HIER WOHNTE
KURT GUSTAV MAY
JG. 1926
DEPORTIERT 15.8.1942
RIGA
ERMORDET 18.8.1942
Biographie Markus Max, Cäcilie und Kurt Gustav May, Bayerische Str. 4.
Markus May, genannt Max, wurde am 1. Februar 1877 in Osthofen, Kreis Worms, in Hessen geboren.
Seine zweite Ehefrau, Cäcilie May, geboren am 20. Januar 1892 als Cäcilie Rosenberg, stammte aus Usingen/Hessen-Nassau. Die beiden heirateten am 1. September 1921 in Usingen. Ihr gemeinsamer Sohn, Kurt Gustav, kam am 15. Oktober 1926 in Berlin zur Welt. Einen älteren Sohn hatte Markus May aus erster Ehe, Alfred Siegmund, genannt Fred, geb. 26. März 1913.
Gemeinsam mit seinen Brüdern Ludwig (geb. 1875) und Siegfried (geb. 1885) war Markus May Mitinhaber der Firma S. May und Söhne in Osthofen, Rheinhessen, einem namhaften Weingroßhandel mit Branntweinbrennerei, von ihrem Vater Sigmund May gegründet als „Dampfbrennerei und Likörfabrik Siegmund May und Söhne Worms-Osthofen“. Die Familie gehörte zu den bekanntesten Juden in Worms.
Für 700.000 Reichsmark, vermutlich als Geldanlage, erwarb Markus May 1918 zusammen mit seinem Bruder Ludwig das 440 große Gut Rehfelde bei Strausberg in Brandenburg von dem Berliner Architekten Hans Toebelmann. Mit seiner Familie lebte er auf dem Gut als Verwalter und baute von dort aus ein Vertriebsnetz auf für die Osthofener Weine, die seine Brüder anbauten. Zu seinen Kunden zählten Großgrundbesitzer und Adel aus Politik und Wirtschaft in der Mark Brandenburg, in Pommern, Schlesien, West- und Ostpreußen. In den 20er Jahren lebte er mit seiner neuen Familie im Sommer eher in Rehfelde und im Winter in Berlin, bis 1938 in der Brandenburgischen Straße 25, auch nach Osthofen fuhr er immer wieder aus geschäftlichen Gründen. Infolge des wachsenden Antisemitismus auf dem Lande hielt sich die Familie Ende der zwanziger/Anfang der dreißiger Jahre immer mehr in Berlin auf, 0als ab 1933 jüdische Geschäfte im ganzen Reich boykottiert wurden, brach das Geschäftsleben sowohl in
Osthofen wie auch auf Gut Rehfelde massiv ein. Händler annullierten ihre Aufträge und bezahlten die Rechnungen nicht mehr, neue Bestellungen blieben aus und es gab Anfeindungen und Klagen gegen beide Betriebe wegen angeblicher jüdischer Machenschaften. Weder den Weinhandel noch das Gut, das verschuldet war, konnte die Familie retten.
1935 wurde dem bis 1933 erfolgreichen Wormser Unternehmen, das alle May-Familien ernährt hatte, die Lizenz entzogen. Im Auftrag der Familie löste der langjährige Prokurist 1937 die Firma auf und verkaufte den restlichen Warenbestand, den Firmensitz und sämtliche Liegenschaften in Hessen, damit der verbliebene Erlös noch der Familie zugutekam. Für Gut Rehfelde wurde vom Amtsgericht Rüdersdorf die Zwangsversteigerung angeordnet. Ob der Erlös für die durch den Geschäftsrückgang aufgelaufenen Schulden bei der Deutschen Bank verwendet wurden oder anderen Behörden zufielen, lässt sich nicht mehr klären. Die Zwangsversteigerung, so eine Meinungswiedergabe in den „Niederbarnimer Nachrichten“, lag durchaus im Interesse der Behörden, der Hof und die Ländereien sollten wieder in deutsche Hände überführt werden. Schließlich wurde die Aufsicht über das Gut dem Kreisbauernführer übertragen. Vorübergehend wurde Markus May 1937 in Schutzhaft genommen, das Gut noch im
selben Jahr versteigert.
Markus, Cäcilie und Kurt Gustav lebten jetzt ausschließlich in Berlin, in der Bayerischen Straße 4, im Erdgeschoss links. Markus verdiente den Lebensunterhalt für die Familie als Arbeiter in der „Akkumulatoren Fabrik in Berlin-Steglitz“. Inzwischen, 1936, war Markus Mays Sohn Alfred, der mit ihm auf Gut Rehfelde gearbeitet hatte, nach London emigriert. 1940 flüchtete Markus‘ Bruder Ludwig in die USA, dessen Tochter war bereits 1936 nach Uruguay emigriert. Auch Siegfried, der jüngste Bruder, hatte 1939, nach einer Haftstrafe im KZ Buchenwald, das Land verlassen und war mit seiner Frau Eugenie nach Uruguay emigriert, wohin auch sein Sohn bereits 1938 geflüchtet war. Warum Markus und seine Frau Cäcilie mit Kurt Gustav nicht ebenfalls dem Beispiel der Brüder und des Sohnes Alfred gefolgt waren, ist nicht bekannt.
Ab 1941 war es Juden verboten auszuwandern. Am 13. August 1942 musste Markus May eine 16seitige “Vermögenserklärung” ausfüllen. Am Tag danach musste sich die dreiköpfige Familie, Markus und seine Frau Cäcilie im Sammellager Levetzowstraße einfinden, auch der 16jährige Kurt Gustav, über den wir leider gar keine Informationen finden konnten. Mit dem 18. sog. Osttransport wurden sie am 15. August nach Riga deportiert. Über Küstrin, Kreuz und Schneidemühl, Königsberg, also über ihren ehemaligen Besitz, ihre Felder und Ländereien und die Bahnhofsstation Rehfelde führte sie die „preußische Ostbahn“-Verbindung bis Riga. Vermutlich wegen Überfüllung des Ghettos Riga wurden sie drei Tage später, direkt nach ihrer Ankunft am Rigaer Bahnhof Skirotova, mit weiteren 1000 Menschen aus diesem Transport in den Wäldern von Rumbula und Bikernicki erschossen.
Nach ihrer Deportation wurde in ihre Wohnung in der Bayerischen Straße 4, aus der der gesamte Besitz, Möbel, Kleidung und vieles mehr auf Anweisung der Behörden von Gebrauchtwarenhändlern verkauft worden war, ein neuer jüdischer Hauptmieter eingewiesen, Hans Levy-Barley, geb. 1897 in Berlin. 1943 wurde auch er deportiert und in Auschwitz ermordet. Hauseigentümer war Walter Liepe in Magdeburg, in den Entschädigungsakten findet sich einige Korrespondenzen zwischen ihm und den Berliner Behörden zu nicht vollständig bezahlten Mieten von zwangsweise als Untermieter zugewiesenen jüdischen Bewohnern. Die ausstehenden Mietzahlungen forderte der Hauseigentümer von der Vermögensverwertungsstelle bei der Oberfinanzdirektion ein.
Markus May hatte die Miete bis Ende August 1942 bereits bezahlt.
Noch vorhandene Guthaben und Depots, auch von Cäcilie, wurden lt. Entschädigungsakte von der Deutschen Bank 1943 und 1944 zugunsten der Deutschen Reichsbank Berlin aufgelöst.
1943 forderte die Oberfinanzdirektion von Markus May, zu diesem Zeitpunkt aktenkundig „evakuiert“, die nicht bezahlte Einkommenssteuer (rückwirkend für 1942) ein. Da waren er und seine Familie bereits ein Jahr deportiert und tot.
In den 50er Jahren bemühte sich Markus Mays Sohn Alfred aus seinem Londoner Exil, in einem langen Verfahren mit den deutschen Behörden, um eine Entschädigung für seinen ermordeten Vater.
Von Cäcilie wissen wir nur, dass sie eine Nichte hatte, Liselotte Marshall, die aufgrund einer langwierigen Krankheit ihre Kindheit in der Nazizeit in einem Schweizer Sanatorium verbracht und so überlebt hatte, während ihren Eltern die Flucht in die USA gelungen war. Liselotte lebte später in den USA und in England und starb 2017 mit 93 Jahren in Usingen, wo für sie ein Stolperstein liegt. Die drei Stolpersteine für Markus, Cäcilie und Kurt Gustav wurden von Cäcilies Großneffen beauftragt.
Biografie: Gisela Just
Quellen:
Bundesarchiv/Gedenkbuch
Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) / Entschädigungsakten
Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA)
Yad Vashem
Rehfelde. Ein Dorf auf dem Barnim. Von Erika und Gerhard Schwarz. Hentrich & Hentrich Verlag Berlin 2013. ISBN 978-3-95565-0208-5. Mit detaillierten Quellenangaben.
Zur Auswanderung der Eltern von Liselotte Marshall: Liselotte Marshall. „Die verlorene Sprache“. Roman. Die Frau in der Gesellschaft. Herausgegeben von Ingeborg Mues. Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, 1997.