08/2023-LÜCHOW – Zu Gast bei Wenden und Rundlingen

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Lüchow / August 2023

Erstmals 2012 nominierte das Land Niedersachsen die sogenannten „Rundlingsdörfer“ (oder „Rundlinge“) im Hannoverschen Wendland als Kandidaten zur Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe. Der erste Anlauf scheiterte 2014 in der Kultusministerkonferenz. Im Wendland denkt man aber nicht ans Aufgeben: 2021 stellte die Samtgemeinde Lüchow einen erneuten Antrag bei der Niedersächsischen Landesregierung auf Aufnahme in die sogenannte „Tentativliste“ (eine Art deutsche Vorschlagsliste). Zusammen mit den Anträgen aller anderen Bundesländer wird er 2024 beim Welterbezentrum in Paris eingereicht. Die Spannung in unserer Partnerstadt steigt …

Nicht primär der Rundlinge wegen, sondern aus Anlass des Lüchower Stadtfestes (25./ 26. August 2023) machte sich eine Delegation aus Steglitz-Zehlendorf auf den Weg ins östliche Niedersachsen. Zu Steglitz-Zehlendorfs Altbezirksbürgermeister Norbert Kopp (Amtszeit 2006-2016) gesellten sich der ehemalige Bezirksverordnete Rolf Breidenbach mit Gattin und Christian Urlaub, Partnerschaftsbeauftragter des Bezirksamtes Steglitz-Zehlendorf. Mit Ausnahme des Letztgenannten sind alle Delegationsmitglieder gleichzeitig im Städtepartnerschaftsverein Steglitz-Zehlendorf e.V. aktiv.

Lüchow aus der Vogelperspektive

Lüchow aus der Vogelperspektive

Auf dem Weg zum Weltkulturerbe: Die Rundlinge rund um Lüchow

Im deutschlandweiten Vergleich sind die wendländischen Rundlinge als charakteristische dörfliche Siedlungsform am besten erhalten. Man geht heute davon aus, dass die ersten Runddörfer um die Mitte des 12. Jahrhunderts entstanden sind. Ihre erste urkundliche Erwähnung ist im 14. Jahrhundert bezeugt. Wie Tortenstücke gruppieren sich mehrere Höfe rund um den zentralen Dorfplatz. Dabei dominieren niederdeutsche Hallenhäuser, deren Schauseiten und Giebel mit Spruchbändern verziert sind. Meistens sind es Bibelzitate, die die Menschen aufrichten und Zuversicht spenden sollten.

Es verbietet sich, bei einem Besuch Lüchows einen großen runden Bogen um die Rundlinge zu machen. Zur Erkundung der weitläufigen Umgebung Lüchows und zur Rundlings-Umrundung empfiehlt sich eine Rundfahrt mit dem Fahrrad. Auch die Reisegruppe aus Steglitz-Zehlendorf griff bei ihrer Entdeckungsreise in die Welt der Rundlinge auf dieses Verkehrsmittel zurück. Schwindelig wird einem nicht bei so viel runder Pracht, zumal sich der Genuss der landschaftlichen und architektonischen Schönheiten rundherum erst dann richtig einstellen kann, wenn man gemächlich und stressfrei in die Pedale tritt.

Die Seele baumeln lassen: Rundlingsdorf Satemin (Wendland)

Die Seele baumeln lassen: Rundlingsdorf Satemin (Wendland)

Hervorzuheben ist die einzigartige harmonische Dorfgestaltung des Rundlings Satemin, mit knapp 5 km nur einen Steinwurf von Lüchow entfernt. Entstanden nach einem Großbrand in einem benachbarten Dorf, zählt die Ansiedlung zu den größten und am besten erhaltenen Rundlingen des Wendlands. „Erbaue, was zerstöret und was die Gluth verheeret“, steht fast programmatisch auf den Spruchbalken der Schaufassaden. Gerne nahmen die Gäste aus Steglitz-Zehlendorf die einmalige Gelegenheit wahr, köstliche Torten und frisch aufgebrühten Kaffee im idyllisch gelegenen Café auf dem Dorfplatz zu genießen.

August 2023: Rundlingsdorf-Freilichtmuseum in Lübeln (Wendland)

August 2023: Rundlingsdorf-Freilichtmuseum in Lübeln (Wendland)

Im benachbarten Dorf Lübeln schloss sich eine höchst kurzweilige Besichtigung des „Rundlingsmuseums Wendland“ an: ein Freilichtmuseum, das in Siedlungsgeschichte, Lebensweise, landwirtschaftliche Praxis und traditionelles Handwerk der Rundlingsbewohner einführt. In regionstypischen Hallenhäusern, deren Bausubstanz dem 18. und 19. Jahrhundert entstammt, werden Alltagsgerätschaften sowie das Mobiliar originalgetreu rekonstruierter Wohn-, Arbeits- und Schlafräume präsentiert. Selbstbewusst heißt der Museumsprospekt die Gäste in der „Perle des Wendlands“ willkommen.

Rundlingsdorf-Tour rund um Lüchow: Halt an jeder Milchkanne ...

Rundlingsdorf-Tour rund um Lüchow: Halt an jeder Milchkanne ...

Ein Traum in Fachwerk: Lüchow (Wendland)

Ein Traum in Fachwerk: Lüchow (Wendland)

Fachwerkstadt Lüchow

Die am Fluss Jeetzel gelegene Stadt Lüchow ist durch eine Vielzahl malerischer Fachwerkfassaden geprägt. Der Name der Stadt geht mutmaßlich auf die wenig schmeichelhaften slawischen Bezeichnungen für „Wiese“ oder „Sumpfloch“ zurück. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass viele Fachwerkhäuser einst auf Pfählen errichtet wurden. Die Haupteinkaufsmeile der Stadt, die Lange Straße, ist Bestandteil der „Deutschen Fachwerkstraße“. Deren Regionalstrecke „Von der Elbe zum Harz“ schließt auch Lüchow ein.

Lüchow (Wendland) zeigt Flagge

Lüchow (Wendland) zeigt Flagge

Mittendrin im Siedlungsgebiet der Wenden

Wer sich in unsere Partnerstadt Lüchow begibt, ist mittendrin im ehemaligen Siedlungsgebiet der slawischen „Wenden“ oder „Polaben“, die der Region ihren Namen gegeben haben. Da Slawen um das 9. Jahrhundert herum auch westlich der Elbe siedelten, wo sie sich mit germanischen Stämmen vermischten, tragen die meisten Rundlingsdörfer Namen slawischer Herkunft. Noch bis Mitte des 18. Jahrhunderts wurde deren polabische (auch drawehnische oder wendische) Sprache aktiv in der Region gesprochen. Es gibt zaghafte Versuche eines Kulturvereins, den in bescheidenem Umfang überlieferten Wortschatz zu retten und eine Art Grammatik zu entwickeln.

Reminiszenz an die "Republik Freies Wendland"

Reminiszenz an die "Republik Freies Wendland"

Ein Hauch „Freies Wendland“

Auf dem Gelände des Lübelner Rundlingsmuseums ist eine kleine Töpferwerkstatt untergebracht. Zu den tönernen Schmuckstücken zählen Tassen, die das sorgfältig emaillierte Erkennungssymbol der „Freien Republik Wendland“ tragen: eine orangefarbene Anti-AKW-Sonne vor grünem Hintergrund. Bei der Frage eines Besuchers, was denn diese Sonne darstelle, entbrennt rasch ein lebhaftes Gespräch mit der Keramikkünstlerin, in dem sie leidenschaftlich über die Anti-AKW-Bewegung und deren Geschichte im Wendland erzählt. Sie ist dann kaum zu bremsen, höchstens durch den Kauf eines ihrer selbstgetöpferten Erzeugnisse. Obwohl dem im Mai 1980 von Atomkraftgegnern ausgerufenen „Staats“-Gebilde eine Lebensdauer von nur einem Monat vergönnt war, wirkt der dahinterstehende Widerstandsgeist im damaligen Zonenrandgebiet nach.

Noch heute finden Devotionalien der widerständigen Kurzzeitrepublik, die das „Territorium“ ihres Hüttendorfes mit Schlagbäumen sicherte und sogenannte „Wendenpässe“ ausstellte, reißenden Absatz. Die das Wappen zierende Sonne ist zum überregionalen Wendland-Symbol geworden: fast gleichbedeutend mit dem offiziellen Wendland-Logo, das ein mit den Farben des Regenbogens angereichertes Rundlingsdorf stilisiert. Nur 16 km Luftlinie von Lüchow entfernt liegt Gorleben, wo eine der bedeutsamsten sozialen Bewegungen der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte ihren Anfang nahm. Jahrzehntelang stand der Salzstock im Fokus einer endlosen Endlagerdiskussion. Einer politischen Entscheidung von 2020 zufolge ist Gorleben als möglicher Endlagerstandort vom Tisch. Viele Wendländer atmen auf und die Karawane zieht weiter.

Wenn die Wendländer auch beim Thema Weltkulturerbe hartnäckig am Ball bleiben und in ihrem Bemühen nicht nachlassen, wird das früher oder später klappen.

26. August 2023: Schaulaufen tpyischer Wendland-Trachten auf der Bühne des Lüchower Stadtfestes

26. August 2023: Schaulaufen tpyischer Wendland-Trachten auf der Bühne des Lüchower Stadtfestes

25. und 26. August 2023: Lüchow lädt zum Stadtfest

Dank der gleichnamigen Kapelle war tatsächlich „Pfeffer und Salz“ drin, als Lüchows ehrenamtlicher Bürgermeister Torsten Petersen am Freitagabend, dem 25. August 2023, zum abendlichen Festauftakt auf das baulich verwaiste Gelände des früheren Stadtschlosses lud und die Delegation aus Steglitz-Zehlendorf herzlich begrüßte.

Tags darauf gehörte die Altstadt rund um Marktplatz und Langer Straße den feiernden Bürgerinnen und Bürgern aus Lüchow und dem ganzen Wendland, aber natürlich auch den Gästen der Stadt. Unter den Augen der Steglitz-Zehlendorfer Festdelegation traten traditionelle Trachtentanzgruppen mit skurrilen Namen wie „De Öwerpetters“ oder „De lütten Öwerpetters“ auf. Bei den „Lütten“ versammelt sich der in wendländischer Tracht gewandete junge Nachwuchs. Das regionale Brauchtum pflegend, sind die großen Öwerpetters „in den idyllischen Rundlingsdörfern und Fachwerkstädten entlang der Elbe und Jeetzel“ zuhause, heißt es in einer von Gründerin Undine Stiwich verfassten Selbstzuschreibung des seit 1976 aktiven Traditionsvereins. Mehrfach sind die Trachtentänzer auch schon in Berlin aufgetreten, bei „Grüner Woche“ und Funkausstellung (IFA).

Am Rande des Festes bestand Gelegenheit, einige Worte mit Samtgemeindebürgermeister Sascha Liwke, Bürgermeister Torsten Petersen, dessen beiden Stellvertretern Christine Fricke und Manfred Liebhaber, sowie der städtischen Partnerschaftsbeauftragten Franziska Erstling zu wechseln. Bei dieser Gelegenheit überreichten die Gäste aus Steglitz-Zehlendorf die mitgebrachten Gastgeschenke. Lüchows hauptamtlicher Samtgemeindebürgermeister, zugleich ehrenamtlicher Stadtdirektor der Stadt Lüchow, stand an der Spitze einer Delegation, die Steglitz-Zehlendorf im März 2022 einen Besuch abgestattet hat.

Delegation aus Steglitz-Zehlendorf wird durch Lüchows Bürgermeister Torsten Petersen (Mitte) durch die Ausstellung im Amtsturm geführt: links der ehem. BVV-Verordnete Rolf Breidenbach und Gattin, ganz rechts Altbezirksbürgermeister Norbert Kopp, links daneben Lüchows Partnerschaftsbeauftragte Franziska Erstling

Delegation aus Steglitz-Zehlendorf wird durch Lüchows Bürgermeister Torsten Petersen (Mitte) durch die Ausstellung im Amtsturm geführt: links der ehem. BVV-Verordnete Rolf Breidenbach und Gattin, ganz rechts Altbezirksbürgermeister Norbert Kopp, links daneben Lüchows Partnerschaftsbeauftragte Franziska Erstling

Lüchow aus der Vogelperspektive: Besteigung des Amtsturmes

Ein schwindelerregender Ausblick bietet sich den Besucherinnen und Besuchern auf dem begehbaren Umlauf im vierten Obergeschoss des historischen Amtsturmes. Der Blick schweift über weite Teile des Wendlands, bis hinüber in die benachbarte Altmark (Sachsen-Anhalt). Gleichzeitig erlaubt er einen Blick über das Areal der ehemaligen gräflichen Burg, die Gräfin Anna von Nassau-Dillenburg (1440-1513), Gemahlin von Herzog Otto V. von Braunschweig-Lüneburg (1438-1471), zwischen 1471 und 1473 hat zum Stadtschloss ausbauen lassen. Bis zum großen Stadtbrand im Jahre 1811 diente es adligen Damen als Witwensitz. Von der Aussichtsplattform des Amtsturms aus ist viel altstädtisches Fachwerk zu entdecken. Einige Türme ragen empor, in der Ferne grüßen Windkraftanlagen. Turmlos präsentiert sich die im 13. Jahrhundert erbaute evangelische St.-Johannis-Stadtkirche. Rundlingsdörfer sind beim Rundumblick von oben übrigens nicht auszumachen. Sie gilt es auf einer eigenen Tour zu erkunden.

Bürgermeister Petersen ließ es sich nicht nehmen, die Gäste aus Steglitz-Zehlendorf persönlich durch das Amtsturm-Museum zu führen, das auf insgesamt vier Etagen wie in einem Brennglas in die Geschichte Lüchows einführt: beginnend mit dem slawischen Siedlungskern um die erste Jahrtausendwende, über die mittelalterliche Grafenburg, bis hin zum Schloss Lüchow, das zwischen dem 16. und frühen 19. Jahrhundert bestand.

Die Amtsturm-Führung in bis zu 20 Metern Höhe war im wahrsten Sinne des Wortes ein echter Höhe-Punkt der Lüchow-Reise.

Flankiert wurde das bunte samstägliche Festtreiben von einem riesigen Flohmarkt, der sich über mehrere Straßenzeilen erstreckte und zu Füßen des Amtsturms keine Wünsche offenließ. Gefeiert wurde in Lüchow gewissermaßen „bis in die Puppen“, wie der Berliner sagen würde.

Kartenausschnitt mit Lüchow und seine Rundlingsdörfer im näheren Umkreis

Kartenausschnitt mit Lüchow und seine Rundlingsdörfer im näheren Umkreis

Zahlen und Fakten über Lüchow

Mit seinen knapp 10.000 Einwohnern ist Lüchow (Wendland) die Kreisstadt des Landkreises Lüchow-Dannenberg, der seinerseits fast deckungsgleich mit dem (Hannoverschen) Wendland ist. Nachdem die seit 1980 bestehenden Kontakte zum Landkreis Lüchow-Dannenberg mehr oder weniger eingeschlafen sind, trat die Kreisstadt Lüchow (Wendland) im Jahre 2019 an dessen Stelle: Im Rahmen der „Steglitzer Woche“ wurde eine neue Partnerschaftsurkunde zwischen Lüchow und dem Bezirk Steglitz-Zehlendorf unterzeichnet.

Am Ortseingang grüßen drei Partnerstädte von Lüchow (Wendland) - in Frankreich, Polen und Deutschland

Am Ortseingang grüßen drei Partnerstädte von Lüchow (Wendland) - in Frankreich, Polen und Deutschland

Außer mit Steglitz-Zehlendorf unterhält Lüchow noch zwei weitere Partnerschaften: mit einer französischen (seit 1983) und einer polnischen Kommune (seit 2006). Auf einem unübersehbar großen Schild am Ortseingang werden die drei Partnerstädte namentlich genannt.

26. August 2023: Ausgelassene Stimmung auf dem Lüchower Stadtfest

26. August 2023: Ausgelassene Stimmung auf dem Lüchower Stadtfest