Wannsee: Kulturforum Wannsee: Nobel, nah, natürlich

Stand: 2014

Kultur und Wissenschaft in schlossartigen Villen

Noble Wohnbauten, schlossartige Villen und prächtige Gartenanlagen prägen die Ufer von Großem und Kleinem Wannsee. In den letzten Jahren entstand ein Ensemble aus Kultur und Wissenschaft, das sich als “Kulturforum Wannsee” bezeichnen lässt:

Liebermann-Villa

Liebermann-Villa

Das Westufer des Großen Wannsees schmückt der ehemalige Sommersitz von Max Liebermann (Colomierstr. 3). Villa und Garten des berühmten Malers stehen, sachkundig restauriert, seit über einem Jahr als beliebtes Museum der Öffentlichkeit zur Verfügung. Ölbilder, Pastelle und zeitgenössische Fotografien erinnern an Liebermann und seine Familie.

Berliner Kunstsalon

Berliner Kunstsalon

Daneben, im ehemaligen Anwesen des AEG-Vorstands Johann Hamspohn (Am Großen Wannsee 40), hat die Dr. Jörg Thiede Stiftung 2006 ein “Haus der Begegnung” eingerichtet. Darin integriert ist der “Kunstsalon Berliner Secession” mit Werken des Impressionismus – eine ideale Nachbarschaft für den Garten Liebermanns, der mit ca. 200 am Wannsee geschaffenen Bildern eindrucksvolle Zeugnisse der Naturauffassung des Impressionismus hinterließ. Beide Häuser bieten eine Terrasse, die den Blick auf Garten und See bei Kaffee und Kuchen genießen lässt.

Haus Wanseekonferenz

Haus Wanseekonferenz

Ein paar Häuser weiter, Am Großen Wannsee 56/58, steht eine repräsentative schlossartige Villa. Unter der Nazi-Diktatur trafen sich hier, im Gästehaus des Chefs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, am 20. Januar 1942 fünfzehn Spitzenbeamte von Staat und SS zu der berüchtigten “Besprechung mit anschließendem Frühstück”, die als »Wannseekonferenz« in die Geschichte einging: Unter dem Vorsitz von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, regelte man die organisatorische Durchführung der Entscheidung, die Juden Europas vollständig und physisch zu vernichten. Jahrzehnte später, ab 1965, setzte sich der jüdische Auschwitz-Überlebende und Historiker Joseph Wulf dafür ein, in diesem Gebäude eine Gedenk- und Forschungsstätte zu gründen. Doch Wulf erlebte die Verwirklichung seines Anliegens nicht: Erst am 50. Jahrestag der folgenreichen Besprechung, dem 20. Januar 1992, wurde die »Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz« eröffnet. Ihr Thema wird ständig ins Gedächtnis gerufen durch eine Dauerausstellung, die seit 2006 neu gestaltet ist, und ein breit gefächertes Bildungsprogramm.

Literarischen Colloquiums Berlin

Literarischen Colloquiums Berlin

Auch am Ostufer des Großen Wannsees haben Geschichte, Kultur und Wissenschaft ihren Ort: Das »Renaissance-Schloss« auf der Haveldüne, früher Villa Guthmann (Am Sandwerder 5), ist seit 1963 Sitz des Literarischen Colloquiums Berlin (LCB). Dieser Verein, den der Schriftsteller und Literaturprofessor Walter Höllerer gegründet hat, ist ein Forum und Ort der Begegnung für Literaturschaffende. Lesungen neuer Literatur ziehen das Publikum an. In der Nachbarschaft, der ehemaligen Villa des Bankiers Hans Arnhold, Am Sandwerder 17/19, wurde 1998 das Hans-Arnhold-Center der American Academy eingerichtet. Diese Institution führt Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und Politik in Berlin zusammen. Hochkarätige Veranstaltungen schlagen eine Brücke der Verständigung und des geistigen Austauschs zwischen Deutschland und den USA.

Die Wannsee-Landschaft von der Gründerzeit bis heute

Die Villenlandschaft rund um den Wannsee entstand in der Reichsgründungszeit vor und nach 1871. Der Architekt Paul Baumgarten baute 1906/07 die Villa Hamspohn, 1909 das Landhaus für Max Liebermann und 1914/15 die Villa von Ernst Marlier. Damals gab es schon die Häuser Am Sandwerder, die, ebenfalls nach Plänen prominenter Architekten, bereits 1885/86 errichtet worden waren. Das Wohnen und Repräsentieren in natürlicher Umgebung forderte vielfach eine gartenkünstlerische Ausgestaltung heraus. Für Liebermann schuf Alfred Lichtwark, Leiter der Hamburger Kunsthalle, sogar ein gärtnerisches Kleinod von Rang, das immer wieder zum Gegenstand von Gemälden des großen Impressionisten wurde.

Als Folge des Ersten Weltkriegs (1914/18) wechselten zahlreiche aufwendige Anwesen um den Wannsee den Besitzer, nach der NS-Machtübernahme 1933 streckten die neuen Herren ihre Hände nach wertvollen Grundstücken aus. Max Liebermann starb 1935. Seine Witwe, Martha Liebermann, mußte ihre Villa, in die ein Erholungsheim der Reichspost einzog, weit unter Wert verkaufen. Der Erlös wurde auf ein Sperrkonto gezahlt, auf das Frau Liebermann keinen Zugriff hatte. Ihre geplante Auswanderung scheiterte. Im März 1943 nahm sie sich, angesichts der bevorstehenden Deportation nach Theresienstadt, das Leben.
Die einsitge Villa des Fabrikanten Ernst Marlier war im Juni 1921 durch den Unternehmer Friedrich Minoux gekauft worden. dieser damalige Mitarbeiter des rheinisch-westfälischen Schwerindustriellen Hugo Stinnes jr. hatte sich 1923 an der Planung zu einer Diktatur beteiligt. Als Aufsichtsratsmitglied der GASAG unterschlug er zwischen 1927 und 1938 mehrere Millionen Reichsmark. 1940 wurde er deswegen in Haft genommen. Gleichwohl gelang es ihm, seine Villa zu einem marktgerechten Preis zu verkaufen an eine “Stiftung Nordhaven”. Dies war eine Tarnorganisation, hinter der Reinhard Heydrich und das Reichssicherheitshauptamt stand. Die ehemalige Villa Marnier wurde zum “Gästehaus des Chefs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes” und damit zum Tagesort der “Wannseekonferenz”.
Die beiden Villen Am Sandwerder waren schon vorher, nach Emigration ihrer jüdischen Besitzer (1935/36), zwangsverkauft worden. Den ehemaligen Besitz von Hans Arnhold sicherte sich 1939 der NS-Reichswirtschaftsminister Walther Funk.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die einstige Marlier-Villa, das ehemalige Sommerhaus Liebermanns und das jetzige Domizil des Literarischen Colloquiums (LCB) an das Land Berlin. Der Industrielle und Mäzen Jörg Thiede kaufte die ehemalige Hamspohn-Villa. Das frühere Haus von Hans Arnhold ist seit 1945 in US-amerikanischem Eigentum. Heute sind diese kulturellen Einrichtungen touristisch gut erschlossen: An Straßen und Plätzen verweisen blau-weiße Schilder mit Entfernungsangaben auf wichtige Sehenswürdigkeiten. Diese “Pfeilwege” werden auf See und Havel vom wassertouristischen Leitsystem ergänzt.

Vor gut 80 Jahren, 1925, begeisterte “ein großes, achteckiges Turmzimmer, von dem man einen prächtigen Ausblick über die Landschaft hatte” den jungen Schriftsteller Carl Zuckmayer. Hier, in der Villa Guthmann, schrieb er die Komödie “Der fröhliche Weinberg”. Sie wurde zum meist gespielten deutschen Theaterstück der zwanziger Jahre und brachte ihrem Autor, dem wir auch den “Hauptmann von Köpenick” verdanken, den Durchbruch zum Erfolg. Kultur hat Tradition am Großen Wannsee!

Text: Falk Redecker