Stolpersteine Sybelstraße 27

Hausansicht Sybelstr. 27

Die Stolpersteine zum Gedenken an Martin und Paula Wolff sind auf Wunsch der Enkelin Ruth Nadelman Lynn (USA) am 28.4.2015 im Beisein von Hausbewohner/innen verlegt worden.

Der Stolperstein für Fanny und Hans Schwarz wurde am 15. Juni 2022 verlegt.

Der Stolperstein für Samuel Kurzmann wurde am 5. Mai 2024 verlegt.

Die Stolpersteine für Erich und Margarete Jacoby wurden am 17. Oktober 2024 verlegt.

Das Haus Sybelstraße 27 mit 35 Wohnungen im Vorder- und den Seitengebäuden gehörte 1939 dem Major a. D. Maximilian Perkuhn, der am Kurfürstendamm 150 lebte. Mindestens 17 der 1939 hier registrierten Bewohner/innen sind deportiert und ermordet worden. Unter ihnen war Felice Rahel Schragenheim, die ursprünglich bei ihren Eltern Albert und Erna Schragenheim gewohnt hatte und nach deren Tod bei der Familie Max Tichauer in der Sybelstraße 27 unterkam, wo auch die verwitwete Käte Schragenheim wohnte, vermutlich eine Tante. Felice Schragenheim ist später durch das Buch und den Film “Aimée und Jaguar“ berühmt geworden. Ein Stolperstein erinnert an sie an der Friedrichshaller Straße 23

Stolperstein Paula Wolff

HIER WOHNTE
PAULA WOLFF
GEB. LEWINSOHN
JG. 1885
DEPORTIERT 26.9.1942
ERMORDET IN
RAASIKU

Stolperstein Martin Wolff

HIER WOHNTE
MARTIN WOLFF
JG. 1877
DEPORTIERT 26.9.1942
ERMORDET IN
RAASIKU

Familie Wolff, 1914

Martin Wolff ist am 20. Mai 1877 in Thorn (Torun) geboren. Er war verheiratet mit Paula Wolff geb. Lewinsohn, geboren am 15. Februar 1885 ebenfalls in Thorn. Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Hans Georg und Hildegard, geboren 1913. Paula Wolff war Kindergärtnerin gewesen. In Braunsberg in Ostpreußen führte Martin Wolff die Neustadt-Apotheke, bis sie 1936 nach Berlin zogen. Nachdem Hans Georg und Hildegard geflüchtet waren, stand er im Berliner Adressbuch als Mieter der Sybelstraße 27. Sie zahlten 68,60 Reichsmark Miete. Paula Wolff war, so berichtete ihre Enkeltochter, abergläubisch und suchte häufig einen Astrologen namens Hoog auf.

Der Sohn Hans Georg konnte 1936 aus Berlin entkommen, heiratete 1940 in den USA die Lehrerin Mollie Horowitz und nannte sich George Wolfe. Er wurde wie sein Vater zunächst Apotheker, dann Werbeleiter einer Firma in New Jersey. Die Tochter Hildegard wurde wegen ihrer jüdischen Herkunft in Berlin von der Schule verwiesen, folgte 1937 ihrem Bruder in die USA, heiratete den Universitätsprofessor Dr. Alfred H. Nadelmann und hieß Hilde M. Nadelmann. Sie ließen sich in Kalamazoo/Michigan nieder. Deren Tochter Ruth, die Bruce Lynn heiratete, leitete in Lexington/Massachusetts die Kinderbuchabteilung einer Bibliothek und schrieb die Familiengeschichte für das Buch „We Shall Not Forget! Memories oft the Holocaust“ (Temple Isaiah, 2. Auflage 1995). Mindestens 42 Familienangehörige sind in der Shoah ums Leben gekommen.

Familie Wolff, 1927

Familie Wolff, 1927

Verzweifelt versuchten Martin und Paula Wolff, der Judenverfolgung in Deutschland zu entkommen. Sie hatten bei der Deutschen Amerika-Linie bereits eine Schiffspassage nach Chile gebucht und bezahlt (822,37 Reichsmark), jedoch schrieb sie ihrer Tochter am 7. Juli 1939: „Das Schiff fährt am 27. ab, aber ohne uns!“ Im November 1941 kam eine Ausreisegenehmigung nach Cuba, aber zu spät. Martin Wolff war zuletzt als „ehrenamtlicher Helfer“ bei der Jüdischen Kultusvereinigung in der Oranienburger Straße tätig.

Ende Juli 1942 mussten Martin und Paula Wolff auf Anordnung der Wehrmacht ihre Wohnung, die danach aufwändig renoviert wurde, für einen Offizier namens Speth räumen, der am 15. September einzog. Wolffs wurden zwangsweise in die Wilmersdorfer Straße 8 umgesiedelt, wohin sie einen Teil ihrer Einrichtung mitnehmen konnten.

Doch lange durften sie auch dort nicht bleiben. Am 26. September 1942 wurden sie im Sammellager in der Synagoge an der Levetzowstraße 7-8 für einen Transport eingeteilt, der am Verladebahnhof Moabit mit 816 Berliner Juden an einen mit 237 Menschen aus Frankfurt/Main kommenden Zug gekoppelt wurde. Fünf Tage lang waren sie nach Raasiku bei Reval in Estland unterwegs. In der Nähe sind sie erschossen worden. Nur 26 überlebten den Holocaust.

Martin und Paula Wolffs Besitz wurde beschlagnahmt und brachte dem NS-Staat einen Verkaufserlös von 1 218 RM. In einem 1959 von den Kindern aus den USA geführten Entschädigungs- und Rückerstattungsverfahren wurden alle Ansprüche von den deutschen Behörden „zurückgewiesen“ oder seien „erloschen“.

Zum Gedenken an Paula Wolffs Bruder Willi Lewinsohn und dessen Frau Grete geb. Schöneberger sowie für die Söhne Helmut Wolfgang und Karl-Philipp liegen Stolpersteine in Berlin-Mitte an der Klosterstraße 73. Dr. Willi Lewinsohn war Lehrer am Gymnasium zum Grauen Kloster und wohnte dort bis 1933.

Text: Helmut Lölhöffel mit Material von Reinhard Frommann.
Quellen: Bundesarchiv; Landeshauptarchiv; Entschädigungsamt; Adressbücher; Familienchronik von Ruth Nadelmann Lynn.

Stolperstein Fanny Schwarz

Stolperstein Fanny Schwarz

Stolpersteinlegung Fanny und Hans Schwarz am 15.06.22, in der Sybelstr. 27, Berlin-Charlottenburg

HIER WOHNTE
FANNY SCHWARZ GEB. BRAND
JG. 1864
DEPORTIERT 12.6.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 13.8.1942

Fanny Schwarz, Geburtsname Brand, wurde am 2. August 1864 in Lemberg/Lwow (Galizien) in eine jüdische Familie geboren. Vater: Leo Brand, Mutter: Sara Brand. Verheiratet war Fanny seit 1885 mit Josef Schwarz (dieser starb am 28. Juli 1928 in Wien).

Ihr erster Sohn, Paul Schwarz, wurde am 30. Juni 1887 in Wien geboren, der zweite Sohn, Hans Schwarz, kam am 23. September 1890 in Wien zur Welt. Die jüdische Kaufmannsfamilie war liberal eingestellt und lebte vermutlich recht assimiliert.

Hans Schwarz arbeitete im Geschäft des Vaters für internationale Galanteriewaren, ca. von 1910 bis 1922 und machte sich von da an kaufmännisch selbständig. Er handelte unter anderem mit Textilien und modischen Accessoires und hatte geschäftlich in Wien und Berlin zu tun.

Aufgeschlossen für die Kultur der Mehrheitsgesellschaft besuchte der ältere Sohn Paul Schwarz leidenschaftlich die Wiener Hofoper und lernte viele Gesangsstücke auswendig. Nach einer Gesangsausbildung am Konservatorium in Wien trat er in zahlreichen Gastspielen in Berlin, Wien, Amsterdam, Den Haag, Paris und New York auf. Seine wichtigste Anstellung hatte er in Hamburg an der Oper, die damals Stadttheater Hamburg hieß. 

Auf die nationalsozialistische Machtübernahme im Januar 1933 folgten Ausgrenzung und Entrechtung. So musste Paul Schwarz wegen seiner jüdischen Herkunft im Februar 1933 deutlich schlechtere Vertragskonditionen hinnehmen und wurde schließlich im Mai 1933 am Hamburger Stadttheater vollends gekündigt. Künstlern mit jüdischer Herkunft blieb ab 1933 oft nur die Möglichkeit, in vom Kulturbund Deutscher Juden organisierten Veranstaltungen mitzuwirken, da sie an anderen Bühnen ausgegrenzt wurden. Paul Schwarz war von Beginn aktiv in zahlreichen Konzerten wie Revuen, Opern- und Operettenaufführungen des Kulturbundes in Hamburg, Berlin und Frankfurt am Main. Einige Jahre konnte er seine internationalen Auftritte fortsetzen, aber nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 verlor Paul Schwarz seinen österreichischen Pass, womit weitere Auslandsgastspiele unmöglich wurden. 

Mit der Zuspitzung nationalsozialistischer Diskriminierungs- und Vernichtungspolitik gegen Juden blieb Paul Schwarz in den letzten Kriegsjahren jede öffentliche künstlerische Betätigung verwehrt. Unter widrigen Umständen überlebte er als einer der wenigen Menschen jüdischer Herkunft in Berlin den Krieg. Die Freie und Hansestadt Hamburg zeichnete ihn 1962 mit der Johannes-Brahms-Medaille aus. Er starb 1980 in Hamburg. Eine ausführliche Biografie ist auf Wikipedia veröffentlicht. (1)

Seine verwitwete Mutter Fanny Schwarz konnte er als verfolgter Künstler im Nationalsozialismus wahrscheinlich nicht mehr unterstützen. Sein Bruder Hans Schwarz half seiner Mutter über mehrere Jahre finanziell. Viele Juden verloren mit den Berufsverboten ihre Einkünfte und so kam es zu den sog. Juden-Häusern, Not-Wohngemeinschaften, wo unterschiedliche Familien und Personen in Wohnungen mit ihren letzten Habseligkeiten zusammenziehen mussten. Nach dem „Anschluss Österreichs“ kam Fanny Schwarz 1938 aus Wien nach Berlin und fand in der Sybelstraße eine Bleibe. Ihr Sohn Hans flüchtete nach Frankreich. Von dort aus unterstützte er seine Mutter, die nahezu mittellos war, vermutlich eine Zeitlang weiter. In einem Brief berichtete Paul Schwarz von einem Treffen 1936 mit seinem Bruder Hans. Damals habe ihm sein Bruder von Vorkehrungen erzählt, Geld möglichst in Sachwerten wie Diamanten und Briefmarken anzulegen, aufgrund der immer schwieriger werdenden Situation für Juden. Mit der Emigration brach zwischen den Brüdern der Kontakt ab. Im Jahr 1938 wurde Paul Schwarz auf einer Reise über Berlin aus dem Zug verhaftet und von der Gestapo über den Verbleib seines Bruders verhört. 
Paul Schwarz wurde letztlich vermutlich nicht deportiert, weil seine Ehe mit Adele Schwarz (geb. Blazek) als sogenannte „privilegierte Mischehe“ eingestuft worden war, da seine Ehefrau bei den nationalsozialistischen Behörden als „Arierin“ galt und aus der Ehe die Kinder Peter und Marianne hervorgegangen waren. Allerdings hat das Ehepaar in der Kriegszeit nicht immer zusammengelebt.

Nach der Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen wurde Hans Schwarz in Drancy interniert und nach Auschwitz deportiert. (2) Für ihn gibt es deshalb keine Wohnadresse in Berlin, aber der Stein sollte neben seiner Mutter sein.

Fanny Schwarz wurde zum Tragen des Judensterns seit dem 19. September 1941 bis zur Deportation gezwungen. Die Deportation erfolgte von der Sybelstraße am 12. Juni 1942 durch die Gestapo. Zu diesem Zeitpunkt war sie stark sehbehindert. Sie wurde nach Theresienstadt deportiert. In den Akten befindet sich eine Zeugenaussage von einer Frau, die die bereits schwer erkrankte Frau im Krankenhaus in Theresienstadt im Sommer 1942 besucht hatte. Fanny Schwarz sprach anerkennend von ihren Söhnen und erwähnte die Karriere Pauls als großer Opernsänger. Kurze Zeit später, am 13. August 1942, kam sie in Theresienstadt um.

Biografische Zusammenstellung: Niko Schwarz



Quellen:
1 – https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Schwarz_

2 – Mitteilung des S.E.R. Direction Generale Paris 27.6. 1946/ 4.10. 1949; Mitteilung des Sonderstandesamtes Arolsen 14.11. 1949

Hans-Schwarz

Stolperstein Hans Schwarz

HANS SCHWARZ
JG. 1890
FLUCHT 1938 FRANKREICH
INTERNIERT DRANCY
DEPORTIERT 6.11.1942
ERMORDET IN AUSCHWITZ

Stolperstein Samuel Kurzmann - Sybelstr 27

HIER WOHNTE
SAMUEL
KURZMANN
JG. 1888
DEPORTIERT 12.1.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET

Samuel Kurzmann wurde am 30. Januar 1888 als Sohn von Isaac und Henriette Kurzmann in Burghaslach/Unterfranken geboren. Er hatte zwei ältere Geschwister, seinen Bruder Philipp Emanuel Kurzmann und seine Schwester Nanni.

Emanuel und Nanni Kurzmann sind wie Samuel deportiert worden und im Holocaust umgekommen. Emanuel Kurzmanns Töchter Nelly und Herta konnten entkommen, weil sie nach Palästina fliehen konnten.

Samuel Kurzmann hatte zuerst in Würzburg gelebt und gearbeitet, er betrieb dort eine gut eingeführte Zigarrengroßhandlung mit mehreren Angestellten. Er war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. 1931 oder 1932 zog er nach Berlin, weil er sich hier eine Geschäftsausweitung versprach und auch von dort aus seine süddeutschen Kunden beliefern konnte. Die Zigarrengroßhandlung befand sich in Charlottenburg, Uhlandstraße 187. Seine Privatwohnung war in der Sybelstraße 27, diese Wohnung war sein letzter freiwillig gewählter Wohnsitz.

Wahrscheinlich gegen Ende 1938 musste Samuel Kurzmann sein Geschäft aufgeben, da er immer mehr unter den Auswirkungen des Boykotts als Teil der Ausgrenzung und Verfolgung der deutsch-jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten litt. Wie wir aus einem überlieferten Brief wissen, hat er im Februar 1938 versucht, die Flucht in die USA vorzubereiten und bereits Kontakte nach dort geknüpft, um Hilfe und Unterstützung bei der Auswanderung zu bekommen. Die Flucht ist Samuel Kurzmann nicht mehr gelungen.

Er wurde am 12. Januar 1943 aus einer Zwangswohnung in der Heilbronner Straße 26 heraus deportiert, wo er als Untermieter gewohnt hatte, nachdem er seine Wohnung in der Sybelstraße 27 verlassen musste und ist in Auschwitz von den Nationalsozialisten ermordet worden.

Recherche und Text: Rita Kienzler

Quellen:
  • Berliner Gedenkbuch der FU
  • Bundesarchiv
  • Angaben von Hertha David geb. Kurzmann aus dem Antrag auf Entschädigung.
  • Brief von Samuel Kurzmann vom Februar 1938
  • Familie von Samuel Kurzmann bei der Verlegung des Stolpersteins

HIER WOHNTE
ERICH JACOBY
JG. 1882
DEPORTIERT 12.1.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET

HIER WOHNTE
MARGARETE
JACOBY
GEB. TONN
JG. 1882
DEPORTIERT 12.1.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET