03/2024-SDEROT – Auf Spurensuche in Israel

Blick vom Kobi-Hügel auf Sderot

Blick vom Kobi-Hügel auf Sderot

Sderot / März 2024

2025 jährt sich die 1975 begründete Städtepartnerschaft mit Sderot zum 50. Mal. Die schrecklichen Geschehnisse vom 7. Oktober 2023, die unsere israelische Partnerstadt mit voller Wucht getroffen haben, sind hoffentlich kein ungünstiges Omen für ein würdiges Jubiläumsjahr. In Zehlendorf erinnert der Sderotplatz an die im Grenzbereich zum palästinensischen Gazastreifen liegende Kommune. In den Monaten nach den terroristischen Hamas-Attacken wurde das Platzschild von Passantinnen und Passanten immer wieder liebevoll mit Blumen und Kerzen geschmückt. Vor dem Rathaus Zehlendorf weht seit Juli 2024 die Flagge der Stadt Sderot. Trotz aller Kritik, die viele Menschen hierzulande seit Kriegsausbruch am Vorgehen der israelischen Armee in Gaza artikulieren, haben die Bürgerinnen und Bürger von Sderot unsere uneingeschränkte Solidarität verdient.

„Es wärmt das Herz, den Platz mit den Blumen und den Kerzen zu sehen“, schrieb Nerya Davidi, Tochter des Bürgermeisters von Sderot, am 30. November 2023. „Als Einwohnerin von Sderot spüre ich die Aufrichtigkeit der Taten, und ich bin davon berührt“, fährt sie angesichts der friedlichen Atmosphäre des Zehlendorfer Sderotplatzes fort.

Jan Kutscher (ganz rechts) im Kreise seiner Gastgeber von der Stadtverwaltung Sderot. Dame in der Mitte: Gitit Hasbara

Jan Kutscher (ganz rechts) im Kreise seiner Gastgeber von der Stadtverwaltung Sderot. Dame in der Mitte: Gitit Hasbara

Reisebericht eines Sderot-Freundes

Jan Kutscher ist Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin und Brandenburg e.V. (DIG)’. Wie kaum ein Zweiter liegen dem Zehlendorfer die Menschen unserer Partnerstadt Sderot am Herzen. Deshalb hat er es sich trotz der unsicheren Sicherheitslage nicht nehmen lassen, Israel im Frühjahr 2024 einen mehrwöchigen Besuch abzustatten. Im Zeitraum 20. Februar bis einschließlich 6. März 2024 stand auch Sderot auf seinem Reiseplan. Dort übernahm er mehrere unentgeltliche Freiwilligendienste. „Spurensuche in Sderot“ könnte man sein Motto in der Rückschau bezeichnen: Spurensuche nach ein wenig Optimismus bei den Einwohnerinnen und Einwohnern, nach der Wiederkehr des „ganz normalen“, lebendigen Alltags.

Sderot: Kreisverkehr mit Herz

Sderot: Kreisverkehr mit Herz

Als „gute Seele“ der Stadtverwaltung von Sderot bezeichnet er Gitit Hasbara, die ihm nicht nur konkrete Einsatzmöglichkeiten für seinen Freiwilligendienst, sondern auch den Kontakt zum Bürgermeister vermittelt hat. Bei der Stippvisite von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am 11. Januar 2024 in Sderot hatte sie sich mit dem prominenten Gast ablichten lassen. Genau ein Vierteljahr früher, am 11. Oktober 2023, hatte Israels Staatspräsident Jitzchak Herzog Station in Sderot gemacht. Tags darauf, am 12. Oktober, hatte Bürgermeister Alon Davidi unter dem Eindruck der Raketenangriffe aus dem benachbarten Gazastreifen die vollständige Evakuierung seiner Stadt verfügt. Ende Februar, Anfang März 2024 begann sich Sderot langsam wieder mit Rückkehrern zu bevölkern. Wikipedia liefert eine detaillierte Chronologie des Hamas-Angriffs auf Sderot und dessen Rückeroberung wenige Tage später:

Sicherheitszentrale in Sderot

Sicherheitszentrale in Sderot

Für eine besondere Wertschätzung und einen großen Vertrauensvorschuss gegenüber Jan Kutscher spricht der Umstand, dass der Zehlendorfer Gast in die Sicherheitszentrale von Sderot vorgelassen wurde. In diesem Gremium stimmen sich Polizei und Militär eng untereinander ab. Es gebe derzeit zwei Zufahrten nach Sderot, hat Kutscher beobachtet, die von Reservisten kontrolliert würden. Soldaten patrouillierten an wichtigen Punkten und zeigten Präsenz. Damit vermittle man den Menschen vor Ort ein gewisses Sicherheitsgefühl. Teile der Zivilbevölkerung seien bewaffnet, fährt er fort. Es sei kein seltener Anblick, dass ein Vater mit umgehängtem Gewehr sein Kind vom Kindergarten abhole. Aus Sicherheitsgründen werde bei der Planung von Spielplätzen prioritär berücksichtigt, dass der nächste Schutzbanker in Sekundenschnelle erreichbar sei. An vielen Straßenlaternen hingen Plakate mit ermutigenden Parolen an die Adresse der Heimkehrenden: „Du bist zurückgekehrt, um wieder Fußball auf dem Bolzplatz zu spielen“, oder „Du bist zurück zum Kaffeetrinken auf der Terrasse und in der grünen Landschaft“.

Antipalästinensische Hassparolen im Straßenbild sucht man vergebens.

Blick vom Kobi-Hügel nach Gaza hinüber

Blick vom Kobi-Hügel nach Gaza hinüber

Israelis sind Meister im Improvisieren und können mit schwierigen Situationen relativ gelassen, flexibel und mitunter kreativ umgehen. Mehrfach hat Jan Kutscher diesen Eindruck gewonnen. Alle Sderoter verbindet der tiefste Wunsch, einfach in Ruhe leben zu können. So wie es auch in geographisch weniger prekären Regionen Israels der Fall ist.

Kartons mit Lebensmittel tragen Aufkleber mit patriotischen Aufschriften

Kartons mit Lebensmittel tragen Aufkleber mit patriotischen Aufschriften

Freiwilligeneinsatz in und um Sderot

Um seine Solidarität mit den Menschen in Sderot zu bekunden, hat sich Jan Kutscher in verschiedenen Aufgabenfeldern freiwillig engagiert: So packte er Kartons mit Hilfsgütern, die äußerlich von Taubenkot verunreinigt waren, in saubere Kartons um. Diese Kartons waren innen mit völlig intakten, haltbaren, hygienisch verpackten Lebensmitteln gefüllt. Beklebt waren sie mit Aufklebern, die an den Patriotismus der Menschen appellieren und deren Durchhaltewillen steigern sollten: „Gemeinsam werden wir siegen – Stadtverwaltung Sderot“. Da ein Großteil der Einwohner nach den terroristischen Attacken evakuiert werden musste, waren für die verbliebenen und hilfsbedürftigen Sderoter zu viele Nahrungsmittelpakete angekommen. Ohne die Tauben und ihre Hinterlassenschaften im Blick zu haben, lagerten die Kartons über längere Zeit auf einer überdachten Freifläche.

Unter künstlichem Himmel: Jan Kutscher versieht seinen Dienst auf der Ananasplantage

Unter künstlichem Himmel: Jan Kutscher versieht seinen Dienst auf der Ananasplantage

Mehrere Tage arbeitete der Zehlendorfer auf einer zu einem Kibbuz gehörenden Ananasplantage im Umland von Sderot. Sein sechsstündiger Arbeitstag bestand weitestgehend in der Bewässerung von Setzlingen. Viele seiner Kollegen vor Ort waren israelische Soldaten. Jan Kutscher bezeichnet seinen Arbeitseinsatz selbst als „symbolisch“.

29. Februar 2024: Bürgermeister Alon Davidi liest den Brief von Bezirksbürgermeisterin Maren Schellenberg

29. Februar 2024: Bürgermeister Alon Davidi liest den Brief von Bezirksbürgermeisterin Maren Schellenberg

Bezirksbürgermeisterin schreibt ihrem Amtskollegen

Als Jan Kutscher schließlich am 29. Februar 2024 Sderots Bürgermeister Alon Davidi traf, überreichte er Gastgeschenke des Bezirksamtes und ein persönliches Schreiben von Bezirksbürgermeisterin Maren Schellenberg.

„Im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen in der Bezirksverordnetenversammlung und im Namen der Bürgerinnen und Bürger von Steglitz-Zehlendorf möchte ich hiermit (…) mein Mitgefühl und meine Solidarität mit der Stadt Sderot und allen ihren Bürgern zum Ausdruck bringen“, wandte sich darin die Steglitz-Zehlendorfer Rathauschefin an ihren Amtskollegen. Lobende Worte fand sie für die uneigennützige Initiative Kutschers: Sie freue sich sehr, dass sich ein „hebräischsprachiger Bürger unseres Bezirks (…) bereit erklärt hat, Ihre Verwaltung im Rahmen eines einmonatigen Freiwilligendienstes zu unterstützen. Dieses Engagement wird die Bürgerinnen und Bürger der beiden Partnerstädte sicher näher zusammenbringen“. Sie stellte klar, „dass unsere Gedanken und unser Mitgefühl weiterhin bei Ihnen und allen von den Terroranschlägen betroffenen Familien sind“. Für den Brief von Maren Schellenberg hat sich Alon Davidi „herzlich bedankt“, teilt Jan Kutscher mit.

Zusammen sind wir stark! - Ermunternde Botschaften im öffentlichen Sderoter Straßenland

Zusammen sind wir stark! - Ermunternde Botschaften im öffentlichen Sderoter Straßenland

Wegen der prekären Sicherheitslage musste die israelweit am 27. Februar 2024 ausgerichtete Kommunalwahl in Sderot auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Alon Davidi muss sich bis zu einer möglichen Wiederwahl noch gedulden. Dennoch war der Wahlkampf sicht- und spürbar, als sich Jan Kutscher in Sderot aufhielt. Als Teil der einzigen Demokratie des Nahen Ostens ist dort der Wahlakt nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.

„Es wäre eine Freude, den Jahrestag in einem Zustand des Friedens, der Versöhnung und der internationalen Freundschaft zu erleben“, wagt Maren Schellenberg in ihrem Schreiben vom 18. Februar 2024 einen Vorausblick auf das Jubiläumsjahr 2025. Dieses wird kommen, so sicher wie das Amen in der Synagoge.

Vermittelt das Gefühl von Sicherheit: Militärcheckpoint am Ortseingang Sderot

Vermittelt das Gefühl von Sicherheit: Militärcheckpoint am Ortseingang Sderot

Leerer Spielplatz des evakuierten Sderot

Leerer Spielplatz des evakuierten Sderot

Ansicht des Platzes, wo das Polizeirevier stand, an dem mehrere Israelis am 7. Oktober 2023 getötet wurden

Ansicht des Platzes, wo das Polizeirevier stand, an dem mehrere Israelis am 7. Oktober 2023 getötet wurden