HIER WOHNTE
ADOLF WISLA
JG. 1885
DEPORTIERT 3.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ
Adolf Wisla kam am 3. März 1885 in Chemnitz auf die Welt. Sein Vater Fabian Wisla (1857 -1891) war Kantor der jüdischen Gemeinde, seine Mutter war die Rabbinertochter Hedwig Wisla, geb. Kalischer (1854 – 1908). Adolfs Bruder Max war auf den Tag genau drei Jahre vor Adolf geboren worden, am 3. März 1882. Adolf wurde von Beruf Kaufmann, sein Bruder Max studierte Jura und wurde Rechtsanwalt in Chemnitz.
Am 9. April 1919 heiratete Adolf im Charlottenburger Standesamt Bertha Mendel. Er lebte zu dem Zeitpunkt noch in Chemnitz in der Ulmenstraße 17. Bertha war in der Kaiser-Friedrich-Straße 27 gemeldet.
Das junge Ehepaar zog dann in die erste gemeinsame Wohnung in der Uhlandstraße 98. Dort kamen die beiden Söhne zur Welt. Am 7. Januar 1920 wurde Heinz geboren, am 27. Juni 1923 kam Gerhard auf die Welt. 1925 oder 1926 erfolgte dann der Umzug in eine 7-Zimmer-Wohnung in der Güntzelstraße 63. Berthas verwitwete Mutter Franziska Mendel wohnte bis zu ihrem Tod im Oktober 1942 bei ihnen.
Anfang der 1930er–Jahre zogen die Wislas in eine 5-Zimmer-Wohnung in der Trautenaustraße 20.
Als gläubiger Jude war Adolf Wisla Mitglied der Jüdischen Gemeinde in der Prinzregentenstraße und sowohl geschäftlich als auch privat mit dem Gemeindevorsteher Arnold Stein verbunden. Außerdem war er Mitglied der Abraham Geiger Loge (B’nai B’rith Tochterloge, deren Ziel die Aufklärung über das Judentum und die Erziehung innerhalb des Judentums war).
Adolf Wisla war ein äußerst erfolgreicher Unternehmer in der Schuhbranche. Zunächst fing er mit einer Reparaturwerkstatt in der Oranienstraße 10/11 an, dann eröffnete er in der Kleiststraße 15 (heute An der Urania) eine Schuh–Schnellbesohlanstalt. Das Unternehmen REWIMA war mit modernsten Maschinen bestückt und beschäftigte 20 Arbeiter. Die Maschinen hatte Adolf Wisla von amerikanischen Herstellern für fast 12 000 US Dollar gekauft. Daneben unterhielt er noch Reparaturannahmestellen nahe dem Roseneck und Grunewaldstraße 50 Ecke Bamberger Straße. Die dort in Empfang genommenen Reparaturaufträge wurden in der Kleiststraße ausgeführt. Zum Geschäft gehörten ein großes Lager mit Werkzeugen, Leder und ein Lieferwagen. Das durchschnittliche Jahreseinkommen von 19 000 RM ermöglichte eine „gediegene“ Wohnungseinrichtung und jährliche Reisen ins Ausland und in Kurorte mit der gesamten Familie.
Zu Adolf Wislas Großkunden gehörten die Schuhhäuser Tack und Stiller, diese zogen aber ihre Reparaturaufträge nach 1933 von dem jüdischen Unternehmen zurück, so konnte er ab 1935 das „Engros–Reparaturgeschäft“ nicht weiterführen und betrieb nur noch seine Ladengeschäfte für Privatkunden.
Auch Adolfs Bruder Max, der als Rechtsanwalt in Chemnitz tätig war, erfuhr 1933 sofort nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten die unmittelbare Bedrohung. Das Chemnitzer Tageblatt veröffentlichte eine Liste der „jüdischen Geschäfte, Rechtsanwälte und Ärzte“ mit der vollständigen Adressenangabe. Vor den Anwaltskanzleien bezogen SA- und SS-Leute – zum Teil bewaffnet – Posten. Max wurde verhaftet, ehemalige Kriegskameraden aus dem Ersten Weltkrieg setzten sich jedoch für seine Freilassung ein. Als aktiver Kriegsteilnehmer war er 1916 schwer verwundet worden, er erhielt das Eiserne Kreuz II. Klasse und wurde als Leutnant entlassen.
1938 war das Aus für die Schnellbesohlanstalt von Adolf Wisla. Die Pogrome vom 9. November wurden von einem benachbarten Inhaber einer Schuhmacherwerkstatt in der Kleiststraße 11 so erlebt:
„In der Kristallnacht ist die Einrichtung der Schnellbesohlanstalt des Herrn Wisla total zertrümmert worden. Ich bin am Tage nach der Kristallnacht dort vorbeigegangen und musste dabei feststellen, daß die gesamte Einrichtung demoliert worden war; die Maschinen waren mit Hammern zerschlagen…Nach der Kristallnacht ist in der Schnellbesohlanstalt des Herrn Wisla nicht mehr gearbeitet worden. Einige Tage nach der Kristallnacht suchte mich Herr Wisla…. auf. Er sagte zu mir, daß nach den Vorkommnissen in der Kristallnacht eine Fortführung seiner Arbeit keinen Zweck mehr hätte und daß er beabsichtige, die Geschäftsräume aufzugeben…“
Was nicht zerstört worden war, wurde geplündert. Nach der Pogromnacht wurde in der Schnellbesohlanstalt nicht mehr gearbeitet. Der genannte Augenzeuge, der Schuhmachermeister Buder, übernahm 1939 die Räume mit einem neuen Mietvertrag.
Derweil nahm auch die persönliche Tragödie ihren Lauf. Adolfs Bruder Max wanderte 1938, nachdem ihm die Zulassung als Rechtsanwalt und Notar entzogen worden war, nach London aus. Bei Kriegsausbruch wurde er dort als feindlicher Ausländer (Enemy Alien) interniert.
Heinz Wislas Traum, Zahnmedizin zu studieren hatte sich durch den Ausschluss jüdischer Studenten vom Studium zerschlagen, er konnte jedoch noch von 1936 bis 1938 eine Lehre zum Zahntechniker im „Laboratorium für Zahnprothesen“ am Kurfürstendamm machen. Nach Feierabend fuhr er für die Firma seines Vaters an dessen Kunden die Schuhe mit dem Fahrrad aus – bis die Reparaturwerkstätten enteignet wurden.
Ende 1939 wurde er verhaftet und im KZ Sachsenhausen interniert. Jetzt waren es Adolfs einflussreiche Kriegskameraden, die Heinz’ Freilassung aus der Haft erreichten. Unter der Voraussetzung, dass er über seine Haftzeit schweige und sofort das Land verlasse, konnte Heinz am 6. Mai 1940 aus Nazideutschland ausreisen.
Es begann eine jahrelange Odyssee, bis er sich endlich unter dem Namen Howard H. Wisla im Staate New York/USA niederlassen konnte.
Adolf Wisla wurde in den letzten Jahren seines Lebens, ebenso wie sein Sohn Gerhard zur Zwangsarbeit bei der Arbeitsgemeinschaft Berliner Optiker in der Wallstraße 3/4 herangezogen. Die eigentliche Adresse der Arbeitsgemeinschaft war die Eislebener Straße 3. Möglicherweise befanden sich in der Wallstraße die Werkstätten der Optikergemeinschaft. In der sogenannten „Vermögenserklärung“, die kurz vor der Deportation ausgefüllt werden musste, gab er an, dort als Optiker für wöchentlich 25 RM netto tätig gewesen zu sein.
Der ehemals erfolgreiche Unternehmer hatte noch 1500 RM auf seinem Konto bei der Deutschen Bank. Diese wurden „zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen“ – wie die Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung genannt wurde. Ansonsten trug Adolf Wisla nichts in das Formular ein, lediglich die Rubrik Kleidungsstücke war mit dem Eintrag „das Nötigste“ versehen.
Am 28. Februar 1943 wurde ihm die Urkunde über die Einziehung seines Vermögens zugestellt. Da saß er schon mit seinem Sohn Gerhard in der Levetzowstraße 8, einer als Sammelstelle für Jüdinnen und Juden missbrauchten Synagoge, deren Deportation unmittelbar bevorstand. Die Verhaftung von Adolf und Gerhard Wisla ist im Zusammenhang mit der sogenannten Fabrikaktion zu sehen. Am 27. Februar 1943 hatten SS und Gestapo begonnen, jüdische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den Fabriken zu holen, andere in Wohnungen oder auf der Straße zu verhaften und in Sammellager in der ganzen Stadt zu bringen. So ist auch zu erklären, weshalb Bertha Wisla getrennt von ihrem Mann und Sohn verhaftet und deportiert wurde.
Am 3. März 1943, seinem 58. Geburtstag, wurde Adolf Wisla zusammen mit seinem Sohn Gerhard nach Auschwitz deportiert. Im Zug des 33. Osttransports, der am 4. März in Auschwitz ankam, befanden sich 1726 Menschen. Zwei Monate später, am 2. Mai, wurde er in dem Vernichtungslager ermordet.
Bertha Wisla war schon zwei Tage zuvor, am 1. März, nach Auschwitz verschleppt worden. Der Transport kam am 2. März im Lager an. Sie starb einen Tag darauf – am Geburtstag ihres Mannes.
Recherche und Text: Karin Sievert, Stolperstein Initiative Charlottenburg – Wilmersdorf
Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945
Brandenburgisches Landeshauptarchiv www.blha.de
Entschädigungsamt Berlin
Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Landesarchiv Berlin
Arolsen Archives
Mapping The Lives
Deportationslisten
Gottwald/Schulle „Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941 – 1945“
Yad Vashem – Opferdatenbank
Dr. jur. Hubert Lang „Ausgrenzung in aller Öffentlichkeit“
http://hubertlang.de/wp-content/uploads/2018/01/aor_chemnitz_ausgrenzung.pdf