Stolpersteine Xantener Straße 20

Hauseingang Xantener Str. 20, 25.08.2012

Hauseingang Xantener Str. 20, 25.08.2012

Der Stolperstein für Ellen Cahen wurde am 12.05.2006 verlegt.

Der Stolperstein für Frida Levy wurde von der Frida-Levy-Gesamtschule, Essen, gespendet und am 24.07.2012 verlegt.

Der am 15.10.2013 verlegte Stolperstein für Martha Mährenstein wurde
gespendet von Doron Golschiener und Familie (K. Tivon, Israel), Ruth Haim geb. Golschiener und Familie (Kfar Masarik, Israel) sowie Miriam Cohen-Avichai geb. Golschiener und Familie (K. Motzkin, Israel).

bq. Der Erinnerung an alle jüdischen Kinder, Frauen und Männer, die durch die Nazis grausam ermordet worden, und dem Andenken an meine seligen Eltern Jochanan (Hans) und Lea (Charlotte) Golschiener, die noch rechtzeitig nach Israel flüchten konnten, widmen wir diesen Stolperstein für Martha Mährenstein,

sagte Doron Golschiener anlässlich der Verlegung, zu der er mit seiner Tochter Iris und seinem Sohn Rouven nach Berlin kam.

Stolperstein Ellen Cahen, 25.08.2012

Stolperstein Ellen Cahen, 25.08.2012

HIER WOHNTE
ELLEN CAHEN
GEB. PLAUT
JG. 1886
DEPORTIERT 1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Ellen Cahen geb. Plaut, geboren am 27. Mai 1886 in Berlin, wohnte in der Xantener Straße 20. Zeitweise, jedenfalls bei der Volkszählung am 17. Mai 1939, war sie auch in der Wohnung ihrer Mutter Ernestine Plaut und ihrer Schwester Hanna Plaut in der Pariser Straße 18 registriert, nach einer Zusatzbemerkung der Polizei war sie „gemeldet als Ellen Plaut“, also mit ihrem Mädchennamen.

Sie wurde zunächst in die Sammelstelle im ehemaligen jüdischen Altersheim an der Großen Hamburger Straße 26 verschleppt und am 19. Februar 1943 nach Auschwitz deportiert und dort im März 1943 ermordet.

Ihre Mutter Ernestine Plaut geb. Löwenthal und ihre Schwester Hanna Plaut, mit denen sie zeitweise zusammen gewohnt hat, waren am 18. Juni 1942 nach Theresienstadt deportiert worden. Ernestine Plaut ist am 9. Juli 1942 im Alter von 78 Jahren ums Leben gebracht worden, die Tochter Hanna wurde am 18. Mai 1944 nach Auschwitz weiterdeportiert und dort umgebracht. Zu ihrem Gedenken wurden ebenfalls Stolpersteine verlegt.

Text: Helmut Lölhöffel. Quellen: Bundesarchiv, Adressbücher, Melderegister, Archiv Theresienstadt.

Stolperstein Frida Levy, 25.08.2012

Stolperstein Frida Levy, 25.08.2012

HIER WOHNTE
FRIDA LEVY
GEB. STERN
JG. 1881
DEPORTIERT 25.1.1942
ERMORDET IN
RIGA

Frida Levy, geb. Stern, wurde am 18. Dezember 1881 in Geseke (Westfalen) geboren. 1901 heiratete sie den Rechtsanwalt Dr. Fritz Levy aus Wuppertal-Elberfeld. Das junge Paar zog nach Essen. Ihre vier Kinder wurden in den Jahren 1906 bis 1918 geboren. Ab 1907 wohnte die Familie in einer großzügigen Villa an der Moltkestraße 28. Das Haus wurde in den nächsten 25 Jahren eine zentrale Anlaufstelle für junge Künstler und Intellektuelle. Einmal im Monat war „Offenes Haus“, eine Art bürgerlicher Salon: Schriftsteller lasen, Vorträge wurden gehalten, Diskussionen über Kunst und Politik geführt.

Frida Levy engagierte sich vor dem Ersten Weltkrieg intensiv in der Frauenbewegung. Einerseits leistete sie im Verein Frauenwohl in Essen Sozialarbeit, kümmerte sich in der Rechtsschutzstelle um Arbeiterfrauen, um Unterhaltszahlungen durchzusetzen, vertrat die Frauen in arbeitsrechtlichen Fragen und Mietstreitigkeiten, schrieb Armengesuche und andere Behördenbriefe. Andererseits arbeitete sie im Vorstand des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht. Im Verein mit berühmten Frauenrechtlerinnen wie Anita Augspurg und Minna Cauer kämpfte sie für das Frauenwahlrecht und gegen das reaktionäre Dreiklassenwahlrecht in Preußen.

Nach dem Ersten Weltkrieg engagierte sie sich im „Internationalen Frauenverband für Frieden und Freiheit“. Sie hielt Vorträge vor Jugendlichen über gesellschaftlich tabuisierte Fragen wie „Sexualprobleme in der Jugendbewegung“, „Bub und Mädel in der Arbeiterbewegung“, „Jugend und Alkohol“.

Bereits während der Weimarer Republik attackierte die nationalsozialistische Presse heftig ihren Mann, der als Anwalt Arbeiter und Gewerkschafter vertrat. Nach der Machtübertragung am 30. Januar 1933 wurde die Familie Levy aufgrund ihrer jüdischen Herkunft innerhalb weniger Wochen zum Opfer und zur Zielscheibe der neuen Machthaber. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar wurde Fritz Levy in „Schutzhaft“ genommen, weil er laut die Vermutung äußerte, dass die Nationalsozialisten den Reichstag selbst in Brand gesteckt hätten. Wegen einer bereits weit fortgeschrittenen Erkrankung, die drei Jahre später zu seinem Tod führte, wurde er zwar nach acht Tagen wieder freigelassen. Er musste aber seine Heimatstadt mit seiner Frau binnen weniger Tage verlassen. Frida und Fritz Levy zogen nach Wuppertal.

Frida Levy

Frida Levy

Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1936 ging Frida Levy nach Berlin, wo ihre Tochter Hanna bis 1933 studiert hatte und dann als Kindermädchen arbeitete. Zunächst wohnte sie mit ihrem Schwiegersohn Walter Herz und ihrer Tochter Hanna in der Eislebener Straße 7. Hanna und ihr Mann Walter Herz wurden unmittelbar nach dem Umzug der Mutter wegen „staatsfeindlicher Bestrebungen“ verhaftet und zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. Völlig auf sich allein gestellt – die drei anderen Kinder waren mittlerweile nach Palästina und Schweden emigriert – führte Frida Levy die Korrespondenz für ihre Tochter und ihren Schwiegersohn (Gefangene durften nur Angehörigen schreiben) und stellte für sie den Kontakt zur Außenwelt her.

Vermutlich 1938 oder zu Beginn des Jahres 1939 zog Frida Levy in die Xantener Straße 20 und war hier bei der Familie Rothmann in der 1. Etage polizeilich gemeldet. Als die Tochter im Frühjahr 1939 freigelassen worden war, sorgte Frida dafür, dass Hanna nach Schweden flüchten konnte. Nach dem Überfall auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde der Schwiegersohn Walter Herz in ein Konzentrationslager eingeliefert. Frida bemühte sich weiter um seine Freilassung. Vergeblich: Walter Herz wurde von den Nationalsozialisten umgebracht.

Deutsche und ausländische Freunde versuchten, Frida zur Emigration zu überreden. Als dies nicht mehr möglich war, wurde ihr ein Versteck angeboten, um der drohenden Deportation zu entgehen. Am Silvestertag 1941 schrieb sie an ihre Tochter Hanna nach Schweden: „Ein schweres, ereignisreiches Jahr für uns alle, für die ganze Welt… Bleibt gesund und hoffnungsstark, über Kummer und Sorgen hinaus. Und ich verspreche Euch, meine letzte Kraft zu sammeln, um vielleicht irgendwann und wo noch einmal mit Euch vereinigt zu sein. Ich war in diesen Wochen fast entschlossen, dem Schwersten aus dem Wege und lieber zu Vater zu gehen.“ Sie entschied sich nicht zu fliehen und nicht den Freitod zu wählen. Sie wurde am 25. Januar 1942 bei eisigem Frost vom Bahnhof Grunewald in einem Güterzug mit 1044 Menschen nach Riga deportiert. Alle Insassen, die meisten waren nach fünf Tagen Fahrt durch die Kälte erfroren, wurden gleich nach der Ankunft auf dem Bahnhof Riga-Skirotava erschossen. Von ihr gibt es keine Spur mehr. Vor ihrer letzten Wohnung an der Xantener Straße 20 in Wilmersdorf wird mit einem Stolperstein ihrer gedacht.

Im Jahre 2001 fasste die Gesamtschule Essen-Mitte nach intensiven Diskussionen mit großer Mehrheit den Beschluss, ihrer einstigen Schule den Namen „Frida-Levy-Gesamtschule“ zu geben: www.frida-levy-gesamtschule.de/ . Die Festschrift mit einer ausführlichen Biografie kann über die Schule bestellt werden.

Die Schulgemeinde hat die Patenschaft für den Stolperstein übernommen und in ihrer Schulzeitung über die geplante Verlegung berichtet.

Text: Ludger Hülskemper-Niemann, Frida-Levy-Gesamtschule Essen

Stolperstein Martha Mährenstein

HIER WOHNTE
MARTHA
MÄHRENSTEIN
JG. 1878
DEPORTIERT 5.9.1942
RIGA
ERMORDET 8.9.1942

Martha Mährenstein

Martha Mährenstein

Martha Mährenstein ist am 8. Februar 1878 in Breslau geboren. Ihre Eltern waren Adolf und Dora Asher, sie hatte drei Geschwister: Flora (geboren 1875), Max (geboren 1879) und Ludwig (geboren 1880).

Die unverheiratete und kinderlose Martha Mährenstein zog von Breslau nach Berlin um, wo sie seit 1924 Mitinhaberin des Delikatessen- und Kolonialwarengeschäfts Albat&Mährenstein an der Holzmarktstrasse 19 war. Ihre Nichte Charlotte Golschiener, Tochter von Max und Erna Mährenstein, erinnerte sich an Tante Martha, bei der sie öfter ihre Schulferien verbrachte:

bq. Das Geschäft wurde von diversen Lebensmittel- und Konservenfabriken sowie von Milch- und Buttergenossenschaften und Großbäckereien beliefert. Meine Tante belieferte damals Restaurants und Privatkunden nach Hause (Telefonbestellungen), sowie eine große Anzahl Stammkunden und sehr viel Laufkundschaft, da das Geschäft wegen des guten Rufes und der guten Qualität der Waren sehr hoch eingeschätzt wurde. Der Betrieb bestand aus zwei zusammengelegten Geschäftslokalen mit anschließender Zweizimmerwohnung, es war um die 120 Quadratmeter groß. Insgesamt waren 3 Angestellte (eine Verkäuferin und zwei Laufbuben) dort beschäftigt.

Martha Mährenstein mit Nichte

Martha Mährenstein mit Nichte

Martha Mährenstein wurde von vom Naziregime enteignet, aus ihrer Wohnung vertrieben und am 10. August 1942 in der Xantener Straße 20 im ersten Stock bei Familie Rothmann als Untermieterin in einem Zimmer zusammen mit einer anderen Frau, deren Name nicht bekannt ist, untergebracht. Die Miete betrug 30 Mark. In ihrer handgeschriebenen Vermögenserklärung vom 28.8.1942 gab sie an, dass sie „Pflichtarbeiterin” sei und weder Geldbestand noch Inventar oder Wertgegenstände besitze. Ein Obergerichtsvollzieher namens Olbrich, der dies überprüfte, bestätigte: „Sachen nicht vorgefunden“ und erhob für seine ergebnislose Suche „Gebühr, Schreibkosten, Fahrkosten 2,50 Rm“. Am 1.12.1942 übernahm das Hauptplanungsamt das Zimmer/die Wohnung „zum Zwecke der Weitervermietung“.

Am 5. September 1942 war Martha Mährenstein vom Berliner Güterbahnhof an der Putlitzstraße in Moabit zusammen mit 797 Menschen nach Riga deportiert worden. In Insterburg (0stpreußen) wurden noch 250 Menschen aus dem nördlichen Ostpreußen in diesen ohnehin schon überfüllten Zug getrieben. Der Transport erreichte Riga am 8.9.1942. Bis auf etwa 80 Männer, die wegen ihrer handwerklichen Fähigkeiten ausgelesen wurden, sind alle anderen, darunter Martha Mährenstein und auch 25 Kinder unter zehn Jahren, erschossen worden. Von den zur Zwangsarbeit selektierten Männern überlebten nur sechs die Strapazen.

Text: Doron Golschiener