Poniatowa / November 2023
Das polnisch-deutsche Verhältnis ist mit der Hypothek deutscher Schuld und Verantwortung während des Zweiten Weltkrieges überschattet. Diese historische Verantwortung wiegt schwerer als gelegentliche Missstimmungen und Meinungsverschiedenheiten, die zwischen Partnern in einem vereinten Europa entstehen können.
Anfang November 2023 gedachte unsere Partnerstadt Poniatowa der jüdischen Opfer der sogenannten „Aktion Erntefest“, die vor 80 Jahren dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer gefallen waren. Unter diesem euphemistischen Decknamen fand im Spätherbst 1943 eine der größten SS-Massenerschießungsaktionen des Zweiten Weltkrieges statt. Die meisten Opfer des koordinierten Massenmordes stammten aus den beiden Zwangsarbeitslagern Poniatowa und Trawniki, sowie aus dem Konzentrationslager Majdanek. Als unrühmlicher Höhepunkt einer anderthalbjährigen Vernichtungswelle führte die „Aktion Erntefest“ das weitgehende Ende jüdischen Lebens in der Region Lublin herbei.
Wer Verantwortung für die Geschichte übernimmt, kann sich auch den Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft stellen. LGBT-feindliche Beschlüsse in vielen polnischen Kommunen, darunter bis vor wenigen Monaten auch in Poniatowa, dürften nach dem friedlichen Regierungswechsel in Polen ein Auslaufmodell sein. Die politische Stimmung in unserem Nachbarland hat sich seit Amtsantritt der neuen Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk am 13. Dezember 2023 spürbar gedreht. Es ist anzunehmen, dass die Umkehrung der Mehrheitsverhältnisse auch Auswirkungen auf die Kommunalwahl im Frühjahr 2024 haben wird.