Nach dem 7. Altenbericht mit dem programmatischen Titel „Sorge und Mitverantwortung in der Kommune – Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften“ sollte die Teilhabe im Alter längst eine verpflichtende Aufgabe der Kommunen sein. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/siebter-altenbericht-120148
Doch traditionell legte die Berliner Verwaltung die Umsetzung von Leistungen nach § 71 SGB XI (Altenhilfe) bisher als freiwillige Aufgabe aus, im Unterschied zu anderen Aufgaben nach dem Sozialhilferecht. https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbxii/71.html
Gemäß § 71 SGB XII „soll Altenhilfe dazu beitragen, Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern und allen alten Menschen die Möglichkeit zu erhalten, selbstbestimmt am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen und ihre Fähigkeit zur Selbsthilfe zu stärken.“ (§ 71 Abs. 1, Satz 2). Würde dieses Recht auf Teilhabe nach den Buchstaben des Gesetzes umgesetzt, dann wäre dies auch ein Betrag zur Verwirklichung des Ziels „Prävention vor Pflegebedürftigkeit.“
Nach mehrjähriger Überzeugungsarbeit von Aktivist:innen der ehrenamtlichen Senior:innenpolitik in Berlin hat sich schließlich die Politik dazu durchgerungen, einen Dialogprozess für ein Berliner Altenhilfestrukturgesetz – „Gutes Leben im Alter“ auf den Weg zu bringen. Dieser Prozess wurde mit Förderung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands sowie der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung seit Anfang 2023 in fünf Bezirken exemplarisch in Charlottenburg-Wilmersdorf, Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow und Treptow-Köpenick begonnen. Unterstützt wird diese Aufgabe von dem renommierten Gerontologen und Juristen Prof. habil. Dr. Thomas Klie. Am 30.03.2023 wurde der Zwischenstand bei einer Veranstaltung des Landesseniorenbeirats einer kleinen Fachöffentlichkeit aus ehrenamtlichen Mitgliedern des Landesseniorenbeirats, den Bezirksstadträt:innen und Altenhilfekoordinator:innen im Käte-Tresenreuter-Haus vorgestellt.
Steglitz-Zehlendorf war vertreten durch den Sozialstadtrat Tim Richter, der Gruppenleiterin für Seniorenservice und ehrenamtlicher Dienst, Andrea Liedmann, Marion Mikula von Gesund älter werden in der QPK, Mathilde Kannenberg, Vorsitzende der Seniorenvertretung Steglitz-Zehlendorf und mich als stellvertretenden Vorsitzenden.
Mit Unterstützung von Klie wurden sozioökonomische Merkmale wie Altersstruktur, Soziale Lage und Migrationshintergrund in den genannten sehr unterschiedlichen Bezirken zusammengetragen. Dies führte zu der Einschätzung, dass bspw. in Friedrichshain-Kreuzberg der Anteil von Menschen in Altersarmut sehr hoch ist. Bekannt ist dabei auch, dass viele Ältere auf ihr Recht auf Beantragung von Transferleistungen verzichten und sich deshalb mangelhaft ernähren (nur noch Graubrot mit Senf). In solchen Fällen bestünde nach § 18 SGB XII eine Handlungspflicht des Sozialhilfeträgers, die auch zugehende Ansätze beinhalten. Insofern begrüßt Klie das Projekt der „Berliner Hausbesuche“, weil nach dem Konzept nicht darauf gewartet wird, dass jemand einen Antrag auf Grundsicherung stellt, der erst nach einiger Zeit beschieden wird (https://www.malteser-berlin.de/angebote-und-leistungen/berliner-hausbesuche.html). Vielmehr wird den älteren Bewohner:innen in den Pilotbezirken eine aufsuchende Beratung angeboten.
In dem geplanten Berliner Altenhilfestrukturgesetz wäre es wichtig, die Vielfalt der Lebenslagen von Älteren zu berücksichtigen.
Insgesamt sei die Praxis zur Finanzierung von Leistungen für ältere Menschen sehr intransparent, weil dies jeder Bezirk unterschiedlich handhabt. Prof. Klie ist der Meinung, dass durch die bereits erfolgten Vorarbeiten eine Novellierung des Altenhilfestrukturgesetzes als landesrechtliche Ausgestaltung des § 71 SGB XII bald möglich ist.
Zu den strukturellen Merkmalen eines solchen Gesetzes zählen:
- Beratungsleistungen für ältere Menschen, ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen
- Laufende und einmalige Transferleistungen der Altenhilfe, abhängig von Einkommen und Vermögen in den Bereichen persönliche Dienstleistungen, Hilfen in den Bereichen Wohnung und Technik, einschließlich Umzugshilfe und Unterstützung der digitalen Teilhabe
- Ein flächendeckendes Angebot von Begegnungsstätten, Nachbarschaftstreffpunkten, Stadtteilzentren mit generationsübergreifenden oder zielgruppenspezifischen Angeboten sowie die Förderung von Ehrenamtlichkeit. Sie ermöglichen Aktivitäten in unterschiedlichen Feldern, je nach Neigung und Vorlieben.
- Die Leistungen sollten dezentral auf der Grundlage sozialräumlich gewachsener Strukturen angeboten und finanziert, auf der Landesebene die Aufgaben koordiniert und gesteuert werden.
Sinnvoll sei die Umsetzung als Artikelgesetz. In das Gesetz könnten Erprobungsregelungen eingebaut werden. Schließlich müsste eine Kostenabschätzung stattfinden und Finanzierungsmittel für den kommenden Haushalt beantragt werden. Aktuell sollten Stichworte dazu in den schwarzroten Koalitionsvertrag eingebracht werden.