HIER WOHNTE
FRITZ FABIAN
JG. 1874
DEPORTIERT 29.10.1941
LODZ/LITZMANNSTADT
ERMORDET 2.4.1942
Fritz Fabian wurde am 20. Dezember 1874 in Tuchel (Tuchola, Westpreußen) geboren. Als Witwer heiratete er nach einer ersten, kinderlosen Ehe Stefanie Bachstez, geboren am 3. August 1892 in Jassy (Iasi, Rumänien). Er verbot ihr, irgendetwas in der Wohnung zu verändern. Wie sein Sohn später berichtete, war er streng deutsch-national gesinnt und gehörte dem rechtskonservativen Verband nationaldeutscher Juden an, der – groteskerweise – „den undeutschen Geist bekämpfte“. Zu Hause trug er oft eine grüne Mütze seiner Studentenverbindung. Anders als ihr Mann war Stefanie vollkommen offen und international gesinnt. Sie war charmant, kultiviert, belesen, zeichnete und malte, sprach fließend Französisch, kochte ausgezeichnet und war perfekt in allem, was sie unternahm.
1922 wurde Robert Philip („Bobby“) in Berlin geboren und am 8. Juli 1924 ebenfalls in Berlin Luisette Susanne. Die beiden Kinder, die sich sehr nahe standen, hatten ein Kindermädchen namens Selma Magen, die nach den Nazi-Gesetzen „Arierin“ war und die Familie Fabian besuchte so oft sie konnte, obwohl das für sie gefährlich war.
Fritz Fabian war nicht nur ein herzensguter Vater, sondern auch ein hervorragender Jurist und wirkte als Testamentvollstrecker. Während der Nazizeit sagte Stefanie häufig, sie wolle “lieber in Israel Toiletten putzen als noch eine Stunde länger in Deutschland zu bleiben”, weil sie das Schicksal ihrer Familie voraussah.
Ein Englischlehrer aus Roberts Schule bestand darauf, dass die Eltern beide Kinder nach England schicken sollten, um ihr Leben zu retten. Bobby wurde also 1936 im 14. Lebensjahr von seinen Eltern und seiner Schwester zum Bahnhof gebracht. Er erzählte später oft, wie er am Fenster des Zuges stand und winkte, als der Zug losfuhr – ohne jegliches Gefühl der Angst, der Trauer oder Zweifel seinen Eltern und seiner Schwester gegenüber zu empfinden. Er dachte damals nicht daran, dass er sie nie wiedersehen würde. Warum Luisette nicht gleichzeitig nach England geschickt wurde, ist nur damit zu erklären, dass die Eltern sich nicht von beiden Kindern zugleich trennen wollten.
Es wurde Fritz Fabian geraten, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen. Er weigerte sich aber mit seiner nationalen Gesinnung, die bedrohlichen antisemitischen Gesetze wahrzunehmen. Stefanie Fabian hatte trotz ihres Willens, aus Deutschland zu flüchten, nie die Möglichkeit dazu, weil ihr Mann es nicht zuließ und weil sie finanziell nicht dazu in der Lage gewesen wäre.
Stefanies Bruder Marcel Bachstez hatte schon seit drei Jahren eine neue Existenz in Mexico aufgebaut. Er bekam von Stefanie eine Postkarte aus der hervorging, dass sie bedroht waren. Daraufhin ging Marcels Tochter am selben Tag zur höchsten Behörde in Mexico, um sofort eine Einreiseerlaubnis für die ganze Familie zu erhalten. Diese wurde in 24 Stunden bewilligt, aber traf erst am 29. Oktober 1941 in Berlin ein, an dem Tag, an dem Fritz, Stefanie und Luisette Fabian von der SS abgeholt und nach Lodz deportiert wurden. Fritz Fabian hat die Strapazen der Deportation nicht überstanden und starb am 2. April 1942. Am 4. Mai 1942 sind Stefanie und Luisette Fabian aus dem Ghetto Lodz nach Chelmno weitertransportiert und dort ermordet worden. Luisette war noch nicht einmal 16 Jahre alt.
Robert Fabian, der diesem Schicksal entkommen war, blieb unverheiratet. Er ging von England in die USA, war ein begabter Künstler, der als Grafiker Erfolg hatte und lebte in New York. Dort arbeitete er eine Zeitlang mit Andy Warhol zusammen, dessen ihm ungenügend scheinende Entwürfe er wegwarf, ohne daran zu denken, dass diese Skizzen eines Tages viel wert seien könnten. Er lehrte später Graphic Art an der Universität Purchase.
Gabriella Mellen, geb. Bachstez, Tochter des Bruders von Stefanie Fabian, 93 Jahre alt, hat ihre Erinnerungen zur Familiengeschichte 2014 aufgeschrieben. Abschließend hat sie ihre Meinung über diese tragische Zeit in folgende Worte gefasst:
bq. Ich denke, dass wie in den Märchen bei der Geburt eines Kindes zwei Feen an der Wiege standen, eine gute und eine böse Fee. Die Deutschen sind überall als ein fleißiges, pünktliches und tüchtiges Volk bekannt – diese hohen Qualitäten sind von der bösen Fee ausgenutzt worden. Sie hat es ermöglicht, dank des Fleißes, der Pünktlichkeit und der Tüchtigkeit eine Fabrik des Mordes wie eine Mercedes-Benz-Fabrik zu führen. Dieses tragische und beschämende Kapitel gehört leider für immer zur deutschen Geschichte.
Gabriella Bachstez Mellen (Gencay, Frankreich)