Dieser Stolperstein wurde am 25.10.2011 verlegt und am 10.04.2024 erneuert.
Stolperstein Aschaffenburger Straße 24
Bild: köpenicker-strasse.de
Inzwischen hatte Tochter Toni den Zahnarzt Martin Cohn geheiratet, 1921 bekam sie ihre erste Tochter Hildelotte, 1924 die zweite, Susi. Sohn Gerhard studierte Medizin, 1925 erhielt er die Approbation und wurde als Internist Assistenzarzt am Virchow-Krankenhaus, 1929 dann Oberarzt. Er wohnte weiterhin in der Köpenicker Straße 36, entweder bei den Eltern oder in einer Wohnung im gleichen Haus.
1932 beschlossen Heinrich und Margarete in eine kleinere (4-Zimmer) Wohnung zu ziehen, in der Aschaffenburger Straße 24. Das Haus gehörte einem „Verein zur Errichtung von adeligen Damenheimen“, war wohl auch ein solches. Offenbar konnten aber auch nicht adlige Damen dort einziehen und auch deren Ehemänner. Vielleicht war der 70-jährige Heinrich Scherk schon krank, denn er starb kurz darauf, am 28. September 1933. Margarete blieb weiterhin Geschäftsführerin des Unternehmens.
Als Heinrich Scherk starb, war schon abzusehen, dass das Leben für Juden unter dem neuen Regime schwieriger werden würde. Nach dem Boykott vom 1. April blieben Kunden weg, andere wanderten schon aus. Gerhard wurde am Virchow-Krankenhaus entlassen. Er öffnete eine eigene Praxis in der Augsburger Straße 30, verlor aber bald aus rassischen Gründen die Kassenzulassung. Diskriminierung und Verfolgung von Juden nahmen spürbar zu und Gerhard, dessen Tochter Gabriele am 14. Juni 1935 zur Welt kam, entschloss sich auch zur Auswanderung. Am 27. Mai 1936 bestieg er mit Frau und Baby die „SS President Roosvelt“ Richtung USA.
Margarete blieb in Berlin. Schon im Januar 1936 hatte sie sich genötigt gesehen, das Geschäft an die nicht-Juden Emil Graunke und Erich Siebert zu verkaufen. Die Firma wurde in „Gebr. Scherk’s Papierhaus Graunke & Siebert“ umbenannt, möglicherweise hatten Graunke und Siebert schon davor in dem Unternehmen gearbeitet. Wie viel von dem Erlös von 74000 RM Margarete tatsächlich erhielt, ist ungewiss, Juden hatten bereits einen geschwächten rechtlichen Stand. Weitere diskriminierende Maßnahmen kamen zu den vorhandenen hinzu. Margarete musste ihr gesamtes Vermögen angeben, eine besondere Kennkarte beantragen, ihrem Vornamen musste sie „Sara“ beifügen, Pässe wurden mit einem „J“ gekennzeichnet. Nach den Pogromen von November 1938 wurde in kurzer Folge eine große Anzahl von Verordnungen erlassen, die Juden vollständig aus dem wirtschaftlichen und öffentlichen Leben ausschalten sollten. Margarete konnte nicht mehr frei über ihr Vermögen verfügen. Besuch von öffentlichen Veranstaltungen wie Theater, Kino u.ä. war ihr verboten, Verkehrsmittel konnte sie nur beschränkt benutzen, sie durfte zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Bannbezirken nicht auf die Straße, nur von 4 bis 5 Uhr nachmittags war ihr erlaubt einzukaufen, und anderes mehr. Juden mussten auch Wertgegenstände abliefern, Rundfunkgeräte wurden beschlagnahmt, Telefonanschlüsse gekündigt. Ab 19. September 1941 musste Margarete den Judenstern tragen.
Bereits am 12. November 1938 wurde Juden willkürlich eine „Sühneabgabe“ auferlegt von 25% ihres Vermögens, in vier Raten zu zahlen. Für Margarete belief sich eine Rate auf 1350 RM. 1941 wurde sie auch gezwungen, ihre Wohnung aufzugeben und fortan zur Untermiete bei Elsbeth Baerwald in der Uhlandstraße 63 zu wohnen. Vielleicht war dies erst der Auslöser für den Entschluss, doch auch auszuwandern. Am 29. Mai 1941 beantragte sie eine „steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung für Personen, die auszuwandern beabsichtigen“. Voraussetzung war die Zahlung einer „Abwanderungsabgabe“ von 747 RM, der sog. Reichsfluchtssteuer, die sie drei Tage zuvor entrichtet hatte.
Nun war es aber zu spät. Durch die vielen Sonderabgaben und Devisenauflagen für Juden waren Auswanderungspläne kaum noch finanzierbar. Die erneute Auswanderungswelle nach den Novemberpogromen hatte zudem Visums- und Schiffspassagenpreise in die Höhe getrieben, die Quoten der Aufnahmeländer waren schnell erschöpft, nach Kriegsbeginn waren fast alle Routen blockiert. Wir wissen nicht, welchen Weg Margarete – sicherlich mit Hilfe ihres Sohnes in den USA – im Sinn hatte. Am 23. Oktober 1941 wurden Ausreisen für Juden grundsätzlich verboten, Margarete Scherk war den Nationalsozialisten nun völlig ausgeliefert.
Ihr Schicksal wurde im August 1942 von diesen besiegelt: Margarete Scherk wurde in ein Sammellager gebracht und am 14. August 1942 mit 100 überwiegend alten und sehr alten Menschen, von denen nur drei überlebten, vom Anhalter Bahnhof in das Ghetto Theresienstadt deportiert, nachdem ihr noch vorhandener Besitz von den staatlichen Behörden eingezogen worden war.
In dem gleichsam zur Tarnung als „Altersghetto“ bezeichneten Lager Theresienstadt herrschten erbärmliche Lebensumstände. Die Menschen mussten Überfüllung, Hunger, Kälte und durch die unsäglichen hygienischen Bedingungen verursachte Krankheiten und Seuchen erdulden. Viele starben daran, andere wurden weiter in Vernichtungslager verschleppt und dort ermordet. Die 70-jährige Margarete ertrug das Lagerleben noch länger als ein Jahr, erlag ihm aber am 16. Dezember 1943.
Margaretes Tochter Toni und deren Mann Martin Cohn wurden im März 1943 festgenommen – vermutlich im Rahmen der „Fabrikaktion“, bei der alle noch in Zwangsarbeit stehenden Juden am Arbeitsplatz verhaftet werden sollten – , nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Kurz darauf wurde auch Margaretes Enkelin Hildelotte mit ihrem 1941 geheirateten Mann Helmut Gerson nach Theresienstadt deportiert. Enkelin Susi hatte noch 1939 mit einem Kindertransport Deutschland verlassen können. Hildelotte und Helmut Gerson überlebten Theresienstadt, aber Hildelotte starb 1947 an den Folgen des Lagerlebens. Für Toni und Martin Cohn und ihre Tochter Hildelotte liegen Stolpersteine vor dem Haus Niebuhrstraße 70. Helmut Gerson starb 1985. Gerhard Scherk konnte in New York noch einmal eine Karriere als Arzt starten.
Noch einen Monat vor Margarete wurde ihre letzte Vermieterin, Elsbeth Baerwald geb. Wiesenthal abgeholt und am 16. Juli 1942 nach Theresienstadt verschleppt. Vielleicht sahen sich die beiden Frauen dort. Elsbeth Baerwald wurde aber schon am 23. September 1942 weiter nach Treblinka deportiert und dort ermordet. Vielleicht konnte Margarete in Theresienstadt aber noch ihre Schwägerin Selma treffen, mit der sie seinerzeit das Familienunternehmen gemeinsam geführt hatte. Selma Scherk geb. Friedländer war am 28. Juli 1942 deportiert worden, starb aber in Theresienstadt schon am 16. September des Jahres. Auch Margaretes Schwager Alfred Scherk, einer der Brüder von Heinrich, wurde zusammen mit seiner Frau Lea geb. Spiro im Oktober 1942 deportiert und in Riga ermordet.
Heinrich und Rudolfs Unternehmen existierte noch 1949 weiter unter dem Namen „Druckerei Erich Siebert (vormals Gebrüder Scherk)“.
Recherche, Text: Micaela Haas.
Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Stolpersteine Niebuhrstraße 70
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