HIER WOHNTE
ELSE SCHWERIN
GEB. PARADIES
JG. 1896
DEPORTIERT 18.10.1941
LODZ
ERMORDET JUNI 1944 IN
KULMHOF
Else Schwerin wurde am 17. Juni 1896 als Else Paradies in Berlin geboren. Von Beruf war sie Fürsorgerin, heute würden wir sagen: Sozialarbeiterin. Bevor sie 1940 heiratete, war sie bis zum 2. November 1936 in der Geisbergstraße 41 und ab diesem Datum in der Sybelstraße 45 als Untermieterin bei Foerder gemeldet. Eine Frau dieses Namens („Foerder, M., Ww.“) war im Berliner Adressbuch bis 1938 eingetragen, danach jedoch nicht mehr. Über sie ist weiter nichts bekannt.
Es muss um diese Zeit gewesen sein, als Else Paradies einen in der Nähe wohnenden Mann kennenlernte: den in der Droysenstraße 18 wohnenden Arzt Walter Helmuth Schwerin, geboren am 25. Oktober 1890 in Gleiwitz. Er war 1937 oder 1938 dort eingezogen, in den Berliner Adressbüchern 1939 und 1940 war er als „Schwerin, W., Dr., Arzt a.D.“ und als „Schwerin, W., Dr., Privatier“ eingetragen. Walter Schwerin, der vorher schon einmal verheiratet war, und Else Paradies heirateten am 9. April 1940. Sie zog zu ihm in seine 5-Zimmer-Wohnung im Vorderhaus im ersten Stock.
Das Haus hatte in jenen Jahren eine bewegte Geschichte. Es gehörte bis 1939 Frau F. Weiß, die in der Darmstädter Straße 3 wohnte und nach Auskunft der heutigen Hausverwaltung Jüdin war. Zeitweise wohnten in dem riesigen Gebäude mit Seitenflügeln und Hinterhaus 44 jüdische Menschen, so viele waren es jedenfalls am Tag der Volkszählung, dem 17. Mai 1939. In der Wohnung von Walter Schwerin waren, als Else für kurze Zeit einzog, schon einige Untermieter gemeldet: Herr Lewin mit Tochter, Frau Stein, Frau Cohn sowie Dr. Fränkel und Frau.
1939 wurde Frau Weiß enteignet, neuer Eigentümer wurde der Fabrikant Hugo Frehse, der in Dahlem, Auf dem Grat 12, wohnte. Verwaltet wurde es von Gustav Schielke, Bergmannstraße 2. In der folgenden Zeit wurden die in dem Haus lebenden jüdischen Bewohner systematisch deportiert, allein 16 am 12. Januar 1943 nach Auschwitz. Die ersten waren Walter und Else Schwerin, die am 18. Oktober 1941 in den ersten vom Bahnhof Grunewald abgehenden Deportationszug nach Łódź/Litzmannstadt getrieben wurden.
Else Schwerin hatte durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 ihre Stellung als Fürsorgerin im Bezirk Lichtenberg verloren. Aus diesem Beschäftigungsverhältnis hatte sie Anspruch auf ein monatliches Ruhegehalt, das mit der amtlichen Begründung gestrichen wurde, dass „sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatte“, wie der Bezirksbürgermeister von Lichtenberg in einem Brief an die Oberfinanzdirektion das Ghetto-Dasein umschrieb.
In der umfangreichen Akte im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam findet sich ein Vermerk, der Einblicke in die Verfahrensweise der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) erlaubt, die sich wertvolles Eigentum von Juden planmäßig aneignete. Else Schwerin hatte nämlich geschrieben: „Fehlende Angaben kann ich wegen der Kürze der Frist nicht machen, besonders deshalb nicht, weil sich beim Spediteur Henze GmbH, Prenzlauerstr. 35 mein zollamtlich plombiertes Reisegepäck aus 3 Koffern und 4 Kisten bestehend befindet. Der Inhalt ist mir nicht genau bekannt, weil die Listen mehr Gegenstände enthalten als im Gepäck vorhanden.“
Es ist vorstellbar, dass sich das Ehepaar Schwerin auf den Aufenthalt in Łódź/Litzmannstadt einige Zeit vorbereiten konnte, denn, so schrieb Katja Zinn in ihrer Kurzbiografie über Walter Schwerin: „Die Nachfrage nach Ärzten war im Getto aufgrund der grassierenden Krankheiten, hervorgerufen durch Mangelernährung und katastrophale hygienische Zustände, stets hoch.“ Der Umfang des Gepäcks, das seit Mai 1940 bei einem Spediteur eingelagert worden war, und der Inhalt, darunter ein Medizininstrumentenschrank, kann ein Hinweis darauf sein. Dass sie aber wahrscheinlich getäuscht wurden und ihr Eigentum, vor allem die ärztlichen Geräte, nicht mehr zu Gesicht bekamen, ist einer Aufzeichnung der Oberfinanzdirektion Berlin-Brandenburg zu entnehmen: Bei einer Versteigerung am 1. Juni 1943 erzielte der Auktionator Paul B. Masurat insgesamt fast 10 000 Reichsmark.
Zu diesem Zeitpunkt waren beide noch am Leben. Katja Zinn nennt den vermutlichen Grund: „Vor allem Walter Schwerins Beruf verdankte das Ehepaar sein (vorläufiges) Verbleiben im Getto. Die meisten Berliner und die Mehrheit der anderen Deportierten aus dem „Altreich“ wurden bereits im Mai 1942 „ausgesiedelt“, d.h. in Kulmhof ermordet. Zwei Jahre später konnten aber auch Dr. Walter Schwerin und seine Frau Else diesem Schicksal nicht mehr entrinnen: Zwar verbirgt der Chronik-Eintrag vom 28. Juni 1944 mehr als er aussagt, doch mit heutigem Wissen muss man die Ermordung des Ehepaares Schwerins daraus lesen: „Zur Arbeit außerhalb des Gettos: Heute frühmorgens ging der III. Transport mit 803 Personen ab. Der mitfahrende Arzt ist Dr. Walter Schwerin, Berlin. Immerhin sind mit diesem Transport etwas weniger Personen gefahren als am 26. Ds. Mts.“ (Chronik 4/394)“.
Else Schwerin war schon am 18. Juni 1944 nach Chełmno/Kulmhof transportiert und dort ermordet worden. Der zu ihrem Gedenken gespendete Stolperstein wurde an der Sybelstraße 45 verlegt, auch wenn sie die letzten Monate vor ihrer Deportation 100 Meter entfernt in der Droysenstraße 18 wohnte.
Text und Recherche: Initiative Stolpersteine Charlottenburg-Wilmersdorf
Quellen: BLHA, Akten der OFD Berlin
Ingo Loose: Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941–1944. hrsg. von der Stiftung Topographie des Terrors. Berlin, 2009