Stolpersteine Sybelstr. 45

Hauseingang Sybelstr. 45, Foto: Bukschat&Flegel, 20.4.13

Hauseingang Sybelstr. 45, Foto: Bukschat&Flegel, 20.4.13

Die Stolpersteine für Kurt Waldberg und Else Schwerin wurden am 08.06.2009 verlegt.
Die Stolpersteine zum Gedenken an Walter und Anna Schreiber wurden in Anwesenheit zahlreicher Angehöriger und Freunde der Familie am 30.04.2013 verlegt.

Stolperstein für Kurt Waldberg

Stolperstein für Kurt Waldberg

HIER WOHNTE
KURT WALDBERG
JG. 1893
DEPORTIERT 13.1.1942
ERMORDET IN
RIGA

Kurt Waldberg wurde am 30. Januar 1893 in Kiew geboren. Über ihn ist nichts bekannt, es sind keine Akten mehr vorhanden. In der Sybelstraße 45 wohnte er am Tag der Volkszählung, dem 17. Mai 1945, als Untermieter bei Gordon. Dieser Name taucht jedoch in keiner erhaltenen Datei auf, also waren sie entweder keine Juden oder sind emigriert, jedenfalls sind sie nicht deportiert worden.
Am 13. Januar 1942 musste Kurt Waldberg aus dem Sammellager in der Synagoge Levetzowstraße 7–8 in Tiergarten, wo er sich registrieren lassen musste, rund sieben Kilometer durch bewohnte Stadtviertel zum Bahnhof Grunewald marschieren. Dort wurde er in einem aus Personenwagen 3. Klasse bestehenden Zug getrieben, der mit 1034 Menschen nach Riga fuhr. Der Zug traf am 16. Januar auf dem Bahnhof Skirotava ein. Fast alle Insassen wurden kurz nach der Ankunft erschossen. Nur 15 Menschen aus diesem Transport überlebten das Grauen der planmäßigen Massenvernichtung der Juden.

Stolperstein für Else Schwerin

Stolperstein für Else Schwerin

HIER WOHNTE
ELSE SCHWERIN
GEB. PARADIES
JG. 1896
DEPORTIERT 18.10.1941
LODZ
ERMORDET JUNI 1944 IN
KULMHOF

Else Schwerin wurde am 17. Juni 1896 als Else Paradies in Berlin geboren. Von Beruf war sie Fürsorgerin, heute würden wir sagen: Sozialarbeiterin. Bevor sie 1940 heiratete, war sie bis zum 2. November 1936 in der Geisbergstraße 41 und ab diesem Datum in der Sybelstraße 45 als Untermieterin bei Foerder gemeldet. Eine Frau dieses Namens („Foerder, M., Ww.“) war im Berliner Adressbuch bis 1938 eingetragen, danach jedoch nicht mehr. Über sie ist weiter nichts bekannt.
Es muss um diese Zeit gewesen sein, als Else Paradies einen in der Nähe wohnenden Mann kennenlernte: den in der Droysenstraße 18 wohnenden Arzt Walter Helmuth Schwerin, geboren am 25. Oktober 1890 in Gleiwitz. Er war 1937 oder 1938 dort eingezogen, in den Berliner Adressbüchern 1939 und 1940 war er als „Schwerin, W., Dr., Arzt a.D.“ und als „Schwerin, W., Dr., Privatier“ eingetragen. Walter Schwerin, der vorher schon einmal verheiratet war, und Else Paradies heirateten am 9. April 1940. Sie zog zu ihm in seine 5-Zimmer-Wohnung im Vorderhaus im ersten Stock.
Das Haus hatte in jenen Jahren eine bewegte Geschichte. Es gehörte bis 1939 Frau F. Weiß, die in der Darmstädter Straße 3 wohnte und nach Auskunft der heutigen Hausverwaltung Jüdin war. Zeitweise wohnten in dem riesigen Gebäude mit Seitenflügeln und Hinterhaus 44 jüdische Menschen, so viele waren es jedenfalls am Tag der Volkszählung, dem 17. Mai 1939. In der Wohnung von Walter Schwerin waren, als Else für kurze Zeit einzog, schon einige Untermieter gemeldet: Herr Lewin mit Tochter, Frau Stein, Frau Cohn sowie Dr. Fränkel und Frau.
1939 wurde Frau Weiß enteignet, neuer Eigentümer wurde der Fabrikant Hugo Frehse, der in Dahlem, Auf dem Grat 12, wohnte. Verwaltet wurde es von Gustav Schielke, Bergmannstraße 2. In der folgenden Zeit wurden die in dem Haus lebenden jüdischen Bewohner systematisch deportiert, allein 16 am 12. Januar 1943 nach Auschwitz. Die ersten waren Walter und Else Schwerin, die am 18. Oktober 1941 in den ersten vom Bahnhof Grunewald abgehenden Deportationszug nach Łódź/Litzmannstadt getrieben wurden.
Else Schwerin hatte durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 ihre Stellung als Fürsorgerin im Bezirk Lichtenberg verloren. Aus diesem Beschäftigungsverhältnis hatte sie Anspruch auf ein monatliches Ruhegehalt, das mit der amtlichen Begründung gestrichen wurde, dass „sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatte“, wie der Bezirksbürgermeister von Lichtenberg in einem Brief an die Oberfinanzdirektion das Ghetto-Dasein umschrieb.
In der umfangreichen Akte im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam findet sich ein Vermerk, der Einblicke in die Verfahrensweise der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) erlaubt, die sich wertvolles Eigentum von Juden planmäßig aneignete. Else Schwerin hatte nämlich geschrieben: „Fehlende Angaben kann ich wegen der Kürze der Frist nicht machen, besonders deshalb nicht, weil sich beim Spediteur Henze GmbH, Prenzlauerstr. 35 mein zollamtlich plombiertes Reisegepäck aus 3 Koffern und 4 Kisten bestehend befindet. Der Inhalt ist mir nicht genau bekannt, weil die Listen mehr Gegenstände enthalten als im Gepäck vorhanden.“
Es ist vorstellbar, dass sich das Ehepaar Schwerin auf den Aufenthalt in Łódź/Litzmannstadt einige Zeit vorbereiten konnte, denn, so schrieb Katja Zinn in ihrer Kurzbiografie über Walter Schwerin: „Die Nachfrage nach Ärzten war im Getto aufgrund der grassierenden Krankheiten, hervorgerufen durch Mangelernährung und katastrophale hygienische Zustände, stets hoch.“ Der Umfang des Gepäcks, das seit Mai 1940 bei einem Spediteur eingelagert worden war, und der Inhalt, darunter ein Medizininstrumentenschrank, kann ein Hinweis darauf sein. Dass sie aber wahrscheinlich getäuscht wurden und ihr Eigentum, vor allem die ärztlichen Geräte, nicht mehr zu Gesicht bekamen, ist einer Aufzeichnung der Oberfinanzdirektion Berlin-Brandenburg zu entnehmen: Bei einer Versteigerung am 1. Juni 1943 erzielte der Auktionator Paul B. Masurat insgesamt fast 10 000 Reichsmark.
Zu diesem Zeitpunkt waren beide noch am Leben. Katja Zinn nennt den vermutlichen Grund: „Vor allem Walter Schwerins Beruf verdankte das Ehepaar sein (vorläufiges) Verbleiben im Getto. Die meisten Berliner und die Mehrheit der anderen Deportierten aus dem „Altreich“ wurden bereits im Mai 1942 „ausgesiedelt“, d.h. in Kulmhof ermordet. Zwei Jahre später konnten aber auch Dr. Walter Schwerin und seine Frau Else diesem Schicksal nicht mehr entrinnen: Zwar verbirgt der Chronik-Eintrag vom 28. Juni 1944 mehr als er aussagt, doch mit heutigem Wissen muss man die Ermordung des Ehepaares Schwerins daraus lesen: „Zur Arbeit außerhalb des Gettos: Heute frühmorgens ging der III. Transport mit 803 Personen ab. Der mitfahrende Arzt ist Dr. Walter Schwerin, Berlin. Immerhin sind mit diesem Transport etwas weniger Personen gefahren als am 26. Ds. Mts.“ (Chronik 4/394)“.

Else Schwerin war schon am 18. Juni 1944 nach Chełmno/Kulmhof transportiert und dort ermordet worden. Der zu ihrem Gedenken gespendete Stolperstein wurde an der Sybelstraße 45 verlegt, auch wenn sie die letzten Monate vor ihrer Deportation 100 Meter entfernt in der Droysenstraße 18 wohnte.

Text und Recherche: Initiative Stolpersteine Charlottenburg-Wilmersdorf
Quellen: BLHA, Akten der OFD Berlin
Ingo Loose: Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941–1944. hrsg. von der Stiftung Topographie des Terrors. Berlin, 2009

Stolperstein Walter Schreiber, Foto: F. Siebold, April 2013

Stolperstein Walter Schreiber, Foto: F. Siebold, April 2013

HIER WOHNTE
WALTER SCHREIBER
JG. 1884
‚SCHUTZHAFT‘ 1938
SACHSENHAUSEN
DEPORTIERT 2.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Walter Josef Schreiber kam am 16. November 1884 als viertes von sechs Kindern und einziger Sohn des Kaufmanns Benjamin Schreiber und seiner Ehefrau Emma Schreiber, geborene Eichelbaum, in Königsberg/Ostpreußen zur Welt, wo er aufwuchs.
Er verlor er seine erste Ehefrau Aranka Schreiber, geb. Samoje, geboren am 28. Oktober 1889 in Nagykanizsa, gestorben am 20. April 1921 in Berlin, bereits in jungen Jahren. Mit seiner zweiten Ehefrau Anna Springer , geboren in Stettin am 1. März 1900, hatte er einen Sohn, der im September 1923 geboren wurde. Bis zum 1.4.1937 lebte die Familie in der Sybelstraße 45 in Charlottenburg. Die letzte Wohnung vor der Deportation Anna und Walter Schreibers war die Sächsische Straße 9 in Wilmersdorf, wo zu ihren Nachbarn bis 1939 die Familie Fröhlich gehörte (siehe u. a. Peter Gay: Meine deutsche Frage. Jugend in Berlin 1933-1939).

Dokumentiert ist, dass Walter Schreiber am 1.9.1909 in den Bankdienst in Berlin eintrat und zunächst bis 3.4.1932 für die „Darmstädter und Nationalbank“ arbeitete. Ab 1913 bekleidete er die Funktion eines Depositenkassen-Vorstehers. Seit November 1921 war ihm die Mitleitung der Depositenkasse Jerusalemer Straße anvertraut. Vom 4.4.1932 an wurde er bei der Dresdner Bank als Vorsteher der Depositenkasse 64 (Abkürzung: Depka) geführt. Die Depka 64 befand sich zunächst am Hausvogteiplatz, zog aber später in die Charlotten-/Ecke Kronenstraße um.

Anna and Walter Schreiber bemühten sich spätestens ab Juli 1936 um Auswanderung und suchten nach Möglichkeiten, in die USA, nach England, Südamerika, Neuseeland oder Südrhodesien einzureisen. Im Zuge der Verdrängung von Angestellten jüdischer Herkunft wurde Walter Schreiber zunächst am 30.9.1937 von der Dresdner Bank vorzeitig „in den Ruhestand versetzt“ und dann am 31.3.1938 mit einer sehr geringen Monatszahlung pensioniert, womit die wirtschaftliche Existenzgrundlage vernichtet war und die noch mögliche Emigration der Familie Schreiber verhindert wurde.

Um den Schein von Normalität zu wahren, bescheinigten der Betriebsführer und der Personalchef der Dresdner Bank, beide für Walter Schreibers Entlassung verantwortlich, in einem Referenzschreiben: „Wir haben Herrn Schreiber während seiner langjährigen Dienstzeit als einen intelligenten, umsichtigen und in allen Sparten des Bankgeschäfts versierten Bankkaufmann kennengelernt. Gewandt im Verkehr mit der Kundschaft, sicher im Auftreten hat er die Interessen unseres Institutes jederzeit bestens wahrgenommen. Zusammenfassend bestätigen wir Herrn Schreiber gern, dass seine Bestrebungen den Kreis unserer Kunden zu vergrößern, von Erfolg begleitet gewesen sind und dass er sich sowohl durch seine Leistungen als auch durch seine Führung die volle Anerkennung der Bankleitung erworben hat. Berlin, den 30. September 1937, Dresdner Bank, gez. Schippel gez. Haebelein.“

Walter Schreiber mit Sohn um 1939 (Privatfoto mit Genehmigung der Nachfahren)

Walter Schreiber mit Sohn um 1939 (Privatfoto mit Genehmigung der Nachfahren)

Offenkundig seine verzweifelte Situation spürend, schrieb Walter Schreiber am 24.11.1938 an seinen Cousin in Neuseeland, der sich um Einreisepapiere für die Familie Schreiber bemühte. „Bei dem Empfang eines jeden Briefes von Verwandten aus Deutschland wirst Du wahrscheinlich sagen, was will der schon wieder von mir! Für diesen Gedankengang habe ich das vollste Verständnis.“ Am 10.11.1938 kam Walter Schreiber bei den Aktionen der Novemberpogromnacht ins KZ Sachsenhausen in „Schutzhaft“ und wurde sechs Wochen festgehalten, bis er am 21.12.1938 entlassen wurde. „Die einzige Hoffnung, die uns bleibt, ist dort einwandern zu können, und wenn das nicht glückt, weiß ich nicht, was aus uns werden soll“, schrieb Annie Schreiber am 15.12.1938 an denselben Cousin, während sie auf die Entlassung ihres Mannes wartete. Doch das Customs Department in Wellington lehnte die Einreise der Familie ohne Begründung ab.

Telegramm: REGRET PERMIT REFUSED, Privatbesitz

Telegramm: REGRET PERMIT REFUSED, Privatbesitz

Der letzte Eintrag in der Akte des Cousins war ein vom 24.2.1939 datiertes Telegramm „REGRET PERMIT REFUSED“ („Bedauere Erlaubnis abgelehnt“). Auch Walter Schreibers Bemühungen, mit Frau und Sohn nach Shanghai auszureisen, wie von Peter Gay in seinen Memoiren beschrieben wurde, blieben erfolglos.

Der 15-jährige Sohn von Walter und Anna Schreiber war zuletzt Schüler der Dr.-Leonore- Goldschmidt-Schule, bis er am 19. Juni 1939 mit einem Kindertransport nach England aus Deutschland fliehen konnte. Nach Stationen in London und Cheltenham wurde der inzwischen 16-Jährige nach Kriegsbeginn für einige Zeit als „feindlicher Ausländer“ auf der britischen Isle of Man interniert.

Ab 1.9.1941 verrichtete Walter Schreiber Zwangsarbeit als Metallarbeiter in den Deuta Werken (Deutsche Tachometerwerke), Oranienstraße 25, Anna Schreiber als Montiererin im Charlottenburger Motoren- und Gerätebau in der Potsdamer Straße 98.

Stolperstein Anna Schreiber, Foto: F. Siebold, April 2013

Stolperstein Anna Schreiber, Foto: F. Siebold, April 2013

HIER WOHNTE
ANNA SCHREIBER
GEB. SPRINGER
JG. 1900
DEPORTIERT 1.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Einen Tag vor ihrem Mann wurde Anna Schreiber in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 gebracht und an ihrem 43. Geburtstag am 1. März 1943 nach Auschwitz mit einem von den Nazibehörden als 31. Transport aufgelisteten Zug vom Güterbahnhof an der Putlitzbrücke in Moabit nach Auschwitz deportiert, von wo sie nicht zurückkehrte.
Walter Schreiber wurde in das Sammellager Levetzowstraße 7-8 gebracht und mit dem von den Nazis so genannten 32. Transport am 2. März.1943 vom Bahnhof Moabit in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Ebenfalls mit dem 32. Transport wurden Walter Schreibers Cousine Erna Ruben, geb. Loewi, und ihr Ehemann Martin Ruben deportiert, für die Stolpersteine in der Dahlmannstraße 10 liegen.

Die letzte Nachricht über den Verbleib der Eltern erhielt der Sohn über das Rote Kreuz im Februar 1943. Der 31.12.1943 wurde vom Amtsgericht Charlottenburg laut Beschluss vom 6.7.1951 als Todestag für seine Eltern festgelegt.
An dieser Stelle soll an Walter Schreibers ermordete Geschwister und ihre Ehepartner erinnert werden (von Benjamin und Emma Schreibers sechs Kindern wurden drei Kinder ermordet):
Frida Schreiber, geboren am 2. Februar 1883 in Königsberg, ums Leben gekommen am 7. November 1944 im KZ Theresienstadt sowie ihr Ehemann Dr. med. Kurt Schreiber, geboren am 20. Februar 1872 in Danzig, ums Leben gebracht am 13. November 1942 ebenfalls im KZ Theresienstadt als auch Elisabeth Herbst, geb. Schreiber, geboren am 16. September 1880 in Königsberg, ermordet am 13. Januar 1943 im KZ Auschwitz. Zum Gedenken an Elisabeth Herbst liegt ein Stolperstein an der Mommsenstraße 4 .

Recherche und Text: Nachfahren der Familien Schreiber und Eichelbaum
Mit Dank an Sigrun Marks von der Stolpersteininitiave Stierstraße, Berlin-Friedenau