koffer Clara Nadelmann

Stolperstein Moritz Nadelmann

HIER WOHNTE
MORITZ NADELMANN
JG. 1867
DEPORTIERT 29.1.1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 5.3.1943

Stolperstein Clara Nadelmann

HIER WOHNTE
CLARA NADELMANN
GEB. BUTTERMILCH
JG. 1880
DEPORTIERT 29.1.1943
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Moritz Nadelmann

Moritz Nadelmann

Moritz Nadelmann wurde am 17. April 1867 in Schwarzenau in der Region Posen (Poznan) geboren. Seine Eltern hießen Abraham und Jeannette geb. Hirschfeld. Clara Nadelmann geb. Buttermilch wurde am 10. August 1880 in Benneckenstein im Harz in der Nähe des Brocken geboren. Ihre Eltern waren Rudolf und Margarete Buttermilch, geb. Joel.
Sie kamen in den 1930er Jahren aus Stettin (Szczecin) nach Berlin, wohnten in der Bregenzer Straße 9 und hatten eine Adoptivtochter Irmgard (Irm), die schon in den 1920er Jahren nach England emigrierte und mehrmals verheiratet war. Sie starb 1999. Moritz Nadelmann war Rechtsanwalt und stand 1939 im Berliner Adressbuch als „Justizrat“. Nadelmanns hatten ein Vermögen, das nach ihren eigenen Angaben 26 696 Reichsmark betrug und Hypotheken auf zwei Grundstücke in Ahlbeck auf Usedom und in Müncheberg in Brandenburg.

Clara Nadelmann

Clara Nadelmann

Weil sie Juden waren, mussten sie zuerst in die Xantener Straße 2 ausweichen. Dorthin konnten sie einige Möbel und Hausrat aus der Bregenzer Straße, wo sie bis 1942 als Mieter registriert waren, mitnehmen, wie aus einer selbst angefertigten Auflistung hervorgeht. Für einen ihnen versprochenen ruhigen Lebensabend in Theresienstadt (Terezín) in Böhmen wurde ihnen jedoch das Gesamtvermögen als „Heimkaufbetrag“ abgenommen. Außerdem musste Moritz Nadelmann seine Sterbegeldversicherung von 542,11 RM bei der Deutschen Anwalt- und Notarversicherung kündigen.

Am 29. Januar 1943 wurden beide in einem verschlossenen Personenwagen des fahrplanmäßigen Zugs in Richtung Dresden-Prag mit 100 Menschen vom Anhalter Bahnhof in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort wurde Moritz Nadelmann am 5. März 1943 ums Leben gebracht. Als Todesursache wurde im Totenschein ein ‘Herzschlag’ angegeben.
Clara Nadelmann wurde am 9. Oktober 1944 in einem Güterzug mit 1600 Menschen aus dem Ghetto Theresienstadt nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.

Unterdessen war die Wohnung in der Bregenzer Str. 9 mitsamt ihrer Einrichtung, deren Wert immerhin auf 1139 RM amtlich geschätzt wurde, dem Gesandten der irakischen Botschaft, Kamil el Gailani, „bevorzugt zugewiesen“.

Eine andere Verwandte lebt in den USA, mit der Friedhelm Krey ebenfalls Kontakt aufnehmen konnte: Ruth Nadelman Lynn, verheiratet mit Bruce Lynn in Lexington (Massachusetts). Sie hat für Clara und Moritz Nadelmann in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem 1995 Gedenkblätter hinterlegt und Stolpersteine zum Gedenken an ihre Großeltern mütterlicherseits, Paula und Martin Wolff, an der Sybelstraße 27 verlegen lassen.

Ruth Nadelman Lynn ist die Großnichte von Clara und Moritz Nadelmann. Ihr Großvater, der Apotheker Dr. Hugo Nadelmann aus Stettin, Erbe der (ehemals Königl. Hof- und Garnisons-) Apotheke seines Vaters Abraham Nadelmann, war der Bruder des Juristen Dr. Moritz Nadelmann.

Text: Dr. Friedhelm Krey, ergänzt von der Stolpersteine-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf.
Quellen: Bundesarchiv, Adressbuch, Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Archiv Theresienstadt, Yad Vashem.

Stolperstein Elsbeth Cäcilie Wartenberg

HIER WOHNTE
ELSBETH CÄCILIE
WARTENBERG
GEB. NATHANSOHN
JG. 1875
DEPORTIERT 14.1.1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 15.8.1943

„Jacques Nathansohn, Handl. Roher und gefärbter Seiden, Perlen u. Artikel für die Passementerie, Vert. v. J & T Brocklehurst & Sons i. Macelesfield, C Kurstr. 29 Inh. Jacques Nathansohn.“ (Berliner Adressbuch 1890)

Elsbeth Cäcilie Nathansohn kam am 4. Mai 1875 in Berlin auf die Welt. Ihre Eltern waren der Kaufmann und Fabrikbesitzer Jakob (Jacques) Nathansohn und seine Frau Ida geborene Pincus. Das Ehepaar Nathansohn bekam neben Elsbeth 4 weitere Kinder. Paul war am 7. Mai 1874 geboren worden, Charlotte am 17. Mai 1878, Katharina am 19. Juli 1879 und Albert am 12. Mai 1882.
Jakob Nathansohn führte sein Geschäft in Berlin Mitte unter der französischen Version seines Vornamens, passend zu der edlen Ware, die er vertrieb.

Die Privatwohnung der Familie befand sich zu dieser Zeit am Lützowufer 23, später in der Keithstraße 3.

Im Jahr 1914 änderte sich die Situation der Familie Nathansohn dramatisch. Der Eintrag für die Firma war aus dem Adressbuch getilgt, sicher im Zusammenhang mit dem fast gleichzeitigen Tod der Eltern. Ida starb am 10. Januar und Jakob am 5. April 1914. Ihr Sohn Paul meldete den Tod seiner Eltern beim Standesamt. Zu dem Zeitpunkt wohnten sie schon in Wilmersdorf in der Sächsischen Straße 74, einer viel bescheideneren Wohngegend als zuvor. Paul änderte 1919 bei seiner Heirat seinen Nachnamen in Nansen. Er sollte als Architekt 10 Jahre später die Fassade des Hauses, in dem sein Schwager Wilhelm Wartenberg die Rothe Apotheke betrieb, im Rahmen der „Neuen Sachlichkeit“ umgestalten.

Elsbeth war bereits 1899 aus dem Elternhaus ausgezogen. Sie hatte am 11. Februar 1899 den Apotheker Dr. phil. Wilhelm Wartenberg geheiratet und lebte mit ihm in der Reichenberger Straße 63, in der sich auch dessen „Falkenapotheke“ befand. Ein Jahr später, am 21. Dezember 1900 kam die Tochter Elfriede auf die Welt, am 18. Januar 1906 der Sohn Fritz. 1907 wohnte die Familie in der Courbièrestraße 72. Elsbeths Mann hatte in diesem Jahr die „Marggraffsche Rothe Apotheke“ am Hackeschen Markt gekauft. Sie gilt heute als älteste Apotheke Berlins, die Innenräume stehen unter Denkmalschutz.

Von der Courbièrestraße zog die Familie ans Holsteiner Ufer 11 (1912 wurden die Hausnummern geändert, aus Nr. 11 wurde Nr. 20). Dort blieb die Familie bis 1933 wohnen.

Die Tochter Elfriede trat in die Fußstapfen ihres Vaters und wurde eine der ersten jüdischen Apothekerinnen Berlins. Fritz studierte ebenfalls Pharmazie, nach dem Studium arbeitete er ab 1931 in der Apotheke seines Vaters. Seine Heiratsanzeige von 1933 wies ihn, wie auch seinen Vater, als Apotheker und Doktor der Philosophie aus.

Wilhelm Wartenberg wurde 1933, gleich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, aller öffentlicher Ämter als Vorsitzender der Apothekerkammer und Mitglied des Reichsgesundheitsrats enthoben.
Die Wartenbergs mussten ihre Wohnung am Holsteiner Ufer aufgeben und zogen in die Mommsenstraße 1. Es war nur eine vorübergehende Bleibe. Ab 1937 wohnten sie in der Bregenzer Straße 9, nahe des Olivaer Platzes. Nachdem das „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“ 1939 in Kraft getreten war, wurden Elsbeth und Wilhelm Wartenberg gezwungen, aus dieser Wohnung aus- und in eine ihnen zugewiesene Unterkunft in der Prinzregentenstraße 4 einzuziehen.

Elsbeths Kinder waren längst verheiratet. Am 27. November 1926 hatte Elfriede den Arzt Dr. med. Hans Jungmann geheiratet. Das Ehepaar wanderte nach London aus, wo Elfriede 1971 verstarb. Fritz Wartenberg heiratete am 26. April 1933 Elisabeth Franziska Buchmann. Er hatte von seinem Vater die Leitung der Rothen Apotheke übernommen. 1937 musste er sie verkaufen und flüchtete ohne seine Frau und seine 1934 geborene Tochter Carla nach London.
Am 27. Januar 1942 kam der nächste Schicksalsschlag für Elsbeth, ihr Mann Wilhelm wurde auf einer Parkbank vor dem Haus Aschaffenburger Straße 22 tot aufgefunden. Gedemütigt und entrechtet starb er in aller Öffentlichkeit an Herzversagen. Die Schwiegertochter Elisabeth meldete seinen Tod dem Wilmersdorfer Standesamt.

Am 14. Januar 1943 wurde Elsbeth Wartenberg in das Ghetto Theresienstadt verschleppt und dort 5 Monate später, am 15. Juni, ums Leben gebracht. Als Todesursache wurde auf der Todesfallanzeige „Schenkelhalsbruch links“ und „Myokarditis“ vermerkt.

Ihre Schwiegertochter Elisabeth und die Enkelin Carla flohen am Tag der Deportation Elsbeths aus Berlin und überlebten Verfolgung und Krieg in wechselnden Verstecken auf dem Land. Wann Carla zu ihrem Vater nach England übersiedelte, ist nicht bekannt. 1990 erbte Carla Wartenberg die Apotheke ihres Großvaters in der Rosenthaler Straße und ließ sie in die Form zurückbauen, die ihr der Großvater Wilhelm 1929 gegeben hatte. Fritz Wartenberg kehrte zu einem nicht bekannten Zeitpunkt nach Deutschland zurück. Er starb 1983 in Donaueschingen.
Carla starb 2019, ein Jahr vor der Verlegung der Stolpersteine ihrer Großeltern, in London.

Recherche und Text: Karin Sievert, Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945
Deportationslisten
Theresienstädter Gedenkbuch Holocaust.cz
Berliner Adressbücher- Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Landesarchiv Berlin , WGA , Heirats- und Geburtsregister
Gottwald/Schulle „Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941 – 1945“
Yad Vashem – Opferdatenbank
https://zwanziger-jahre-berlin.de/4817-2/
https://de.wikipedia.org/wiki/Rothe_Apotheke
https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/apothekenpraxis/berlins-aelteste-apotheke-berlinapotheke-am-hackeschen-markt/

Stolperstein Dr. Wilhelm Wartenberg

HIER WOHNTE
DR. WILHELM
WARTENBERG
JG. 1868
GEDEMÜTIGT/ENTRECHTET
TOT 27.1.1942

Adressbucheintrag Wilhelm Wartenberg

Wilhelm Wartenberg wurde am 26. Februar 1868 in Neumittelberg Krs. Breslau geboren. Seine Eltern waren der Kaufmann Benno Wartenberg und Friederike geb. Reichmann. Der 2 Jahre ältere Bruder Max starb 1920 in Berlin. Weitere Ereignisse aus dem Familienleben sind nicht bekannt.
Wilhelm studierte Pharmazie und Philosophie und besaß bereits um die Jahrhundertwende die Falkenapotheke in der Reichenberger Straße 63. Im selben Haus befand sich auch die Wohnung der jungen Familie Wartenberg.

Wilhelm hatte 1899 Elsbeth Cäcilie Nathansohn geheiratet, im Dezember 1900 wurde die Tochter Elfriede geboren, 1906 der Sohn Fritz. Beide Kinder wurden später ebenfalls Apotheker.
1907 kaufte Wilhelm Wartenberg die in der Rosenthaler Straße Ecke Schönhauser Straße gelegene Rothe Apotheke von den Marggraffschen Erben. Im selben Jahr begann auch seine standespolitische Karriere. Er wurde zunächst Mitglied des Berliner Apothekervereins, außerdem Vorsitzender der Apothekerkammer für die Provinz Brandenburg und die Stadtgemeinde Berlin sowie Mitglied des Reichsgesundheitsrates.

Die Rothe Apotheke gilt als älteste Apotheke Berlins und steht unter Denkmalschutz. Der ursprüngliche Besitzer Johannes Marggraff errichtete das Gebäude 1887 mit einer üppigen Stuckfassade. Wilhelm Wartenberg ließ 1929 die Fassade umarbeiten. Mit der Leitung der Umbaumaßnahmen wurde sein Schwager, der Architekt Paul Nansen (vor 1919: Paul Nathansohn) beauftragt. Er gestaltete das Äußere im Stil der „Neuen Sachlichkeit“ und die Inneneinrichtung in dunklem Holz, die Deckenmalereien stammen noch von 1887.

1931 zog sich Wilhelm Wartenberg aus dem eigentlichen Apothekenbetrieb zurück und stellte seinen Sohn Fritz ein, der sein Pharmaziestudium erfolgreich beendet hatte. Wilhelm widmete sich vorwiegend seinen standespolitischen Aufgaben. Diese fanden 1933 ein jähes Ende. Wilhelm Wartenberg wurde unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten aller Ämter enthoben.

Am 19. September 1933 findet sich sein Name auf der Hamburger Passagierliste des Schiffes „Gothland“, Ankunftsort Leith, Schottland. Möglicherweise suchte er in Großbritannien für sich eine neue berufliche Zukunft zu finden – offenbar vergeblich.

Die Rothe Apotheke überschrieb er seinem Sohn Fritz. 1937 wurde die Arisierung der deutschen Apotheken eingeleitet und Fritz musste die Apotheke für 110 000 Reichsmark an den Apotheker Richard Berger, Mitglied der NSDAP, verkaufen. Fritz Wartenberg flüchtete noch im selben Jahr nach London, seine Frau Elisabeth, seine Tochter Carla und seine Eltern blieben in Berlin zurück.

Wilhelm und Elsbeth Wartenberg waren in diesem Jahr in die Bregenzer Straße 9 gezogen. Nachdem das „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“ 1939 verabschiedet war, finden sich keine Einträge von Wartenberg mehr unter dieser Adresse. Das Ehepaar wurde in die Prinzregentenstraße 4 umgesetzt, wahrscheinlich in die Wohnung einer anderen jüdischen Familie.
Wilhelm Wartenberg war seiner Ämter enthoben, hatte sein Lebenswerk, die Rothe Apotheke, verloren, seine Bestallung als jüdischer Apotheker war am 31. Januar 1939 erloschen, seine Kinder waren ins Ausland geflohen, er war entrechtet und gedemütigt. Am 27. Januar 1942 wurde Wilhelm Wartenberg auf einer Parkbank in Wilmersdorf tot aufgefunden. Die Diagnose lautete Herzschlag, sein Herz hatte aufgehört zu schlagen.

Recherche und Text: Karin Sievert, Stolpersteininitiative Charlottenburg – Wilmersdorf

Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945
Deportationslisten
Theresienstädter Gedenkbuch Holocaust.cz
Berliner Adressbücher- Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Landesarchiv Berlin , WGA , Heirats- und Geburtsregister
Gottwald/Schulle „Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941 – 1945“
Yad Vashem – Opferdatenbank
https://zwanziger-jahre-berlin.de/4817-2/
https://de.wikipedia.org/wiki/Rothe_Apotheke
https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/apothekenpraxis/berlins-aelteste-apotheke-berlinapotheke-am-hackeschen-markt/