HIER WOHNTE
GUSTAV POSNER
JG. 1885
VOR DEPORTATION
FLUCHT IN DEN TOD
28.8.1942
Dr. Gustav Posner, seine Frau Margarete und seine Schwester Elsa wohnten seit 1934 in der Sybelstraße 44, wo sie in der 2. Etage des Vorderhauses eine geräumige Wohnung gemietet hatten.
Alle drei entzogen sich der Deportation durch Selbstmord, nachdem drei Mitbewohner des Hauses und andere Nachbarn schon abgeholt und sie selbst darauf vorbereitet worden waren. Als Elsa Posner am 25. August 1942 das Formular der allen Juden abverlangten „Vermögenserklärung“ vorgelegt wurde, wusste sie, was ihr bevorstand. Auf die Frage „Welche Familienangehörigen wandern mit aus?“ trug sie in feiner Schrift mit Füllfederhalter ein: „Alle drei.“ Sie muss es gewusst haben: Ihr zwei Jahre jüngerer Bruder setzte seinem Leben drei Tage danach ein Ende, sie selbst im Alter von 58 Jahren zwei Tage später und ihre sieben Jahre jüngere Schwägerin folgte noch einen Tag darauf.
Am 5. September 1942 verfügte die geheime Staatspolizei (Gestapo), das Vermögen der Posners einzuziehen. Der bearbeitende Beamte Dr. Venter vermerkte: „Die Schlüssel befinden sich auf dem 128. Polizeirevier.“ Erst am 9. März 1943 wurde die Wohnung ausgeräumt. In den vorliegenden Schriftstücken werden die Selbstmorde nicht erwähnt. In einem Fall formulierte die Dresdener Bank, wo Alfred Posner sein Konto und seine Wertpapiere hatte: „Posner ist angeblich am 28. August 1942 verstorben.“
Der Hausbesitzer Willi Schaffelhauer, der sein Büro für Grundstücke, Hypotheken und Hausverwaltungen in der Augsburger Straße 18 hatte, bemühte sich eifrig um Mietnachzahlungen, die er nach den Deportationen aus seinem Haus beanspruchte. Nach seiner Rechnung standen ihm 697,30 RM zu, die er nun vom Staat einzutreiben versuchte. „Ich bitte höflich um baldgefällige Ueberweisung des Betrages. Heil Hitler. gez. Unterschrift“, schrieb Schaffelhauer unterwürfig an die Oberfinanzbehörde. Später, am 22. Februar 1944, als er sein Geld immer noch nicht hatte, klagte er: „Durch Feindeinwirkung ist mein Büro total zerstört. Ich besitze keinerlei Unterlagen mehr.“
Tatsächlich gab es von den Posners allerlei zu holen. Offenbar waren sie recht begütert, wie sich den von ihnen selbst angefertigten Vermögensaufstellungen entnehmen lässt. Auf einen gewissen Wohlstand weisen auch das Mobiliar und Gegenstände hin, die in den Inventarlisten seitenlang aufgeführt sind. Gustav Posner besaß demnach unter anderem „1 Ruhebett, 9 Stühle, 2 Brücken, 13 Kissen“, bei Elsa Posner wurden „ein Ankleideschrank aus Nussbaum mit Außenspiegel, eine Waschtoilette mit Marmorplatte“ registriert sowie „ca. 150 Bücher ohne Bedeutung“. Für die gesamte Einrichtung wurde ein Wert von 1370 RM ermittelt. Ein angehefteter Zettel enthält die „Gebührenberechnung für die Schätzung der Judenhabe“ in Höhe von 30,65 RM. Am 3. März 1943 wurde die Wohnung von der Möbelfirma Haberer, Alexanderstraße 19, leergeräumt.
Aus Dokumenten der Dresdner Bank geht hervor, dass Gustav Posner zwei Anleihen der Wladikawkas Eisenbahn im Wert von 3500 RM und eine Anleihe der Eisenbahn Moskau-Kiew-Woronesh über 2000 RM im Depot hatte. Seine Schwester Elsa, die ledig war und als Beruf „Haushaltshilfe bei Jenny Gerson-Gidsun, Kulmbacher Straße 5“ angab, hatte bei der Deutschen Bank Wertpapiere über 2400 Reichsmark, 10 000 ungarische Forint und 100 britische Pfund verwahrt. Diese als Altersvorsorge gedachten Geldmittel wurden, wie die NS-Finanzbehörden damals formulierten, „zu Gunsten des Deutschen Reiches eingezogen“, also geraubt. Eine Familie namens Gerson-Gidsun ist weder unter dieser Adresse noch in den Registern der Volkszählung von 1939 in Berlin zu finden.
Ein Zimmer war an Martin Rosenbaum teilmöbliert für 70 RM im Monat untervermietet. In den Unterlagen, die beim Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam einzusehen sind, findet sich ein Brief Rosenbaums an den Oberfinanzpräsidenten vom 7. Dezember 1942. Nach den Selbstmorden seiner Vermieter wollte er „folgende Gegenstände erwerben: 1 Teppich, 1 Tisch, 2 Stühle, 2 Sessel“ sowie aus der Küche „1 Tisch und 2 weiße Stühle“. Höflich bat Rosenbaum, ihm den Preis mitzuteilen. Als Antwort erhielt er die kühle Verfügung: „Der Verkauf von Mobiliar von Nichtariern an einen Nichtarier ist unzulässig. Ich kann Ihrem Antrag daher nicht entsprechen.“
Über Martin Rosenbaum gibt es einen Vermerk der Gestapo vom 3.2.1943, er sei „inzwischen ebenfalls ausgebürgert“. Dieses Datum legt nahe, dass es sich um Martin Rosenbaum, geboren am 14. Oktober 1882 in Schönlanke (Kuznica Czarnikowska), handelt, der nach einer Haft in Sachsenhausen am 29. Januar 1942 nach Auschwitz deportiert wurde.
Recherche und Text: Helmut Lölhöffel